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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Frau, die schon die Flucht ergreifen wollte, und drückte sie am Arme nieder, „bleibste sitzen! 's is nur schade um die scheenen Töpfchen.“

Der Officier indessen klemmte seinen Monocle noch fester in’s Auge und sah sich dann herausfordernd um. Einen Bahnwärter, der ihm unterthänigst vorzustellen wagte, daß ihm ein solches Wirthschaften mit leeren Gläsern auf dem Bahnhofe denn doch gegen das Bahnreglement zu verstoßen scheine, trieb er mit übermüthiger Scherzrede heim.

Da gewahrte er ein halbes Dutzend Soldaten, die in der Ferne standen und neugierig und lachend seinem Unfuge zugesehen hatten.

„Hierher, Kinder!“ commandirte er sofort – „he, aber fix! Jut, angetreten!“

Die Soldaten, die dem angeheiterten Vorgesetzten gegenüber mit Mühe ihr Lachen unterdrückten, stellten sich, der erhaltenen Ordre gemäß, Schulter an Schulter auf, den Kopf in die Höhe gerichtet, die Hacken zusammengeschlossen, den Daumen an der Hosennaht. Es waren Prachtleute, rothbäckig, dickköpfig; sie waren offenbar erst vor kurzer Zeit vom Pfluge und von Muttern gekommen, staken noch nicht lange in der Uniform und –

Verbanden auf das Beste
Mit dem letzten Bauernreste
Schon den Anfang vom Soldaten.

„Von welchem Regiment?“ fragte der Officier kurz, in seinen Stuhl zurückgelegt und mit dem einen Arme dessen Lehne umschlingend.

Die Soldaten beugten ihre Schultern herunter, und der Officier las von ihren Achselklappen laut die Regimentsnummer ab.

„Kellnär – sechs Seidel für Mannschaft – ein Seidel für mich! – durstig, Kinder? – He – natürlich – immer durstig –!“

Müller’s Fritze und Schulze’s Georg und Lehmann’s August verzogen ihre breiten Gesichter zu einem Grinsen, das sich ganz vergnügt ansah.

„Geht mir auch so – wollen sehen, wer besser trinken kann – aufpassen – Seidel ansetzen – zählen Eins, Zwei, Drei – dann lostrinken!“

Der Officier erhob sich von seinem Stuhle und stellte sich, das Glas in der Hand, vor die Fronte seiner Kinder. Er überragte die Bauerjungen mit seiner stattlichen Gestalt um Haupteslänge. Mit der Linken hielt er den Griff seines Degens umfaßt, mit der Rechten hob er sein Glas. So stand er mit gespreizten Füßen da, beharrlich das Monocle im Auge, und die Menge drängte neugierig herbei.

„Achtung!“ commandirte er jetzt – „und daß mir Keiner seine Nase vorher in’s Glas hängt! Achtung! Eins – zwei – drei!“ Und es war schade, daß keine katzenjammernden Geigen den Wetttrunk begleiteten wie den Falstaff’s und seiner Genossen in den „Lustigen Weibern.“

Die Soldaten schütteten in großen Zügen das Bier hinunter, aber der Officier war ihnen allen voraus; er kriegte sie Alle unter, und war, um ein Bild vom Pferderennen anzuwenden, um mehrere Nasenlängen früher am Pfosten, als sie; er stürzte triumphirend sein Glas um, selbst die Nagelprobe zu machen.

Ein lautes Hurrah aus der Menge belohnte seine siegreiche That. Denn jetzt fing sogar der Philister an, wieder zutraulich zu werden; er erfreute sich von ganzem Herzen an der gnädigen, leutseligen Weise, in welcher der Officier mit den Soldaten umgesprungen war, und ein solches Bierwettrennen war nun schon ganz nach seinem Geschmacke und seiner eigenen Liebhaberei.

Der Officier ließ sich wieder bei seinem Cameraden nieder und nahm mit sichtlichem Behagen die Glückwünsche desselben entgegen. Alles schien sich in Freude und Wohlgefallen auflösen zu wollen.

Da jammerte plötzlich eine Stimme neben ihm:

„Aber heeren Se, mein Kutester, ich will Sie doch sagen, daß Sie mer meine neie Hose och nicht gleich schmutzig zu machen brauchen.“

Der Officier fuhr in die Höhe und blickte in ein Gesicht, das giftig auf ihn gerichtet war. Er hatte bei der Nagelprobe vorhin aus dem Glas ein paar Biertropfen auf das Beinkleid eines Dresdner Spießbürgers geschüttet, der am nächsten Tische gesessen war und nun über das ihm widerfahrene Mißgeschick außer sich gerathen wollte.

Der Officier schnauzte ihn zornig an.

„Zum Teufel mit Ihnen!“ rief er. „Was geht mich Ihre Hose an!“

„So?“ höhnte der Andere. „Na, weeß Gott, Ihre Hose is es nu freilich nicht, und wenn sie’s wäre, dann kofen Sie sich ene neie, und die müssen die Berger dann dem Herrn Officier aus dem Staatssäckel bezahlen. Aberst –“

„Herr!“ brauste der Officier auf, und sein Camerad hielt ihn mit Mühe zurück.

„Jawohl,“ zischte der Andere unbeirrt; aberst die Hose hier is meine Privathose, und wenn Sie mer Ihr Biertöpfchen drüber ausschütten, dann koft mer ke Mensch –“

Der Officier hatte seine Ruhe merkwürdiger Weise ganz wieder gewonnen. Er sah sich sein bissiges Gegenüber schweigend an und holte dann sein Portemonnaie aus der Tasche.

„Hier,“ sagte er, es dem Dresdener Bürger hinstreckend, in gelassenem Tone, „hier! Sie sind nämlich ein janz unjemüthliches Haus. Nehmen Sie aus der Geldtasche, was Ihre Hose kostet, und dann lassen Sie mich in des Teufels Namen zufrieden!“

Der Andere that, als habe ihn eine Schlange gestochen.

„Ei herrjeses!“ schrie er voll Wuth. „Stecken Sie doch Ihre paar Groschen wieder ein! Sie menen wohl och, so ein einfacher Berger, der sich das ganze Jahr schindet und plagt, wenn andere Herren spazieren lofen, kann sich kene neie Hose kofen. Na, Gott sei Dank! so weit sein mer noch nicht. Aber warten Se nur! Sie werden och noch aus’m andern Loche pfeifen, wenn die Franzosen emal kommen und wenn –“

Der Officier sprang todtenblaß auf seinen Gegner zu, mit einem einzigen Ruck hatte er seinen Stuhl ergriffen und schwang ihn nun mit kräftigem Arme über dem Haupte des unglücklichen Dresdeners hin und her.

„Noch ein einziges Wort, Herr!“ rief er mit blitzendem Auge, „noch eine einzige Silbe, und ich zerschmettere Sie mit diesem Stuhle, daß kein Stäubchen von Ihnen übrig bleibt, Sie erbärmlicher Wicht, Sie!“

Der also Bedrohte zog sich mit beispielloser Geschwindigkeit vor der sichtlichen Gefahr zurück, während auch die andern Männer bestürzt zurückgewichen waren und die Frauen mit Zetergeschrei sich flüchteten.

Der Vorgang hatte etwas Aufregendes. Ich muß indessen gestehen, so sehr ich den früheren Uebermuth des Officiers mißbilligt hatte, so sehr bewunderte ich jetzt die männliche Schönheit und Kraft, in welcher er, noch immer den Stuhl in der hochgehobenen Rechten und bereit, ihn jeden Augenblick auf seinen feigen und perfiden Angreifer schmetternd niederfallen zu lassen, zürnend dastand. Alle Muskeln schienen in der höchsten Erregung angespannt, und es war, wie wenn er mit einer einzigen Bewegung seines Armes die ganze wackere Bürgerschaft vom Perron fegen könne. Ich weiß nicht, wie es kam: aber in demselben Moment dachte ich mir den Mann, der jetzt auf’s Tiefste beleidigt, die Wucht seines zornbewaffneten Armes gegen einen unwürdigen Gegner richten zu wollen schien, im Feld an der Spitze seiner Compagnie, seines Bataillons, voll Energie, voll Leidenschaftlichkeit, voll strotzender, übermüthiger Kraft und voll Ehrgeiz – ich glaubte einen jungen Gott des Krieges zu sehen; sein Anblick entzückte mich, und Mannhaftigkeit und Kriegsglück waren, wie dem Kriegsgott in Sparta, gewiß auch ihm stete Begleiter. –

Das war der nämliche Officier, den ich in den Fesseln der Liebe und vom Finger eines schönen Mädchens geleitet in Suderode nun zum zweiten Male gesehen hatte. Mars hatte seine Aphrodite gefunden und tändelte mit ihr in behaglicher Ruhe, während der kleine Eros, der hier nichts mehr zu thun hatte, daheim in der Caserne sich gewiß die Pickelhaube auf den Kopf gesetzt hatte und mit dem siegreichen Degen spielte. –

Einige Monate nachher sollten sich unsere Wege abermals und unter ganz anderen Umständen kreuzen.

Straßburg war gefallen, war den räuberischen Franzosenhänden wieder entrissen, und ich brannte vor Begierde, des heiligen römischen Reiches Vormauer in deutschem Besitz und unter deutscher Botmäßigkeit wiederzusehen. Der Anblick war erschütternd und die herrliche Stadt mit den unabsehbaren Trümmerhaufen der nördlichen Quartiere und mit den schwarzen Brandruinen der öffentlichen Gebäude hatte theuer genug mit ihrem Gut und Blut den frevelhaften Leichtsinn Jener gebüßt, die das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_474.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)