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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Sie, daß ich meine schon vorhin gestellte Frage bestimmter wiederhole: was führt gerade Sie hierher in die Schrecken und Aufregungen des Krieges?“

„Mein Bräutigam liegt hier im Spitale verwundet.“

„O,“ sagte ich mit dem Ausdruck innigster Theilnahme. „Dann sind die schweren Sorgen des Krieges freilich nahe genug an Ihrem Herzen vorübergegangen. Ist die Wunde gefährlich?“

„Gott sei Dank, nein! Ich bin erst vorgestern früh hier angekommen (ich habe die zwei Tage in der erbärmlichsten Spelunke der Welt hausen müssen) und habe meinen Bräutigam besser gefunden, als ich gehofft hatte. Er ist auf dem Wege der Genesung. Ein Schuß in den linken Arm hat ihn getroffen, und der wird freilich, wie der Arzt meint, steif bleiben. Aber das bedeutet wenig, das bedeutet Nichts, wenn die Kugel denn doch einmal treffen soll und das ganze Leben dabei auf dem Spiele steht. Wollen Sie meinem Bräutigam nicht die Freude Ihres Besuches machen?“

Eigentlich hatte ich große Lust, den glücklichen Mann kennen zu lernen, der dieses schöne Frauenbild zu gewinnen verstanden hatte. Aber ich dachte an die nahe Stunde meiner Abreise, und dann war es doch zweifelhaft, ob auch der Bräutigam der schönen Magda Gefallen daran finden würde, wenn sie mich im Gasthof auflas und zu ihm in’s Spital mitschleppte. Ich äußerte deshalb mein Bedenken. Doch das Mädchen unterbrach mich sofort.

„Sie meinem Bräutigam ein Fremder?“ lachte sie. „Erinnern Sie sich denn meines Begleiters in Suderode nicht mehr?“

„O gewiß! Er war es ja, der Ihrem zierlichen Stachelschwein die Stacheln auszog und –“

„Ach, lassen Sie doch das Stachelschwein in Ruhe! Mein Begleiter in Suderode ist mein Bräutigam.“

„Ich gratulire!“ fuhr ich heraus und streckte dem Mädchen so herzlich die Hand hin, daß sie über die Aufrichtigkeit meines Glückwunsches nicht in Zweifel sein konnte. Diese Lösung der Dinge (denn eine solche schien es mir) erfreute mich.

„Mein Bräutigam ist der Graf Eugen Sch…, und nun kommen Sie! Wir fahren nach dem Spitale; eine freundliche Aufnahme verbürge ich Ihnen, und Sie rollen mit Ihrem Omnibus, weil es nun doch einmal nicht anders geht, ein paar Stunden später nach Kehl.“

Auf dem Wege zum Spital, einem früheren Administrativgebäude der französischen Regierung, das zu Lazarethzwecken eingerichtet worden war, erzählte mir Magda die Geschichte von der Verwundung ihres Bräutigams. Er war am 1. September von Metz aus an den Commandanten der Belagerungsarmee vor Straßburg geschickt worden und hatte Anweisung, bis zum nächsten Morgen auf die Ausfertigung des dienstlichen Bescheides zu warten, den er zurückbringen sollte. Er brachte die Nacht in den Laufgräben von Schiltigheim zu, als gegen vier Uhr Morgens die Belagerten unter dem Donner ihrer Wallkanonen aus verschiedenen Thoren der Festung einen Ausfall versuchten. Es war der erste und einzige größere Ausfall, den sie im Laufe der ganzen Belagerung unternahmen. Ihre Absicht war, die Kanonen der zunächst liegenden feindlichen Batterien zu vernageln und die Arbeiten in der Nähe des Festungswerkes zu zerstören. Aber an eine Ueberrumpelung der Belagerungsarmee war nicht zu denken; der erste Lärm von der Festung her fand sie kampfbereit, und den Ausfallenden gelang es nicht einmal, bis zu den Batterien vorzudringen. Graf Sch …, der sich schon bei Noisseville das eiserne Kreuz erkämpft, hatte sich sofort den Kämpfenden angeschlossen und sich wie ein Held geschlagen. Mitten im Dunkel der Nacht und unter dem Sprühregen der französischen Granaten, half er die Anstürmenden zurückdrängen und diese waren schon wieder bis an die Thore zurückgeworfen, als ihn selbst eine letzte tückische Gewehrkugel noch in den Arm traf und verwundete.

„In welcher Angst hätten Sie sich zu Hause verzehrt,“ sagte ich, „wenn Sie von diesen Ereignissen eine Ahnung hätten haben können!“

„O, ich hätte Eugen im Kampfe sehen mögen,“ rief Magda mit leidenschaftlicher Geberde, „ich hätte nicht um ihn gezittert, und der Anblick seines Heldenthums hätte mich nur stolz und glücklich gemacht. Ich habe ihm immer geschrieben: 'Denke nicht an mich, denke nur an Dein Vaterland und an Deine Soldaten!' Ich sah Alles voraus, und wenn er zu Hause oft voll jenes jugendlichen, brausenden Uebermuthes war, der alle Basen und Tanten in tausend Sorgen und tausend Verlegenheiten stürzte, so mußte sich dieser gerade jetzt zu jener Heldenhaftigkeit abklären, die, während sie selbst Wunder der Tapferkeit verrichtet, auch den Untergebenen im Sturme mit fortreißt und dem Könige Reiche gewinnt und dem Sieger Kränze.“

Wenige Minuten nachher saßen wir in dem kleinen Zimmer des Grafen Sch…, rauchten vortreffliche Cigarren und erzählten, was Jeder von uns während der letzten Monate erlebt hatte. Der Graf trug seinen Arm in der Binde und sprach bereits von seiner baldigen Abreise in die Heimath. Er war außer sich, die Armee nicht weiter begleiten zu können, und verwünschte jene französische Kugel, die ihm seine Siegerlaufbahn so jäh zum Ende geführt hatte. „Schauderöses Pech!“ schalt er; „aber ist mir ganz recht geschehen. Verdammtes Straßburg! Hatte Nichts dabei zu thun, ging mich gar Nichts an. Hätten die Andern auch fertig gekriegt. Brauchte meine Nase nicht in jeden Pulverdampf zu stecken.“

Die schöne Magda wollte uns wieder verlassen, und ich sprach ihr darüber meine Verwunderung aus.

„Glauben Sie, ich hätte nichts Anderes hier zu thun, als mit Ihnen zu plaudern und die Zeit zu vertändeln?“

„Aber Sie kamen doch, um den Grafen zu pflegen?“

„Gewiß, gewiß, und das thue ich auch, so gut ich es kann. Nicht wahr, Eugen?“

„Auf Ehre,“ lachte der Gefragte und drehte vergnügt die Spitzen seines blonden Schnurrbartes.

„Indessen, so schwer krank ist mein süßer Pflegling denn doch nicht mehr, daß ich immer bei ihm sitzen müßte, und da rufen mich denn ernstere Pflichten.“

„Sie machen mich neugierig.“

„O, ich habe mich schon im ganzen Spital umgesehen und unentbehrlich gemacht; alle Verwundeten und alle Kranken kennen mich. Wie reiche Hülfe auch am Platze ist, langt sie doch nicht überall aus, und so brave Leute darf man nicht leiden lassen. Und ist das Handeln für mich nicht Leben? Wer sein Leben nicht bethätigen kann, gilt mir für todt. Darum greife ich mit zu, wo ich kann; ich koche, verbinde, wende die Kisten, schreibe Briefe, lese vor, erzähle; ich bin rein ein –“

„Mädchen für Alles,“ scherzte der Graf, „indessen ich hier vor Sehnsucht vergehe, im Liebesfieber verschmachte. Habe gestern vor Sehnsucht poetisch gerast und Verse gemacht. Müssen sie nachher hören.“

„Ja, das müssen Sie,“ lachte das Mädchen lustig, „damit Sie sehen, wie mein Held im Kriege auch zum Dichter geworden ist. Aber ich meine, der Degen kleidet ihn besser als die Harfe. Aber nun adieu! Meine kranken Freunde warten auf mich.“

Damit rauschte sie zur Thür hinaus; ihre Coquettirlöckchen nickten, und der Graf sah ihr zärtlich nach.

„Verteufeltes Mädchen!“ sagte er dann und glaubte gewiß, etwas recht Liebevolles gesagt zu haben.

Ich stimmte kopfnickend bei. Nach einer Pause begann er wieder:

„War doch ganz famos in Suderode. He? Wissen noch? Stachelschwein?“

Ich bejahte. Er lachte.

„War ein Rendezvous. Sie verstehen, heimlich, aber verteufelt geschickt eingefädelt. Meine Braut war noch Gesellschafterin bei meiner Mama, der Gräfin. Lernte sie zuerst in Schlangenbad kennen, wo sie sich Schlangen um den schönen Hals wickelte und damit spazieren ging. Alle Weiber fielen schreiend in Ohnmacht, aber das gefiel mir, und ich verliebte mich rasend in sie. Ist ein verteufeltes Mädchen gewesen. Kam dann wieder in Garnison, aber auf Ehre: habe kein Weib mehr angesehen und immer nur Magda im Kopfe gehabt. Na, und so weiter und so nach und nach. Ohne daß Mama das Geringste merkte. O, wäre schauderöses Pech gewesen! Zuletzt Ausmarsch – Abschied – Park – Abends – Mondschein. Voilà. Konnte nicht abmarschiren, mußte mit Mädel erst im Reinen sein, wollte Alles klar haben. Na, und so weiter. Und wie ich verwundet bin, schreibt mir Mama, wolle mir Johann schicken, den alten Bedienten. Ich schreibe wieder, Esel solle zu Hause bleiben, kann ihn nicht brauchen, sollen mir Magda schicken, sei meine Braut, wolle Niemand Andern, und wenn sie nicht wollen, lasse ich mich in nächster Schlacht todtschießen. Na, sie kennen mich zu Hause und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_476.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2020)