Seite:Die Gartenlaube (1877) 430.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Das Mädchen war bei der Erzählung immer unruhiger und immer blässer geworden; unwillkürlich hatte sie sich erhoben und hielt sich an dem Wandkasten neben ihr fest; sie zitterte, daß die Gläser und Teller in demselben zu schüttern begannen; als ihr bei der Beschreibung der Münze kein Zweifel mehr blieb, knickte sie zusammen und fuhr mit einem leisen Aufschrei nach der Stelle, wo der Thaler hing, als wäre ihr ein plötzlicher Stich mitten durchs Herz gedrungen.

Der Bauer schien ihre Erregung nicht zu verstehen und fuhr gelassen fort: „Ich hab’ in der ersten Zeit nit daran gedacht, nach den Eltern von dem Kind zu fragen, und bald – ich muß es sagen, wie es ist – bald hab’ ich auf die ganze Sach’ vergessen; wie es mir dann wieder eingefallen ist, hab’ ich nichts mehr erfahren können; die Gevatterin war derweil gestorben; die Hebamm’ in einen andern Ort gezogen, und so hab’ ich nicht einmal erfahren, wem das Kind eigentlich gehört hat und was aus ihm geworden ist. In den letzten Tagen bin ich jetzt daran gemahnt worden, daß ich da mein Wort gegeben und nit gehalten hab’, und Wort halten, das ist, so lang’ ich leb’, mein größter Stolz. Gestern bin ich beim Pfarrer gewesen und hab’ mir das alte Taufbuch aufschlagen lassen – es war auch nichts Gewisses heraus zu lesen: d’rum bin ich hinaus gefahren zur Rundcapelle, ob ich nicht unter der Hand von dem Einen oder Anderern etwas erfahren könnt’ – da hat der Anhängthaler seine Schuldigkeit gethan und hat Dich mir verrathen.“

Der Bauer schwieg und schien eine Antwort zu erwarten, aber das Mädchen war noch zu aufgeregt, um eine solche geben zu können.

„Nun, sagst Du gar nichts?“ begann er wieder. „Jetzt weißt Du Alles; jetzt weißt Du, daß ich ein besseres und ein älteres Recht auf Dich hab’, als jeder Andere. Jetzt gieb mir eine richtige Antwort!“

Engerl hatte die Hand nicht mehr von dem Geschnür weggebracht und an dem Thaler herumgenestelt; nun war derselbe von der Kette gelöst. Raschen Schritts trat sie näher und legte die Münze auf den Tisch.

„Da ist meine Antwort,“ sagte sie kurz und fest. „B’hüt Gott, Himmelmooser! Wir Zwei sind fertig mit einander.“

„Das kann nit Dein Ernst sein,“ erwiderte der Bauer, indem er sich ebenfalls erhob, während sie sich der Thür näherte. „Du kannst Dir auch wohl einbilden, daß ich nach dem Allem, was jetzt unter uns geredet ist, Dich nit so mir nichts Dir nichts gehn lassen werd’; erst müssen wir mit einander im Reinen sein. Ich bin einmal mit Dir versprochen und bleib’ dabei: Du mußt Himmelmooserin sein.“

„Zu einem solchen Versprechen gehören ihrer zwei,“ sagte das Mädchen und trat zur Seite, da er ihr den Weg zur Thür versperrt hatte. „Was meinen Theil betrifft, so hab’ ich nichts versprechen können, weil ich ein Kind gewesen bin, und ich hab’ nichts versprochen. Hätt’ ich gewußt, was es für eine Bewandtniß hat mit dem Thaler, so hätt’ ich ihn schon lang weggeworfen oder in den Opferstock gelegt.“

„Ich aber für meinen Theil, ich hab’ noch allemal Wort gehalten und will mir nit noch einmal vorwerfen lassen, daß ich’s mit Dir nit gethan hätt’.“

„Ihr solltet Euch schämen, so zu reden,“ rief Engel erregter und näher tretend. „Könnt Ihr die Hand auf’s Herz legen und mit gutem Gewissen sagen, es wär’ Euch damals Ernst gewesen mit dem Versprechen? Könnt Ihr’s leugnen, daß Ihr mit der Judika, mit dem Kind und mit Euch selber nur Euren Spott gehabt habt? Wenn’s Euer Ernst gewesen wär’, wär’s nicht Eure Schuldigkeit gewesen, daß Ihr Euch zur rechten Zeit um das Kind gekümmert, daß Ihr dafür gesorgt hättet, daß es ordentlich aufwächst und werth wird, daß Ihr’s zu Eurem Weib’ macht? Wie, wenn ich nun zu Grund gegangen, wenn ich verwahrlost worden wär’ und wär’ ein nichtsnutziges Leut geworden? Es ist Euch Alles gleichgültig gewesen – drum habt Ihr nur Spott getrieben, ich aber – und wenn auch alles Andere nit wär’, wie es ist – ich nähm’ niemals einen Mann, der Spott treiben kann mit einer so heiligen Sach’.“

„Ich will Dir ja gerade zeigen, daß ich nicht gespottet hab’,“ unterbrach sie der Bauer, „und drum will ich Ernst machen. Sei gescheid, Mädel, stoß’ Dein Glück nit von Dir – nimm den Thaler wieder und überleg’ Dir’s besser! Was hast Du davon, wenn Du so im Sturm fortgehst? Wirfst einen Bauernhof weg, den man nit alle Tag’ auf der Straß’ findet, und mit dem, was gestern geschehn ist, bleibt auch Alles beim Alten.“

Das Mädchen zuckte zusammen und senkte betrübt den Blick zu Boden.

„Aber nein, was red’ ich denn daher!“ fuhr der Mann fort und rieb unmuthig die Hände. „Deine Ehr’ kannst Du Dir ja selber wieder schaffen – Du darfst ja nur erzählen, was wir mit einander geredet haben. Darfst ja nur ausplauschen, daß der Himmelmooser Dich zur Bäuerin hat machen wollen und abgefahren ist. Darfst ja nur sagen, wie das zugegangen ist, und mich lächerlich machen, daß Alles mit Fingern auf den alten Narren deutet, der –“

Engel unterbrach ihn mit einer Geberde der Abwehr; Betrübniß umwölkte ihr Antlitz noch dunkler, und aus dem Gewölk träufelte eine Thräne.

„Nein, nein,“ sagte sie mit traurigem Kopfschütteln, „das geht nit; Ihr seid dem Wildl sein Vater, und den Vater von meinem Schatze müssen die Leut’ in Ehren halten, wie ich was halt’ auf meine eigene Ehr’. Wegen dem braucht Ihr keine Sorg’ zu haben, Himmelmooser. Nach dem, was ich jetzt gehört hab’, weiß ich, daß Ihr von mir nichts Unrechtes denkt: vor meinem Gewissen und vor unserm Herrgott hab’ ich also meine Ehr’ wieder, und so muß ich’s halt ertragen. Ist das auch die bitterste und schwerste Stund’ gewesen in meinem ganzen Leben – Ihr braucht Euch nicht zu fürchten: über meinen Mund kommt kein Sterbenswörtl von dem, was ich in ihr erfahren hab’.“

Der Bauer war hastig in der Stube hin- und widergegangen. Jetzt blieb er stehn und betrachtete staunenden Blickes das Mädchen von unten bis oben. „Wahrhaftig? Das wolltest Du thun?“

„Das will ich thun,“ war des Mädchens gelassene und entschlossene Erwiderung.

„Wirklich? Du wolltest auch dem Buben nichts sagen?“

„Auch dem nit,“ entgegnete sie nach kurzem Besinnen, und die Tropfen, die bisher in ihren Wimpern gehangen, kugelten ihr über die Wangen herab. „Ich seh’ keinen andern Ausweg – ich muß es auf mir liegen lassen, was die Leut’ vielleicht von mir denken, aber so mit dem Makel unter ihnen und in der Heimath herumgehn, mich über die Achsel anschauen lassen und nit reden dürfen, das könnt’ ich nit aushalten – also wird’s das Beste sein, ich geh’ fort; auswärts kennt mich Niemand; da werd’ ich wohl mein Fortkommen finden.“

Des Bauern Blick hing mit steigender Theilnahme an ihr. „Was wird das helfen!“ rief er dann. „Der Bub’ wird nit von Dir lassen, wird Dich suchen und finden und dann springt die Katz’ auf die alten Füß’.“

„Ich glaub’s wohl,“ sagte sie mit traurigem Kopfnicken. „Suchen wird er wohl, der arme Bub’, aber finden soll er mich nicht – darauf geb’ ich Euch mein Wort, und mein Wort halt’ ich so gut wie ein Anderer. Finden soll er mich nicht – verlaßt Euch darauf! Daß er aber das Suchen aufgibt, dafür müßt Ihr selber sorgen – das ist Eure Sach’.“

„Wie soll das meine Sach’ sein?“

„Schaut, Himmelmooser,“ begann sie etwas stockend wieder, „ich mach’ kein Hehl daraus – ich hab’ den Wildl für mein Leben gern und thät den letzten Blutstropfen hergeben für ihn; ich hätt’ auch jetzt nit von ihm gelassen und wenn er noch ärmer geworden wär’, ärmer als eine Kirchenmaus, aber mit uns zwei ist es doch aus, aus in alle Ewigkeit, und so will ich ihm nit im Weg stehn: ich geb’ ihn frei, und wenn er nichts mehr weiß von mir, wird er sich drein finden, wird mich vergessen und Euren Willen thun. – – Drum will ich fort, und das heut’ noch. Ich will vorsorgen, daß er mir den Weg nicht abpassen und nimmer begegnen kann, denn wenn ich ihn sehen müßt’, ich thät wohl standhaft bleiben mit der Gotteshilf, aber hart, bitter hart thät’s mich ankommen.“

Der Bauer hatte sich wieder in den Lehnstuhl gesetzt; er sah finster vor sich hin und spielte mit dem Thaler, der auf dem Tische lag.

„Eh’ ich aber geh’,“ begann Engerl wieder und machte einen Schritt gegen ihn, „eh’ ich geh’, muß ich Euch noch etwas sagen, Himmelmooser …“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_430.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)