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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Namen der Freiheit – ich fordere das löbliche Militär auf, in aller Ruhe seine Casernen zu suchen. Wer sich von nun ab in den Bereich unsrer Gewehre wagen sollte, es sei zu Roß oder zu Fuß, wird als Scherge der Thyrannei behandelt und verfällt der Kugel. Dixi.

Der Officier, ein hübscher junger Bursche mit wohlgepflegtem Schnurrbärtchen, warf ihm einen verächtlichen Blick zu und sprengte mit seinem Begleiter davon. Nach der Rückkunft sah man ihn mit lebhaften Gesten Bericht erstatten. Ein zweiter Officier ging darauf mit zwei Mann Begleitung quer in das Gebüsch; man konnte an ihrer Bewegung erkennen, daß sie, durch die Schmiede gedeckt, sich zu nähern beabsichtigten, wohl um den Terrainwinkel zu recognosciren, welchen der Bergrest neben der Barricade beherrschte. In der That wurden bald darauf hinter der Schmiede zwei Köpfe sichtbar. Eine allgemeine Salve folgte, und weithin im Thale donnerte der Wiederhall.

„Zum Geier!“ rief der Pascha verdrießlich, „wartet doch das Commando ab! Wir sind wahrhaftig nicht in der Lage, Pulver vergeuden zu dürfen.“

Wieder verging eine Viertelstunde. Die drei Abgesandten sah man unversehrt zu den Truppen stoßen. Nichts füllte die gähnende Leere der Minuten, bis endlich ein Mann aus den Reserven ankam und im Namen des Doctor Urban die Mittheilung machte, der Fabrikleiter Bandmüller habe den Geldschrank des Commerzienrathes Seyboldt ausgeraubt. Jetzt wurden die Zungen lebendig; Ausrufe des Erstaunens, Verwünschungen, Selbstvorwürfe, daß man ihn hatte entrinnen lassen, kreuzten sich, und der Pascha hatte alle Mühe, den Friesen zu besänftigen. Bittere Aeußerungen über Urban, den Abtrünnigen, mischten sich in den Lärm. Kaum hatte sich der Bote mit dem Bescheide entfernt, da machte ein fernes dumpfes Rasseln der Episode ein Ende.

Kanonen! Es waren drei – eine halbe reitende Batterie. Die Läufe glänzten in der Sonne, welche eben einen Blick durch die Wolken that. Unheimlich klar sah man die Cavallerie Gasse bilden und die Geschütze auffahren, und man kletterte zum Fuße der Barricade hinab.

„Wollen wir nicht lieber einstweilen hinter den Berg dort gehen?“ fragte eine Stimme. „Hier sind wir doch zu nichts nutze, als Kanonenfutter abzugeben.“

„Jedenfalls müßten Wachen hier bleiben,“ erwiderte nachdenklich der Pascha, „sonst reiten sie während des Schießens um die Schmiede und überrumpeln uns von der Seite her, ohne daß wir es merken.“

Drei Leute meldeten sich freiwillig zum Bleiben, und der Friese bestand hartnäckig darauf, sich ihnen anzuschließen; er ließ sich einen Degen geben, den er umschnallte, und ein Gewehr. Die Uebrigen waren noch nicht in Sicherheit – da donnerte es drüben zwischen den Bergen, und summend und sausend flog das erste Geschoß dicht über die Barricade hin. Der Friese horchte. „Stückkugeln! Gott sei Dank, sie scheinen keine Sprenggeschosse zu haben,“ sagte er. Wieder ein Donnerschlag, ein Krachen und Knistern in der Barricade, – ein paar Splitter flogen herüber. In regelmäßiger Folge schlugen die Kugeln in den Bau, und die Splitter mehrten sich gefahrdrohend. Eine abgeschossene Wagendeichsel fiel hart neben dem Friesen mit sausender Wucht zu Boden. Wolken von Erde, welche die Barricade ausspie, überstäubten die Männer. Ein Dutzend Schüsse, und die Barricade zeigte bereits in ihrer Mitte eine Bresche.

„Sie schießen verteufelt gut,“ brummte Harro. In demselben Moment fiel sein Blick auf das Gebüsch hinter der Schmiede: Pferdeköpfe, blaue und grüne Uniformen brachen aus dem Saum desselben hervor und obendrüber flatterten die schwarz-weißen Fähnlein an den Lanzen. „Da sind sie ja. Köpfe zurück! Laßt sie näher kommen und nehmt Jeder seinen Mann gut auf's Korn!“ Der Boden erzitterte; mit mächtigem Ansturm sausten die Rosse heran. Vier Gewehre feuerten, und vier Stimmen stießen zugleich ein Geschrei aus; ein Husarenpferd stürzte sich überschlagend mit seinem Reiter; ein Ulan wankte und fiel schwerfällig aus dem Sattel. Heulend fuhr eine Kugel durch die Bresche. Einen Augenblick später drängten sich Pferde an die Bergmauer, und die Reiter richteten sich in den Sätteln auf und griffen über den Rand, der vom Pferderücken aus im Stehen zu erreichen war. Die vier Männer stießen und schlugen auf Hände und Köpfe, während zu ihrer Seite der Lärm der herbeistürmenden Genossen ertönte. Die Gefahr wuchs bedenklich; ein Dutzend Leute war bereits über die Mauer gesprungen; ein Ulan stand auf der Barricade und winkte zu den Geschützen hinüber, um sie schweigen zu heißen, bis ihn eine Kugel traf: die Lanze entfiel seiner Hand, und er rollte die halbe Böschung herunter.

Eine Scene unbeschreiblicher Verwirrung folgte: Gewehrschüsse, Pulverdampf, blitzende Klingen, schreiende Kehlen. Durch alles Geräusch hindurch klang die jauchzende Stimme des Friesen, der seinen Degen gezogen hatte:

„Speit die ganze Hölle
Ihre Geister aus,
Auf der Freiheit Schwelle
Schützen wir das Haus.
Laßt die Bogen brüllen,
heulen laßt den Wind – –

Er verstummte plötzlich. Durch den Dampf, den der Wind auseinanderriß, sah man ein paar Soldaten wieder über die Mauer springen; Pferde galoppirten; Schüsse krachten hinterher –

Die Ueberrumpelung war mißglückt. Todte und Verwundete lagen umher. In der Ecke, wo Bergmauer und Barricade zusammenstießen und die nackten Strähne des Teufelszwirns niederhingen, lag der blonde Hüne und hielt ein weißes, von quellendem Blut geröthetes Taschentuch auf die Brust gedrückt. Der Pascha kniete daneben, mit überströmenden Augen. „Harro, mein Freund, mein Bruder, wie stirbt sich's für die Freiheit?“

Ein paar halberloschene Augen sahen ihn an, und schmerzlich zuckte es um den vollen, todtblassen Mund. „Sage Deiner Schwester, sie wäre mein vorletzter Gedanke gewesen, der letzte aber die Freiheit.“ Die Lider des Friesen sanken.

„Doch an keinem Baume,
Und an keinem Strick,
Sondern an dem Traume
Einer Re – – –“

Die Geschütze fingen wieder an zu spielen. Karl Hornemann wischte sich die Augen und sprang auf. „Die Verwundeten aufnehmen! Es ist nichts; wir müssen wieder hinter den Berg gehen.“

Die Bestandtheile der Barricade flogen immer massenhafter in den verödeten Raum, in dem nur stille Leichen lagen. Der Körper des Friesen war in kurzer Zeit völlig überdeckt. Hinter der Bergecke lagen die Verwundeten auf einem Wagen, und die Uebrigen standen in Berathung. Es machte sich entschieden die Neigung geltend, den weiteren Kampf in das Innere der Stadt zu verlegen. „Man sieht ja, daß die Barricade den Kanonenkugeln nicht Stand hält,“ hieß es, „und es wird einen Augenblick geben, wo die Reiter den Weg über die Ausschachtung frei haben werden. Ueberreiten sie uns, so sind wir ohne jede Zuflucht. In der Stadt haben wir die Häuser und wir können der Artillerie in den Rücken kommen.“ So lauteten die vorgebrachten Argumente, aber es ließ sich nicht verkennen, daß der Anblick der Verwundeten, deren Einer sehr übel zugerichtet war, noch überzeugender wirkte, als jene Ausführung.

Die Reiter, welche geraume Zeit nachher kampfdürstig in die Bresche sprengten, fanden keinen Feind mehr. Sie räumten das Ende der Barricade beim Wasser auf und schafften die Geschütze längs der Böschung auf die andere Seite hinüber.

(Schluß folgt.)




Der Krieg
IV. Die „Freude der Welt“ in Trümmern. (Mit einer Karte des asiatischen Kriegsschauplatzes und einer Abbildung S. 389.)

Unsere Leser stehen mit uns dem dermaligen Kriege zweier großer europäisch-orientalischer Mächte vor der Hand noch als ruhiger Beobachter gegenüber, und sie wünschen sicherlich mit uns, daß dieser Standpunkt uns bis zu Ende desselben erhalten bleibe. Abgesehen von der rein menschlichen Theilnahme für die Völker, deren Familienleben nun büßen muß, was die hohe Politik gesündigt hat, und denen wir unser Mitleid nicht versagen, unter welchem Glaubenszeichen sie geboren sein mögen, abgesehen von diesem Blick auf das neue Elend des Kriegs, das wir selbst nun genügend kennen gelernt haben, nimmt die begonnene orientalische Fragelösung eben nur die erste Stelle im Tages-Interesse ein, hetzt die gesammte Kriegsschreiberei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_392.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)