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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


zuerst im „Braunschweiger Journal“ abgedruckten „Briefe aus Paris“ bilden ein historisch werthvolles Zeugniß der Herzenswärme und des politischen Verständnisses, mit welchem der längst allem Schulstaube und allem kümmerlichen Magisterthum entwachsene deutsche Pädagog und Schriftsteller den Geist der Revolutionsereignisse zu würdigen und zu schildern vermochte. Auch nach seiner Rückkehr in die Heimath blieb er der begeisterte Vertheidiger der Revolutionsgedanken, und ihre spätere Ausartung, die er tief verabscheute, konnte ihn in dem Glauben an ihre ursprüngliche Reinheit und Berechtigung nicht irre machen. Dieser Ueberzeugungsmuth aber wurde für ihn ein Quell des Aergernisses und der vielfachsten Kämpfe. Schon früher hatten die zelotische Geistlichkeit und das conservative Junker- und Beamtenthum eine Fluth von boshaften Schmähschriften wider den Gefürchteten losgelassen. Nach der althergebrachten und heut noch üblichen Kampfesart dieser für ihre Macht zitternden Kasten wollten sie vor Allem den guten Namen ihres Gegners und damit am sichersten seinen Einfluß untergraben. Campe war nicht der Mann, solche Angriffe lange ohne Gegenwehr zu lassen. In seiner herrlichen Schrift „An meine Freunde“ (1787) hatte er die „ungesitteten Knaben“ gezüchtigt, die ihn mit literarischem Koth bewarfen, und zugleich versprochen, daß er sich auch ferner niemals abhalten lassen werde, „den Aberglauben aufzudecken, Vorurtheile zu bekämpfen und – Schurken zu entlarven in dem Lande, wo Lessing’s Asche ruht“. Dieses geharnischte Wort machte die Verleumder ein paar Jahre hindurch schweigen. Als er aber nach Paris gegangen war und nun die Revolution als die größte Wohlthat zu preisen begann, welche die Vorsehung seit Luther’s Reformation der Menschheit zugewandt, als später sogar der National-Convent ihm (zugleich mit Klopstock, Schiller und Matthison) das französische Bürgerrecht ertheilte, da wurde der muthige Vertheidiger des Volksrechts inmitten des politisch verkommenen Deutschlands von den verschiedensten Seiten her als „deutscher Jacobiner“ angefeindet.

Das erneuerte Anstürmen würde indeß ohne jede ernstere Folge geblieben sein, wenn es nicht dieses Mal einen Rückhalt gefunden hätte an einer traurigen Wendung der preußischen Politik. Der gutmüthige, aber zur Mystik geneigte Friedrich Wilhelm der Zweite hatte die Hoffnungen der Campe’schen „Fragmente“ nicht erfüllt; er unterlag dem Einflusse seiner pietistischen Umgebung; der zelotische Wöllner wurde sein Minister, und es kam das berüchtigte Religionsedict, das die Regierungsgrundsätze Friedrich’s beseitigen und den finstersten Gewissenszwang des Mittelalters wiederherstellen wollte. Eine tiefe Entrüstung ging durch die Reihen der Gebildeten, Campe aber gab derselben öffentlich unerschrockenen Ausdruck, indem seine Schrift „Freimüthige Gedanken“ den Minister Wöllner und seine schwarzen Genossen als „Verbrecher gegen den Staat und die Menschheit“ bezeichnete. Natürlich wurden solche Angriffe zu directen Hetzereien am Berliner Hofe benutzt; es erfolgten geschärfte Censurvorschriften in Preußen und Mahnungen an den Herzog von Braunschweig, die denselben ängstlich machten, so daß er eine Commission niedersetzte, von welcher Campe und seine Mitarbeiter die Weisung erhielten, „hinfüro in ihrem Journal alle theologischen und politischen Gegenstände ganz unberührt zu lassen und sich jeder Kritik benachbarter Regierungen zu enthalten“. Für einen Charakter von der Art Campe’s war dies ein Todesurtheil, dem er freiwillig sich nicht fügen konnte. In demselben Jahre (1792), wo er in einer Darlegung die gegen ihn ausgestreuete Verdächtigung undeutscher Gesinnung siegreich abwehrte, verfaßte er als Antwort auf den Censurbefehl der herzoglichen Commission jene unvergeßliche Denkschrift, in welcher er das Recht der Preßfreiheit als ein unveräußerliches Recht der Menschheit vertheidigte.

Der Kampf Campe’s für die ihm vor seiner Uebersiedelung nach Braunschweig ausdrücklich bewilligte Preßfreiheit war ein langer; für den Fall seiner Niederlage war er fest entschlossen, seine blühende Buchhandlung und Druckerei aufzulösen und sich mit den kläglichen Trümmern seines Vermögens in ländliche Einsamkeit zurückzuziehen. In einer der betreffenden, von ihm verfaßten Eingaben heißt es u. A.: „Kein Mensch, kein Staatsbeamter, selbst Kaiser und Könige nicht, haben ein Recht, öffentliche Unbilde zu verüben und das öffentliche Urtheil darüber zu verbieten. Diese Wahrheiten gehören zu den erwiesensten, die ich kenne.“ Andere Stellen lauten: „Was sollte aus dem deutschen Staatskörper werden, wenn die Oeffentlichkeit, dieser letzte Hebel gegen willkürliche Herrschsucht und Verfinsterungswuth, uns aus den Händen gewunden werden sollte? Ich erschrecke bei dem Gedanken an die bloße Möglichkeit dieses Unglücks, des größten und schauderhaftesten von allen, welche unser armes Deutschland treffen könnten, und ehe ich den schweren Fluch auf mich laden wollte, möchte ich die Hand, die diese Unterschrift geben könnte, tausend Mal lieber abhauen lassen. Die Schriftsteller sind ja die einzigen Fürsprecher des Volks, da, wo es keine anderen hat. Und was sollte aus dem armen Volke werden, wenn auch diese Sachwalter nunmehr gänzlich verstummen sollten?“ … „Mein Vermögen, mein Leben, meine Freiheit stehen in der Hand der Menschen, aber meine Ehre und mein Gewissen sind von jeder äußeren Einwirkung unabhängig, sind mein im eigentlichsten und vollsten Sinne des Wortes. Man kann mir jene nehmen, aber Ehre und Gewissen kann und werde ich gegen die ganze Welt, gegen die Hölle selbst, wenn es eine giebt, in ihrer ganzen unverletzlichen Reinheit behaupten.“

Campe’s entschiedenes Eintreten für die Freiheit der Presse und seine in dieser Sache geschriebenen Manifeste ragen nicht blos als glänzende Thaten aus der Geschichte der deutschen Publicistik hervor, sondern auch als die ersten Blüthenkeime einer deutschen Freiheitsbewegung, welche hier alle ängstlichen Umhüllungen durchbrochen und zu kräftigstem Aufsprossen sich entfaltet hatten. Nach langen Verhandlungen entschied zuletzt der Herzog, daß er Campe vertrauensvoll die bisherige Freiheit auch ferner gewähre, und dieser hat nun ungehindert noch eine ganze Reihe von Jahren sein schriftstellerisches Wirken zur Förderung des Lichtes und zum Aergerniß aller bereits in Sorge gerathenen Duckmäuser und Dunkelmänner fortgesetzt. Den letzten Abschnitt seines Lebens wendete er bekanntlich mit seltener Ausdauer dem Studium der deutschen Sprache zu. Bekannt sind sein energisch geführter Kampf wider die Fremdwörter und sein „Wörterbuch der deutschen Sprache“.

Im Jahre 1791 hatte der thätige Mann vor einem der Thore Braunschweigs einen geräumigen Garten gekauft, der noch jetzt seinen dortigen Nachkommen gehört. In stiller ländlicher Lieblingsbeschäftigung fand er hier wieder einen unversiechlichen Quell der Erfrischung und Erholung. Und als der Buchhändler Vieweg, der Gatte seiner geliebten Tochter Lotte, mit dieser von Berlin nach Braunschweig übergesiedelt war, da hatte ein Kreis liebenswürdiger und liebevoller Menschen sich geschlossen, in dem Campe lebte und waltete wie ein Patriarch des alten Bundes. An Besuchen hervorragender Menschen fehlte es fast niemals auf dieser Musterstätte gebildeten deutschen Familienlebens, und nur die Beschränkung unseres Raumes verbietet uns, die noch vorhandenen Berichte der verschiedensten und namhaftesten Zeitgenossen anzuführen, die sich in Lob und Preis ergehen über die Eindrücke, die ihnen von dem edlen Geiste dieses Hauses und von seinen einzelnen Mitgliedern geworden sind. Um den Seinigen ein alljährlich sich neu verjüngendes Erbe zu hinterlassen, arbeitete Campe unermüdlich schaffend in seinem Garten. Im Frühling 1800 begann er damit, einen sehr großen Theil dieses weiten Grundstücks in Waldung zu verwandeln, und es belief sich die Gesammtzahl aller hier durchweg von ihm selbst gezogenen und gepflanzten Bäume auf nicht weniger als dreiunddreißigtausend. Und im Laufe dieser Arbeit kam ihm auch der Gedanke, im Schatten seiner jährlich neu ergrünenden Zöglinge für sich und seine Kinder die letzte Ruhestätte zu errichten. Der Plan dazu wurde schnell entworfen und ausgeführt – ein sinniges Grabmal würdig des Weisen, der am Abende des Daseins mit heiterer Ruhe auf den durchlaufenen Tag und seine heißen Stürme zurückschauen konnte.

Und wenn der greise Campe in seiner tiefen Bescheidenheit von sich selber sagen durfte, daß er redlich und im Schweiße des Angesichts seine Lebenspflicht erfüllt, so ließ auch draußen die Welt nicht ab, ihm durch Beweise der Liebe diese Beruhigung zu geben. Schon früher hatte sich das auf allen seinen Reisen gezeigt. So zog er z. B. einst in Gießen auf dem Wege nach Hanau „wie der Rattenfänger von Hameln“ durch die Stadt, von dem lautesten und heitersten Schwarm begleitet. Eine große Heerde von muntern Kindern aus den ersten Häusern hing sich an ihn. Fünf Hofmeister gingen als Adjutanten nebenher. So schleppten sie den verehrten Erzähler und Jugendschriftsteller vor sich her bis

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_422.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)