Seite:Die Gartenlaube (1877) 452.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

verdeutscht. Um den Gebrauch der Rose als Symbol des Geheimnißvollen auf das Alterthum zurückzuführen, hat man die Mythe erfunden, Amor habe im Auftrage seiner Mutter dem Gotte des Stillschweigens die Rose gewidmet, um seine Verschwiegenheit über gewisse „unter den Rosen“ geschehene Dinge zu erkaufen, und hat diese dem Gotte des Schweigens gegenüber etwas sonderbare Vorsicht in einem lateinischen Epigramme gefeiert, dessen ungeschickte Uebersetzung an der linken Seitenwand des Bremer Rathskellers zu lesen steht, während eine etwas bessere lautet:

Rose, Blume der Venus, dich gab dem Harpokrates Eros,
Daß im Verborgenen bleib, was seine Mutter gefehlt.
Darum hängt der Wirth die Rose über die Tafel,
Daß, was darunter gesagt, weise verschweige der Gast.

Jedenfalls hängt mit diesen indogermanischen, wie Schleiden glaubt, auf die Rosenhage der Landtagsversammlungsorte bezüglichen Anschauungen der alte Gebrauch zusammen, die Rose im Petschaft und als Abzeichen geheimer Gesellschaften zu führen. Hierher gehören die mannigfachen Rosen- und Rosenkreuzerorden, die zum Theil sehr frivoles Treiben unter der Wappenblume der Verschwiegenheit bargen, besonders aber die Bauhütten des Mittelalters, die dieses Bundessymbol den Freimaurern vererbt und an manchen Bauwerken verewigt haben. So sieht man über dem Eingange zum Ruprechts-Bau des Heidelberger Schlosses das auf unserer Abbildung wiedergegebene Wappen, einen von zwei Engeln getragenen Kranz aus fünf Rosen, in welchen einer derselben einen halbgeöffneten Cirkel einsetzt, als wolle er andeuten, daß ein tiefes mathematisches Geheimniß in diesen Rosen, deren Fünfzahl offenbar bedeutsam ist, ruhe. Mit diesem mathematischen Geheimniß wollen wir uns heute beschäftigen.

Die Rose galt nicht weniger als Symbol der Mystik oder des religiösen Geheimnisses, als der Kunstgeheimnisse und des Räthselhaften überhaupt, und die Meistersinger, die in der Regel zugleich Räthselschmiede waren, hingen einen Rosenkranz als Preis für die Lösung der von ihnen aufgegebenen Versräthsel auf und begannen ihren Vortrag mit einer Aufforderung, die wohl mehr oder weniger meist der folgenden von Uhland mitgetheilten glich:

Nun rathet, ihr Meister, was es sei!
Mein Kränzlein hänget auf dem Plan
Und ist gemacht von edlen Rosen roth!
Wer mir auflöset diesen Bund,
Mein Kränzlein er von mir gewonnen hat.

In einem dieser Volksräthsel, welches aber wohl nicht allzuweit zurückreicht, dennoch in verschiedenen Gestalten umläuft, tritt uns die Rose selbst als das Räthsel entgegen, dessen Auflösung wir später versuchen wollen. Es heißt:

Fünf Brüder sind’s zur gleichen Zeit geboren,
Doch zweien nur erwuchs ein voller Bart,
Zwei andern blieb die Wange unbehaart,
Dem dritten ist der Bart zur Hälft’ geschoren.

Oder: „Fünf Brüder von einer Art, – Zwei tragen einen ganzen Bart – Einer blos den halben – Zwei sind geschoren, – Und sind alle in Einer Nacht geboren.“ Die fünf gleichaltrigen Brüder, um deren Backenbärte es sich handelt, sind die fünf Kelchzipfel der Rose und schon Mancher von den Lesern dieses Aufsatzes dürfte die ungleiche Bartbildung derselben, die bei wilden und im Garten gezogenen Rosen mehr oder weniger deutlich – am schönsten freilich bei der Moosrose – hervortritt, mit Erstaunen beobachtet haben.

Nach der ersten Lösung, die wir hinter uns haben, wandelt sich dieses Rosenräthsel in die Frage: woher kommt diese Ungleichheit der fünf Brüder? Die Rosenknospe giebt uns die Lösung, indem sie erkennen läßt, daß die beiden bärtigen Brüder an ihr mit beiden Rändern nach außen, der halbbärtige halb nach innen, die beiden bartlosen dagegen gänzlich an den Rändern zugedeckt lagen, so daß wir zwei äußere und zwei innere Kelchblätter zu unterscheiden haben, nebst einem, welches den Uebergang von den äußern zu den innern macht. Aber siehe da, jetzt, da wir bei der zweiten Lösung stehen, geht das eigentliche Räthsel und Geheimniß der Rose erst an.

Wenn wir nämlich der Sache genauer nachforschen und das gefundene mit andern Blattstellungsverhältnissen vergleichen, so erkennen wir, daß es hier einen alleräußersten und einen allerinnersten Kelchzipfel giebt, und daß, wenn wir den ersteren mit Nr. 1 und den letzteren mit Nr. 5 bezeichnen, die natürliche Reihenfolge nicht von Nachbar zu Nachbar fortschreitet, sondern daß wir immer einen oder zwei Zipfel überspringen müssen, um zum nächstfolgenden zu kommen, je nachdem wir in der einen oder in der andern Richtung herumzählen. Wir müssen also bei Verfolg des „kurzen Weges“, den wir bei Blattstellungsverhältnissen wie im Leben meistens vorziehen, zweimal im Kreise, oder genauer gesagt, in einer Uhrfederspirale herumgehen; die fünf Blätter sind auf zwei Windungen derselben vertheilt; sie stehen, um es mit zwei Zahlen zu bezeichnen, in 2/5-Stellung.

Wenn wir denselben Weg von der Spitze oder dem Grunde des ersten Zipfels zum zweiten in einer graden Linie zurücklegen, und so fortfahren bis zum letzten, so beschreiben wir mit einem Zuge ein Zeichen, mit welchem seit undenklichen Zeiten der Begriff eines großen Geheimnisses verknüpft worden ist, das Pentagramma oder den Drudenfuß. (Fig. 2.) Die Pythagoräer benützten diesen Linienzug als ihr geheimes Erkennungszeichen und setzten ihn über ihre Briefe; die Druiden der Celten trugen ihn als Abzeichen auf ihrem Priesterornate, und die Christen bannten damit den Teufel, weshalb Mephistopheles sagt: „Das Pentagramma macht mir Pein.“ Als den geheimnißvollen, kräftiger als selbst das Kreuzeszeichen wirkenden Charakter kann man das Pentagramm sogar in den Fensterrosen gothischer Kathedralen angebracht finden, z. B. der zierlichsten von allen, der Kirche Saint-Ouen zu Rouen. Ob es ein bloßer Zufall ist, der den geöffneten Cirkel am Heidelberger Schlosse in den Kranz von fünf Rosen setzte, und damit das aus fünf solchen Winkeln bestehende Pentagramm (d. h. Fünfwinkel) in eine mystische Beziehung zur Rose bringt, wissen wir nicht; jedenfalls ist das Pentagramm im Rosenkelche deutlicher ausgeprägt, als in irgend einem Naturdinge. Nirgends tritt uns verständlicher als im Rosenkelche die Wahrheit entgegen, daß die ganze Welt, wie die Bibel sagt, streng nach Maß und Zahl geordnet ist, und wir haben Recht, im Pentagramm eine geheimnißvolle Signatur der allwaltenden Gesetzlichkeit in der Welt zu erkennen.

Die durch das Pentagramm aus der Vogelperspective bezeichnete Zweifünftel-Blattstellung drückt nämlich in der einfachsten Form die gewöhnliche Regel aus, nach welcher die Blätter am Stengel und in den Blüthen einer sehr großen Anzahl Pflanzen vertheilt sind. Betrachten wir einen jungen Trieb des Brombeerstrauches, oder noch besser eine Ginsterruthe, so können wir, da beide fünfkantig sind, mit der größten Leichtigkeit verfolgen, daß, bei welchem Blatt des Stengels wir auch zu zählen anfangen, immer erst das sechste Blatt wieder über dem ersten steht, und daß wir hierbei auf dem „kurzen Wege“, wie bei der Rose, aber diesmal in einer etwas langgezogenen Propfenzieherlinie um den Stengel herumgegangen sind, bevor mit dem Sechsten Blatt ein neuer Cyklus beginnt. Der Genfer Naturforscher Bonnet, welcher die Gesetzmäßigkeit der Blattvertheilung um die Stengel zuerst bemerkte, glaubte darin das tiefe Geheimniß zu erkennen, durch welches der Schöpfer erreicht habe, allen so vertheilten Pflanzenblättern Regen und Sonnenschein, Thau und Wärme möglichst gleichmäßig zukommen zu lassen, und sagt: „Ich muß es gestehen, daß mich diese Vertheilungen der Blätter sehr gerührt haben, und ich habe mit innigstem Vergnügen die verehrungswürdige Weisheit bewundert, welche zu diesem Endzwecke so geschickte Mittel gewählt hat.“

Was würde der fromme Bonnet erst gesagt haben, wenn er erlebt hätte, welche Wunder die Botaniker Karl Schimper, der vor einigen Monaten heimgegangene Professor Alexander Braun u. A. in der Vertheilung der Blätter um die Pflanzenachsen entdeckt haben! Man bemerkte sehr bald, daß noch viele andere ähnliche Stellungsverhältnisse vorkommen, und daß, wenn man die am häufigsten beobachteten in gleicher Weise als Brüche niederschreibt, deren Zähler die Zahl der Umgänge bezeichnet, die man von Blatt zu Blatt herumgehend machen muß, bis man zu dem nächsten Blatte kommt, welches genau über dem ersten steht, deren Nenner aber die Zahl der auf diese Umgänge vertheilter Blätter angiebt, man die folgende Reihe erhalten wird: 1/2; 1/3; 2/5; 3/8; 5/13; 8/21; 13/34; 21/55 etc.

Man erkennt leicht, daß in dieser Reihe jeder Zähler und jeder Nenner gleich der Summe der beiden ihm vorausgegangenen Zähler oder Nenner ist, und läßt sich von einem Mathematiker weiter erklären, daß diese Reihe: 1; 2; 3; 5; 8; 13; 21 … eine sehr tiefsinnige ist; sofern sich die einzelnen Glieder fortschreitend immer mehr dem Verhältnisse des sogenannten

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 452. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_452.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)