Seite:Die Gartenlaube (1877) 460.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Zur Wand!“ herrschte er den Schiffsleuten zu; „ich will Euch zeigen, was möglich und nicht möglich ist.“ Vergebens suchte man den Tollkühnen von seinem Vorhaben abzubringen; er wußte es schließlich zu erzwingen, daß man an der Wand beilegte; der verwegene Bursche schwang sich, mit der Büchse auf der Schulter, aus dem Kahne und trat den Weg an, den vor und nach ihm Niemand gemacht hat. Mit jeder Minute zeigten sich neue Schwierigkeiten; zollbreite Vorsprünge mußten willkommene Anhaltspunkte bieten; der Kletterer mußte sich über vorhängende Blöcke hinweghelfen; Finger, Kniee und Fußspitzen mußten helfen, und endlich war er glücklich oben angelangt. Ein heller Juhschrei bedeutete das Gelingen des Wagnisses, und dann beugte der Uebermüthige das Knie zu einem andächtigen Ave, denn der ungleich gefährlichere und schwierigere Theil des Unternehmens war noch zu vollbringen: der Abstieg. Alle die Stellen, welche vorher das Auge mühsam gefunden hatte, mußte nun der tastende Fuß suchen und erreichen – ein Fehltritt hätte den sichern Tod gebracht. Mit Grausen sahen die Cameraden des Verwegenen dem langsamen Vorrücken zu, das eine Muskelkraft, eine Geschmeidigkeit und Kaltblütigkeit erforderte, wie sie selbst unter diesen Leuten höchst selten ist. Endlich war’s gelungen; der Erschöpfte sprang in den Kahn und empfing die stürmischen Lobeserhebungen und Umarmungen von neugewonnenen Freunden, welche nie mehr ein spöttisches Wort über ihn hören ließen und ihn respectvollst behandelten. In St. Bartholomä floß natürlich der Wein in Strömen, und es gab ein Fest, wie selten eins im stillen Kloster gefeiert worden war.

Die Kunde von dem Abenteuer des jungen Forstgehülfen drang zu den Ohren des Königs; derselbe ließ sich den Gesellen vorstellen und machte ihm ein königliches Geschenk; zudem gewann der junge Forstmann so sehr die Gunst des Monarchen, daß er ihn häufig ganz allein auf Jagdgängen und sonstigen Streifereien in den Bergen begleiten mußte. Das Ereigniß selbst prägte sich jedoch dem Helden desselben unauslöschlich ein, und jedes Mal, wenn er nach langen Jahren, längst der Thätigkeit als Jäger entrissen, im Kreise von Bekannten diesen Vorgang schilderte, übermannte den alten Mann die Erinnerung an die aufregende Stunde so, daß seine Augen sich mit Thränen füllten. Daß ein solcher Mensch bald ein Schrecken der Wilderer werden mußte, ist natürlich; war es ja doch der höchste Ruhm, als der gefürchtetste Jäger im Reviere zu gelten. Ein gefährlicher Ruhm, denn jede Wildschützenkugel war in erster Linie für ihn gegossen und er konnte unter keinen Umständen auf Schonung rechnen. Das kümmerte Hannickl jedoch nicht viel; es verging kaum eine Woche, in der er nicht ein Abenteuer bestanden hätte.

So ging er einstens ohne Büchse, nur mit einem derben Stocke versehen, in der Abenddämmerung von Königssee nach Berchtesgaden zurück. Unterwegs fing der ihn begleitende Dachshund plötzlich zu knurren an; der etwas angeheiterte Jäger folgte den Blicken des Hundes und gewahrte oben an einem Hange in einer Lichtung zwei Gestalten, mit Flinten versehen, auf dem Anstande sitzend.

Der Forstgehülfe besinnt sich nicht lange; behutsam schleicht er sich von der Seite gegen den Standpunkt der Wilderer hinauf, springt hinter einen Baum, hält den Stock an die Backe und donnert den überraschten Wilderern ein lautes „Gewehr ab, oder es blitzt!“ entgegen. Die Burschen sehen den Jäger im Anschlage, wissen, daß derselbe schon oft furchtbaren Ernst gemacht hat, legen schleunigst die Gewehre ab und suchen ihr Heil in der Flucht. Der Jäger versichert sich sofort der Schußwaffen und setzt dann den Fliehenden nach, von denen er einen erwischt und sammt den beiden Abschraubstutzen beim Landgerichte einliefert.

Ein anderes Mal brach er, in einer Almhütte von Wilderern eingeschlossen, durch das Dach und stand plötzlich vor zwei mit Beute beladenen, ahnungslosen Jagdfrevlern, die nicht Zeit fanden, ihre Gewehre zu gebrauchen. Mit gespannter Büchse trieb er sie drei Stunden vor sich her und zwang sie, selbst den gefürchteten Weg zum Landgerichte einzuschlagen. Die Leute wußten ganz genau, daß die Drohung, Hannickl werde beim ersten Fluchtversuche den Ausreißer niederschießen, eine ausgesprochene Lebensgefahr bedeute.

In einer sogenannten Brennerhütte gerieth der Gleiche einmal mit einigen höchst zweideutigen Burschen zusammen. Dieselben waren unbewaffnet und schienen friedliche Holzarbeiter zu sein. Der reichlich genossene Enzianschnaps that jedoch das Seinige, und binnen kurzer Zeit war der Jäger in den heftigsten Disput mit den Burschen gerathen. Ein Wort gab das andere; schließlich kam es seitens der Uebermacht zu Drohungen. Hierdurch auf’s Höchste gereizt, rief der Jäger den Burschen zu, sie könnten ihm nichts anhaben, er wolle es auf die härteste Probe ankommen lassen. Er übergab dem Brenner Büchse und Knicker, ließ sich die beiden Daumen zusammenbinden und stellte sich dann in die Mitte des kleinen Gemachs, die verblüfften Gäste zum Angriff herausfordernd. Dieser ließ nicht lange auf sich warten, allein der kräftige, gewandte Jägersmann gebrauchte Füße, Ellenbogen und Kniee mit solchem Nachdrucke, daß ihm nach kurzer Zeit der Sieg vollständig zugesprochen werden mußte. Allerdings kostete es dem Veranlasser dieser Kraftübung ein hübsches Stück Geld, denn der Brenner wollte für ein paar zertrümmerte Tische, Bänke und Fenster eben auch entschädigt sein.

An einem unglücklichen Tage gelang es seinen Feinden ihn zu überwältigen und sich seiner zu bemächtigen; man schleppte ihn weit vom Wege ab durch Dick und Dünn auf einen freien Platz, wo förmlich Gericht über ihn gehalten wurde. Alle möglichen Vorschläge wurden gemacht, dem Gehaßten die Rache des Wildschützen recht fühlbar zu machen; nichts schien für den Berchtesgadner Teufel schlimm genug; endlich wurde ein wahrhaft höllischer Vorschlag acceptirt. Der gebundene Jäger wurde zu einem großen Ameisenhaufen geschleppt; seine Hände band man rechts und links an Baumstämmchen an und grub nun seinen Kopf in den Ameisenhügel ein. Nachdem die Unmenschen noch mit Prügeln an dem Wehrlosen ihr Müthchen gekühlt hatten, gingen sie ihres Weges, in der sicheren Voraussetzung, den Gehaßten einem qualvollen Tod überlassen zu haben. Der Gemarterte machte alle Anstrengung, sich zu befreien, schon waren die lästigen Thiere in Nase und Ohren eingedrungen und peinigten den Armen auf die entsetzlichste Weise. Halb wahnsinnig vor Wuth und Schmerz gelang es ihm endlich die Bande abzustreifen, obschon Haut und Fleisch dadurch bis auf die Knochen zerfetzt wurde. Einige Wochen lang mußte der Unverwüstliche das Zimmer hüten, dann aber ging’s wieder auf die Fährte. Es dauerte nicht lange – da fand man eines Tages einen Wilderer mit einem Schusse durch den Kopf. Niemand vom Jagdpersonal wollte etwas von einer Begegnung mit dem Erschossenen, der einer der berüchtigtsten Wildschützen der Grenze war, wissen. Die Besuche von dieser Seite her wurden jedoch seltener.

Bei allem dem fehlte es ihm nicht an jener Gutmüthigkeit und Herzensgüte, die allen Naturmenschen eigen ist. So gelang es ihm einmal nach vielen fruchtlosen, sauren Gängen eines Wilderers habhaft zu werden, und ohne Verzug ward der Gang zum Markte Berchtesgaden angetreten. Der Ertappte war ein dem Jäger wohlbekannter Bauerssohn aus der Gegend, und es ging dem Forstgehülfen fast etwas nahe, denselben in’s Gefängniß liefern zu müssen. Nicht weit vom Bestimmungsorte hörte er hinter sich rufen, und ein Mädchen eilte herbei, welches händeringend um Freigabe des Gefangenen flehte. Als sie unter Jammern und Weinen erzählte, daß Letzterer in acht Tagen mit ihr hätte Hochzeit machen sollen und nun ihr ganzes Lebensglück vernichtet sei, wurde Hannickl weich und gab nach unter dem Vorbehalt, daß er an höherer Stelle diesen Vorfall berichten werde, um im gegebenen Falle keiner Pflichtverletzung geziehen zu werden; wenn’s unglücklich für die Liebenden ausfalle, wüßte er den „Wastl“ immer wieder zu finden. Andern Tages begab er sich schnurstracks – zum König, bei welchem er sich Gehör zu verschaffen wußte. Ludwig der Erste war edel genug, dem Forstgehülfen volle Absolution zu ertheilen, denn die königliche Gnade hatte oft genug mitsprechen müssen, wenn einer der tollen Streiche, die Hannickl nicht selten vollführte, seiner verhängnißvollen Wirkungen entkleidet werden mußte.

Der Krug geht jedoch so lange zum Brunnen bis er bricht. Dieses Sprüchwort sollte sich auch an dem Berchtesgadner Forstgehülfen bewähren. Er kam eines Tages in ziemlich angeheitertem Zustande in ein Wirthshaus des Marktes und wurde von den Anwesenden wegen seiner zweifelhaften Nüchternheit aufgezogen. Gereizt, behauptete er völlig nüchtern zu sein und erbot sich zum Beweise dafür, einen Meisterschuß zu thun. Er riß die Büchse von der Schulter, legte an und schoß durch das Fenster und dem eben vorübergehenden – Ortsgeistlichen den Hut vom Kopfe. Es versteht sich von selbst, daß ihm der Proceß gemacht wurde,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_460.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)