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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


die man bekommt, sind fast ausnahmslos schlechter als die auf diese Weise verlornen Diener. Das wohlthätige Bewußtsein, die Seele und das lenkende Princip im Hause zu sein, geht den europäischen Frauen auf diese Weise bald verloren. Ebenso bedeutend, ja noch größer ist der Einfluß, den japanische und chinesische Ammen und Bonnen auf die ihnen anvertrauten Pfleglinge gewinnen. Die Kinder lernen im besseren Fäll einige Laute der Muttersprache und daneben sehr viel japanisch, oft in den ersten zwei Jahren ihres Daseins nur das letztere, da sie ja den größten Theil des Tages und der Nacht von dem fremden Idiom umgeben sind. Denkende Mütter werden am besten beurtheilen können, wie sehr durch diese anscheinende Aeußerlichkeit die Freude an der Entwickelung der Kleinen beeinträchtigt wird. Leider tritt häufig durch Einflüsse auf die Gesundheit, die wir an dieser Stelle nicht näher besprechen können, der Fall ein, daß nach der Geburt des ersten Kindes die Ehen unfruchtbar bleiben. Es fällt dadurch eins der ersten Schutzmittel gegen häusliche Langeweile fort, für die durch die eben dargelegten Verhältnisse bereits Thür und Thor geöffnet sind. Denn die Geselligkeit, wie sie in den von Europäern aufgesuchten japanischen Städten cultivirt wird, ist nicht im Stande, eine entstehende Leere im Gemüth auszufüllen. Der Mann geht seinen Beschäftigungen nach, die, wenn sie auch seinen Geist oft nicht gerade erheben, ihm doch das erhoffte Ziel eines unabhängigen Lebens in der Heimath immer näher rücken; er sieht oft genug die Abendbesuche in anderen Häusern, besonders bei Bekannten, die anderen Nationen angehören, als lästige Störungen seiner Ruhe an. Die Frau dagegen, im Hauswesen gewissermaßen pensionirt, ihrem Kinde oder ihren Kindern halb entfremdet, ersehnt die oft schaalen Zerstreuungen und die magere Unterhaltung des Abends als einzige Abwechselung; selbst an Spazierengehen, an die Abwechselung durch Einkäufe etc. ist ja bei den Erschwerungen der Communication wenig zu denken.

Auch sind die Fälle nicht selten, in denen das Klima Japans, sonst mit Recht als eines der besten überseeischen anerkannt, doch auf den weiblichen Organismus eine nachtheilige Wirkung ausübt. Dieselbe tritt im dritten oder vierten Jahre als eine ganz auffällige Widerstandslosigkeit gegen Temperatureindrücke hervor, so daß in den Monaten Juli und August die Hitze, im Januar und Februar die Kälte trotz aller Schutzmittel so heftig empfunden wird, daß niemals ein Gefühl des Behagens mehr entsteht. So wird bei der Frau die Sehnsucht nach Hause bald krankhaft; die sieben Wochen hin und ebensoviel her erfordernde Correspondenz kann das Aussprechen mit den Verwandten, mit einer Freundin nicht ersetzen. „Nach Hause!“ ruft jeder Morgen und jeder Abend, und nur die festeste, innigste Neigung zum Manne hält sie ab, dem oft gegebenen Beispiele zu folgen, und mit dem Kinde allein den Weg nach Europa anzutreten. –

Ich schildere hier nach häufig erlebten Beispielen, nach von mir mit größter ärztlicher und menschlicher Theilnahme verfolgten Lebensbildern. Wie ich den Ideengang einer denkenden und fühlenden Frau, die mit einem japanischen Gemahl dorthin geht, schildern soll, weiß ich nicht. Denn die wenigen Bräute, welche ich während meines Aufenthaltes in der Absicht, sich dort mit einem Eingeborenen zu verheirathen, ankommen sah, machten, bis auf eine, nach der oberflächlichsten Kenntniß der dortigen Verhältnisse ihre Verlobung rückgängig. Fangen wir bei den Aeußerlichkeiten an! Zugegeben, daß der von einem hohen Posten in Europa heimkehrende japanische Beamte dort sofort wieder eine Stellung bekommt, welche wirklich dem in europäischen Sprachen gewöhnlich sehr vollklingenden Titel entspricht; angenommen selbst, daß das Gehalt, welches er in der japanischen Heimath empfängt, mit dem in Europa erhaltenen einige Aehnlichkeit besitze; die Möglichkeit sogar zugegeben, daß er disponibles Vermögen hat: einen wirklich europäischen, mit einigem Comfort eingerichteten Haushalt zu führen, wird ihm sehr schwer fallen. Ich habe reiche, sehr reiche Japaner zu Patienten gehabt, die von der Wiener Weltausstellung sich Prachtmobilien mitgebracht hatten und ganz europäisch eingerichtete Villen besaßen – und nicht einmal darin lebten. Unbenutzt verwahrloste der fremde Hausrath, während die Besitzer in landesüblicher Weise in einem kleinen hölzernen japanischen Hause mit ihren Freunden auf der Matte hockten und bei Nacht das primitive Lager auf dem Boden den europäischen Bettstellen weit vorzogen. Hätten sich dergleichen mit der europäischen Cultur in flüchtige Berührung gekommene Japaner auch selbst ihr anbequemt – keinen ihrer Verwandten, besonders aber kein weibliches Wesen ihrer Familie würden sie zur Nachahmung bewogen haben. Denn diese alle ziehen das Hocken auf dem Boden mit untergeschlagenen Beinen jeder anderen Position vor; ihre Kleidung, ihre Haarfrisur, ihre Nationalgerichte werden sie keinem Culturbeispiel aufopfern, und das Erste, was sie der in ihren Familienkreis neueintretenden jungen Gattin anzubieten haben, wird neben einer Tasse Thee ein Sitz auf dem Boden und die vielgeliebte Tabakspfeife sein.

Der Verkehr europäischer Männer mit japanischen Männern (denn von einem Verkehr mit japanischen Familien ist schon deshalb gar nicht die Rede, weil die Familie, besonders die Frauen und Nebenfrauen, für Fremde gar nicht existiren) – jener Verkehr also beschränkt sich meistens auf das Nothwendige und Officielle. Selbst große Zweckessen, wie sie von den japanischen Ministerien veranstaltet werden, vermeidet man ihrer entsetzlichen Langweiligkeit wegen sehr gern. Kümmerlich fristen sich zuweilen gesellschaftliche Verhältnisse zwischen hohen japanischen Beamten und Europäern hin, die davon Vortheile zu erlangen hoffen – sie werden abgebrochen, sobald es irgend angänglich erscheint. Der Verfasser hat bei lebhaftem sonstigem Verkehr in seinem Hause niemals einen Japaner als Gast bei sich gesehen. Es mangelt eben jeder Unterhaltungsstoff, jede Anregung geistiger Beziehungen, jeder behagliche Berührungspunkt in einer über dem gemeinen Leben sich aufthuenden Sphäre. Stumm-bescheiden genießen sie die dargebotenen Speisen und Getränke, nur auf Fragen vorsichtige Antworten gebend; ängstlich vermeidet der feinere Japaner den Genuß des ihn schnell berauschenden Weines oder er gesteht, wenn er naiv und unbedachtsam zugegriffen hat, nach dem dritten oder vierten Glase Champagner mit funkelnden Blicken: „Ich liebe Ihre Civilisation sehr.“

Nun, kann man tröstend sagen, es bleibt ja der aus Europa kommenden Frau der Verkehr mit den vierzig bis fünfzig europäischen Damen, unter denen sich gewiß acht oder zehn ihrer eigenen Nationalität vorfinden. Wie sieht es aber damit aus? Ich befand mich einst in einer aus den besten dort lebenden europäischen Elementen bestehenden Herren- und Damengesellschaft. Es wurde die bevorstehende Ankunft einer mit einem Japaner verlobten Europäerin lebhaft discutirt. „Wo wird man sie denn zu sehen bekommen?“ hieß es. Da erklärte zuerst eine der anwesenden Damen, daß sie niemals ihr Haus der Frau eines Japaners öffnen werde, sei sie früher gewesen, was sie wolle, und ein ganzer Chorus der Anwesenden, Damen wie Herren (in den ich, wie ausdrücklich bemerkt sein soll, nicht einstimmte), pflichtete ihr laut und unumwunden bei. Eine einzige der anwesenden deutschen Damen hatte den Muth und die Hochherzigkeit zu erklären: „Ich würde wenigstens einen Versuch machen und, wenn sie mir gefiele, schon aus Mitleid mit ihr dauernd verkehren. Die häufigere Anwesenheit des Herrn Gemahls allerdings oder die Einführung etwaiger Anhängsel desselben würde ich mir selbstverständlich verbitten.“ Die Härte der anderen Anwesenden gründete sich nicht etwa auf englische Prüderie oder romanische Deutschenverachtung, sondern sie wurde entschuldigt mit der zweifelhaften Rechtsstellung der Frau, welche der Japaner noch bis in die neueste Zeit einfach fortzuschicken oder durch „Nebenfrauen“ zu ersetzen das Recht hatte.

Die Gesetzgebung der neuesten Jahre ist ernstlich bemüht, diese Verhältnisse zu verbessern. Schon sind die Grundlagen eines gerichtlichen Verfahrens der Ehescheidung ausgearbeitet. Ferner wird es, wenn mehrere Ehen europäischer Frauen mit Japanern vorkommen werden, möglich sein, daß dieselben unter einander verkehren und bald auch ihren glücklicher situirten Landsmänninnen die Ueberzeugung beibringen, daß sie durch ihre Wahl an innerem Werth nichts verloren haben. Doch werden bis dahin viele Jahre vergehen, und in der Zwischenzeit handelt es sich um einen sehr mühevollen, aufopfernden und doch vielleicht nur kärglich belohnten Pionierdienst.

Dr. A. Wernich.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_435.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)