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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


er es jemals gekonnt, die Fähigkeit sich zu beugen doch schon längst verlernt hat. Der Kopf war mit dichtem, aber rauhem Haar bedeckt, und wenn schon dies eine störrische Gemüthsart vermuthen ließ, stimmten damit auch die kohlschwarzen und buschigen Augenbrauen überein, hinter welchen nach dem Sprüchwort Eigensinn und Trutz und wohl auch der Hochmuth zu hausen pflegen. Es war erklärlich, wenn man ihn scheute und wenn es in der Gemeinde und in der ganzen Umgegend hieß, der Himmelmooser sei zwar ein kreuzbraver Mann, auf dessen Wort man bauen könne, wie auf ein Evangelium, wer aber nicht durchaus mit ihm verkehren müsse, der vermeide es, denn bei ihm sei das ganze Jahr hindurch „Sturm im Kalender“.

Eben hatte er seinen Umgang wieder beendet und trat in die große Wohnstube des Erdgeschosses, wo die Hausgenossen und Gäste bereits seiner und des Beginnes der Mahlzeit harrten. Die Stube war gebaut und eingerichtet, wie es in allen größeren Häusern des Gebirges üblich ist, aber die Hauptecke, von welcher man gewöhnlich den zum Hause heranführenden Weg übersieht, bot einen völlig veränderten Anblick dar. Das Kreuzbild und die paar Glastäfelchen, aus welchen der Hausaltar bestand, waren an der Wand daneben aufgehängt, und auch der große Tisch hatte seine schwerfällig gespreizten Beine vom Platze bewegen und mit dem Ofenwinkel vorlieb nehmen müssen, denn die Maurer gingen eben daran, die Ecke durchzubrechen, damit sie mit dem draußen begonnenen Aufbau den beabsichtigten halbrunden Thurmerker bilde. An den Tisch war diesmal eine lange Tafel angestoßen, aus ein paar Schragen und Brettern bestehend, über welche das Tuch gebreitet war; der Bauer nahm seitwärts auf der rings umlaufenden Bank an einem Fenster Platz, dessen tiefe Brüstung ihm zugleich als Tisch dienen mußte. Er grüßte die Anwesenden nur mit einem kurzen mürrischen Nicken und ein paar unverständlich gemurmelten Worten, und auch als sie die Mahlzeit eingenommen hatten, that er, als ob er ihre Entfernung gar nicht gewahre. Bald war die Stube leer, auch die Maurer verließen dieselbe und setzten sich draußen auf ihre Gerüste und Karren, um im Mittagssonnenschein den Rest der Freistunde zu verplaudern.

Der Bauer war allein, nur eine große grüne Fliege summte mit dem Perpendikel der Hänguhr um die Wette und fuhr ihm immer wieder um den Kopf, so ärgerlich und heftig er sie auch stets auf’s Neue von sich abwehrte.

Eine alte Bäuerin mit eisgrauem Haare und einem faltenreichen gutmüthigen Gesichte ging ab und zu, um das Geschirr und die Speisenreste abzuräumen – mehrmals hielt sie an, als ob sie mit dem trotzigen Manne ein Gespräch beginnen wolle, besann sich aber immer wieder und ließ es bei einem fragenden Blicke und mißbilligenden Kopfschütteln bewenden.

Es war Frau Judika, die Häuserin, welche dem seit Jahren verwittweten Bauer die Wirthschaft besorgte.

Den Maurern erging es im Sonnenscheine und in der frischen duftigen Luft, welche durch die Wipfel des Obstgartens säuselte, wie den Vögeln in den Zweigen; sie fingen zu singen an. Der Eine war ein junger Bursche mit rothen Wangen, zu denen die weiße Brustschürze und die Kalkspritzer im Gesichte recht freundlich standen. Der Andere schien nur um einige Jahre älter, aber sein Gesicht war bleich und seine Züge welk, und die Kalkspritzer darauf machten eine ganz entgegengesetzte Wirkung – es sah aus wie eine verwitterte Mauer, von welcher der Bewurf abzubröckeln beginnt. Ein wüstes Leben hatte seine Spuren in der ganzen Erscheinung des Burschen zurückgelassen und dieselbe noch härter und roher gemacht. Auch der Inhalt ihrer Gesänge entsprach dem Wesen der Beiden – während der Eine harmloser Lebenslust einen heitern Ausdruck gab, enthielten die „Gesätzeln“ des Andern nichts als den höhnischen Widerspruch einer ganz entgegengesetzten verbissenen Sinnesart.

Als der Junge sang:

„Kann nichts Trauriger’s geb’n,
Als ein einschichtig’s Leben;
Und jetzt roas’ (reis’) ich halt g’schwind.
Bis mein G’sellin ich find’,“

erwiderte der Andere:

„Und ’s Roasen, i moa (mein’),
Is viel schöner alloa (allein),
Da geht’s frei in die Welt,
Und kost’ ’s halbete Geld.“

Und als der Erstere, dadurch unbeirrt, fortfuhr:

„Und wenn ich sie find’.
Ist die arm’ Seel’ erlöst;
Nacha (nachher) bau’n wir uns schleunig (schnell)
Miteinander ein Nest,“

klang es ihm zur Erwiderung spöttisch entgegen:

„Und der g’scheideste Vogel
Muß der Gugezer (Kukuk) sei’.
Die andern bau’n d’Nester,
Und er setzt sich ’nei’.“

„Ob Du aufhören wirst mit Deiner nichtsnutzigen Singerei?“ unterbrach ihn endlich der Bauer, der aufgesprungen und näher getreten war. „Möchtest es wohl auch machen wie der Kukuk, möchtest unsern Herrgott einen guten Mann sein lassen und von dem leben, was Andere arbeiten? Bei mir ist das nicht der Brauch; wer bei mir ist, muß arbeiten, und Du mußt es auch, so lange Du bei mir bist. Die Zeit zum Feiern ist vorbei; mach’, daß Du wieder an’s Mauern kommst, Du Fazi!“

„Deine Uhr geht stark vor, Himmelmooser,“ erwiderte der Maurer trutzig, indem er durch die Mauerlücke herein den Bauer mit boshaft höhnischen Blicken maß, „aber mit all’ Deinem Geld kannst Du die Sonn’ doch nicht vorrücken, wie einen Uhrzeiger. Es hat noch nicht Zwölfe geläutet drunten im Dorf – bis dahin kann ich thun, was ich mag, und wenn Dir mein Gesang nicht gefällt, kannst Du Dir Werg in die Ohren stopfen. Merk’ Dir das und nimm meinen Namen nicht noch einmal wie ein Schimpfwort in’s Maul, sonst zeig’ ich Dir, daß mein Namenspatron, der heilige Facius, so gut im Kalender steht, wie jeder andere.“

Damit wandte sich der Bursche und schlenderte dem Obstgarten zu, um den Rest seiner Freistunde so recht mit voller Gemächlichkeit auszukosten; der Bauer war von seiner Frechheit so überrascht, daß er trotz sonstiger Kampfesbereitschaft nichts zu erwidern wußte, bis Fazi seinen Augen bereits entschwunden war. „Da hab’ ich ja ein recht schön’s Früchtel aufgeklaubt,“ rief er dann, Judika zugewendet, welche eben im Begriff war, die Schüssel und die Holzteller abzuräumen, und dabei den Wortwechsel mit angehört. „Heut ist Freitag, morgen Samstag – wie die Woch’ gar herum ist, werd’ ich dem Maurermeister sagen, daß er mir einen andern Arbeiter schickt … Kennt die Judika den Menschen?“

Die Angeredete ergriff ohne Zaudern die schon längst erwartete Gelegenheit zu einem Gespräch.

„Ich kenn’ ihn nicht weiter,“ sagte sie, „als daß er ein Maurer ist und wirklich Fazi heißt; er ist ein lediges Kind. Seine Mutter ist eine Tirolerin gewesen, die mit allerhand Geschirr herum Hausiren gezogen ist – einmal hat sie halt den Buben und ihren leeren Karren mitzunehmen vergessen und ist nimmer aufzufinden gewesen … Da hat ihn die Gemeind’ haben müssen, nicht die unsere, sondern die von Seehausen, und dort ist er im Hüthaus aufgewachsen. Man weiß nichts Schlechtes von ihm, aber auch nichts Gutes.“

Der Bauer machte eine abwehrende Geberde. „Es ist schon gut; mehr brauch’ ich nicht zu wissen – Sie kann das Mühlwerk schon wieder stellen. Ich hätt’ aber gute Lust, ich gebet’ dem Fazi auf der Stell’ den Abschied und warte gar nicht, bis ich mit dem Maurermeister geredet hab’ –“

„Das müßt Ihr nicht thun,“ sagte Judika und setzte ihre Geschirrlast einen Augenblick neben der Ofenbank ab. „Der Bursch’ thät' Euch nur wieder auf ein Neues in der Leute Mäulern herumtragen, und das hat’s justament nicht Noth. Es ist ohnedem überall von nichts Anderm die Red’, als von dem besondern Bau da, von dem kein Mensch weiß, was er werden soll.“

Der Alte wandte sich ihr sitzend zu, stemmte beide Hände auf die Kniee und sah ihr mit spöttischem Lachen in’s Gesicht. „So? Geht das Gered’?“ sagte er dann. „Möchten sie’s gern wissen, was der Bau bedeut’? Und der Frau Judika druckt’s

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