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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Mittag auf’s Gerathewohl eine Jagdexcursion zu unternehmen und fuhr demzufolge in einem Canoe, in Begleitung von sechs meiner Leute, über den Eliva-See, nach einer entfernten, tief in den Urwald eingeschnittenen Bucht. Da auf einer Entfernung von mehreren hundert Schritten Schilf und Wurzelbäume vom festen Lande in den See hinausgewuchert waren, so mußten wir uns durch diese undurchdringlich scheinende Dickung einen Weg bahnen.

In Begleitung eines jungen Galloa-Neger, der mir ein zweites Gewehr nebst Munition nachtrug, verließ ich das Boot mit der Weisung, am Schilfrande meiner zu warten. Unweit der Stelle, an der ich das Land bestieg, am Rande einer ausgedehnten Dickung, stand ein Ibabaum (wilde Mangopflaume), auf welchen ich durch meinen schwarzen Begleiter aufmerksam gemacht wurde, indem er sich von ihm, trotz wiederholter leiser Rufe meinerseits, der heruntergefallenen Früchte wegen nicht trennen konnte. In der Absicht, ihm seines Ungehorsams halber eine gelinde Züchtigung zukommen zu lassen, ging ich zu dem Baume hin und fand dort an den heruntergefallenen Früchten frische und ältere Zahneindrücke, welche nur von Gorillas herrühren konnten. Da ich nun wußte, daß sich in der That eine Gorilla-Familie in der Gegend herumtrieb und der Wind in günstiger Weise vom Busche aus nach dem See zuwehte, so beschloß ich, mich in einer Entfernung von circa achtzig Schritt hinter die Nischen bildenden Wurzelausläufer eines starken Bombaxstammes (Baumwollenbaumes) anzustellen.

Eine Stunde wohl mochte ich vergeblich gewartet haben; die Schatten der hereinbrechenden Nacht wurden bemerkbar; die Moskiten fingen an mich empfindlich zu peinigen, und ich stand bereits im Begriffe, den Platz zu verlassen, als ein leichtes Brechen in der Gegend des Ibabaumes vernehmbar wurde. Hinter dem Stamm hervorlugend, gewahrte ich dort eine Gorillafamilie, welche sorglos mit den Früchten beschäftigt war. Dieselbe bestand aus den beiden Eltern und zwei im Alter verschiedenen Jungen; das menschliche Alter zum Maßstab genommen, konnte das ältere sechs Jahre, das jüngere ein Jahr alt sein. Obgleich die Thiere im Bereiche meiner Doppelbüchse waren, so beschloß ich doch, da ich ihnen gegenüber vollständig gedeckt war und sie unbemerkt beobachten konnte, ihr Gebahren eine Zeit lang zu belauschen. Es war rührend anzusehen, mit welcher Mutterliebe das Gorillaweibchen um das Jüngste besorgt war. Der Vater hingegen kümmerte sich um nichts, als um die Stillung seines eigenen Hungers. Die besseren Früchte mochten wohl aufgezehrt sein, als das Gorillaweibchen mit außerordentlicher Behendigkeit den Stamm erklomm und die reifen Früchte herunterschüttelte.

Der männliche Gorilla begab sich nun kauend zum nahen Wasser, um zu trinken. Ihn hatte ich keinen Augenblick aus den Augen gelassen. Die Erzählung du Chaillu’s, die märchenhaft übertriebenen Mittheilungen der Eingeborenen hatten in mir beim Erscheinen der Thiere eine große Erregung hervorgerufen. Dieselbe verschwand indeß, als der Gorilla nahe am Rande des Wassers mit einem Male eine Unruhe zu erkennen gab und in niedergeduckter Stellung nach dem Baume blickte, der mich verbarg. Zu spät jedoch witterte er in mir den nahen Feind, denn bereits seit einiger Zeit verfolgte ich jede seiner Bewegungen mit der Büchse im Anschlage. Wenige Augenblicke genügten mir, das mich unbeweglich anäugende Wild sicher auf das Korn zu nehmen. Wohl war ich mir bewußt, welcher Gefahr ich ausgesetzt war, sofern die Kugel nur verwundete und nicht tödtete, auch hatte ich bereits ein Jahr voll Strapazen und Entbehrungen durchkämpft, bevor ich dieses seltene mysteriöse Thier zu Schuß bekam. Jeder Nerv, jede Muskel war bis zum Aeußersten gespannt, meine Beklemmung sowie das sehr verzeihliche Jagdfieber zu bemeistern. Der Schuß krachte. Noch bevor der Pulverrauch meine Blicke frei ließ, hatte ich eine neue Patrone in den abgeschossenen Lauf geführt, so den vermutheten Angriff der übrigen Thiere erwartend. Mein schwarzer Begleiter stand zitternd hinter mir, ein zweites Gewehr in der Hand. Es erfolgte jedoch kein Angriff. Der männliche Gorilla war tödtlich getroffen sofort auf das Gesicht gestürzt; die Jungen flüchteten, einmal kurz aufschreiend, in das schützende Dickicht. Das Gorillaweibchen sprang aus einer beträchtlichen Höhe vom Baume zur Erde nieder, ihren Jungen nacheilend. Wohl hätte ich dem letzteren noch den Garaus machen können, vergaß dies aber in der Aufregung.

Nachdem alle Gefahr beseitigt, bekam auch mein kleiner Galloa wieder Leben; er sprang vor Freude herum, lief nach unserm Landungsplatze und schrie aus voller Brust mit gedehnter Stimme: „Galloa, Galloa hoi hoi! Tanganie jonie nbolu Ndschina, nbolu Ndschina.“ („Der Weiße schoß einen großen Gorilla.“) Ich selber ließ ein kräftiges deutsches Hurrah durch den darob wohl verwunderten Urwald erschallen.

Somit hatte mir das Jagdglück zur Zeit, in welcher man bei uns die Weihnachtsbäume anzündete, ein prächtiges Christgeschenk zu Theil werden lassen.

Diesem ersten Erfolge reihten sich mehrere an und setzten mich bei den Eingeborenen in ein gewisses Ansehen. Folgende Affaire möge beweisen, daß man mich als Gorillajäger bereits anerkannt hatte.

Es war Ende der trockenen Jahreszeit, als mir von der Beherrscherin der Bakailai-Ortschaft Busu, welche Niederlassung, reizend am Eliva-Sanka gelegen, nach Südosten von den Aschangolo-Bergen und ausgedehnten Urwaldungen begrenzt ist, Boten mit der Aufforderung zugesandt wurden: ich möge ja bald kommen; die Gorillas richteten in den Plantagen arge Verwüstungen an. Zugleich ließ man mir sagen, doch recht viel Rum, Tabak, Perlen, Messer etc. und vor Allem der Königin ein schönes Geschenk an baumwollenen Zeugen mitzubringen. Durch diese Nachricht sehr erfreut, im Vorgefühle einer guten Jagd, beschenkte ich die Boten reichlich und entließ sie mit dem Versprechen, mich sofort zur Reise rüsten sowie ihren Wünschen nachkommen zu wollen.

Schon nach einigen Tagen langte ich in Busu an, stattete der schwarzen „Dorfkönigin“ meinen Besuch ab und begab mich dann sofort nach der nahe gelegenen Plantage, um durch Spüren für den andern Tag die Richtung meiner Streifereien festzustellen.

Mehrere Tage hatte ich nun schon vergeblich weite Strecken abgesucht, als eines Morgens das dumpfe Grollen eines Gorilla an mein Ohr schlug, gleich darauf der laute gellende Schrei eines jungen Thieres. Als Begleiter hatte ich nur einen Ischogo-Sclaven bei mir. Sofort entledigte ich mich aller überflüssigen Gegenstände, bedeutete dem zitternden Jungen, zurück zu bleiben und schlich mich leise und vorsichtig heran. Nach einiger Zeit höre ich Zweige rascheln; das Geräusch nimmt zu, und ich sehe einen großen Trupp Chimpansen auf hohen Colanußbäumen die Früchte pflücken. Näher heran kommend, bemerke ich etwas entfernter ein Gorillaweibchen; zugleich ertönt das dumpfe Grollen aus einem dichten Unterholze abermals. Nunmehr war ich schon so nahe, daß ich leicht bemerkt werden konnte, und das geringste Geräusch mußte mich verrathen. Ich legte mich daher flach auf die Erde und kroch wie eine Schlange, jeden trockenen Zweig bei Seite legend, immer Deckung suchend, vorwärts.

Endlich hatte ich ganz erschöpft ein verbergendes Farngestrüpp erreicht. Dort kauerte ich mich nieder, um auszuruhen; waren doch die nächsten Chimpansen im Bereich meiner Büchse. Auf sie indeß hatte ich es nicht abgesehen, sondern auf den alten mir noch unsichtbaren männlichen Gorilla. Wie dies aber bewerkstelligen? Schräg über mir hatte ich die scharfäugenden Chimpansen, und nur auf einem Umwege konnte ich zu dem Versteck des verborgenen Thieres kommen.

Es ist sehr bedauerlich, daß man im Eifer der Jagd oft vergißt, die Thiere in ihrem Gebahren zu beobachten, und nicht bedenkt, daß die Kenntniß davon oft wichtiger ist, als der Besitz des Thieres selbst. In diesem Falle war eine solche für mich schwierig, da ich flach auf der Erde lag, im dichtesten Gebüsch vorwärts kroch und dabei die volle Aufmerksamkeit auf Vermeidung des geringsten Geräusches zu verwenden hatte. Während der kurzen Frist, welche ich mir in den Farnen zur Beobachtung gönnte, fiel mir die gemessene Vorsicht auf, mit welcher diese Affen auf die äußersten Enden der langen Zweige auf allen Vieren hinausliefen, um Nüsse zu pflücken. Wurden die Aeste dünner, so hingen sie sich, den Rücken der Erde zugekehrt, daran, hatten mit jeder Hand einen andern Zweig erfaßt und behielten beim Fortbewegen jedesmal drei sichere Haltepunkte, bevor sie mit der freien Hand nach den Früchten griffen, die sie dann auf weniger halsbrechenden Plätzen verzehrten, um ihr Schwindel erregendes Klettern immer wieder von Neuem zu beginnen.

Kaum war ich jedoch etwas weiter gekrochen, als ich mich mit einmal über und über von den fürchterlichsten der Ameisen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_419.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)