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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


angesichts dieser Beiden vom Oberst zu sprechen, sei es auch das Gleichgültigste.

„Ida wird schelten, wenn ich ihr berichten muß, daß Sie in solcher Weise auf und davon gehen, und auch Paula hätte Ursache dazu,“ fuhr die alte Freundin in ihrer herzlichen Weise fort. „Ich darf Sie nicht einmal auffordern, noch für ein Stündchen mit nach Hause zu kommen; die Kinder erwarten mich in der Stadt, wo wir uns ein Stelldichein gegeben haben, um nachher in das Theater zu gehen. Ich war nur eben einen Augenblick bei Hollbach’s, weil diese schlimme Paula sich tagelang nicht hatte sehen lassen; auch heute giebt sie mir nur ein kurzes Wegegeleite.“


Zillerthaler.
Charakterstudie von Julius Adam in München.


„Ist Ihre Frau Mutter leidender?“ fragte Hermann, ohne das junge Mädchen anzusehen und um nur überhaupt etwas zu sagen.

„Doch nicht,“ entgegnete sie mit klarer Stimme; „es geht ihr im Gegentheil neuerdings etwas besser, und wenn Ihre Zeit Ihnen wirklich noch einen Besuch erlaubt, Herr Barner, so begleiten Sie mich vielleicht auf einen Augenblick nach Hause? Meine Mutter wünscht längst, Sie kennen zu lernen.“

Während Paula sprach, war die Gruppe vor dem Thore angelangt, welches zur Stadt führte. Frau Oberst Kettler warf einen erstaunten Blick auf das junge Mädchen und lächelte kaum merklich, als sie Hermann die Hand zum Abschied reichte und seine unverkennbare Aufregung gewahrte.

„Tausend Grüße also von Haus zu Haus, und kehren Sie bald wieder!“ sprach die liebenswürdige Frau mit vielsagendem Blick. „Dich, Paula, erwarten wir morgen bestimmt. Auf Wiedersehen!“ Sie winkte noch einmal zurück und ging dann ihres Weges.

Das junge Paar wandelte neben einander, ohne ein Wort zu tauschen. Mit jeder Secunde empfand Hermann das Auffallende, ja Unschickliche seines Schweigens nach solcher Aufforderung peinlicher, und doch war ihm die Kehle wie zugeschnürt. Was ließe sich auch sprechen, wenn die Seele voll ist bis zum Ueberfluthen und die Lippe doch von alledem nichts äußern darf? Sobald man nicht sagen darf, was man will, ist es ganz einerlei, ob man spricht oder schweigt.

Schon kam an der Biegung des Weges das rebenumzogene Häuschen zum Vorschein; Ranken und Blätter glühten in herbstlichem Purpur. Da begann Paula ihren Begleiter nach seiner Heimath, seiner Mutter zu fragen, in so sanften Lauten, daß alles Fremde, Starre davor aus seiner Seele wich und nichts zurückblieb, als der alte, allmächtige Zug nach dem lieben Mädchen hin. Ihm ward wundersam zu Muthe, wundersamer noch, als er die Schwelle überschritt, welche er in Gedanken so oft betreten hatte; es war ihm, als träumte er.

Das Zimmer zu ebener Erde, in welchem Frau Hollbach den Tag auf ihrer Chaiselongue zuzubringen pflegte, störte diesen traumhaften Zustand nicht. Alles war dort gedämpft, Licht und Farben. Der Teppich, welcher selbst zu dieser Jahreszeit den ganzen Fußboden bedeckte, ließ keines Schrittes Schall vernehmen; die niederwallenden Gardinen, das dunkle Braun der Polsterung, vor Allem diese überzarte, zwischen Kissen gebettete Gestalt mit dem sanften, geduldigen Gesicht weckten den Eindruck, als lebe sich hier eine besondere Welt aus, in welche kein lauter Ton eindringen dürfe, weder äußerlicher noch innerer Art.

„Hier bringe ich Dir Herrn Barner, liebe Mutter,“ sagte Paula einfach und rollte für den Gast einen Sessel vor das Tischchen, welches neben dem Lager der Leidenden stand. Diese streckte Hermann eine bleiche Hand entgegen und hieß ihn freundlich, ja freudig willkommen. Aus jeder ihrer Bemerkungen und Fragen ließ sich erkennen, daß Paula ihr oft von ihm gesprochen haben mußte.

Das junge Mädchen ging geräuschlos ab und zu; sie bereitete auf einem Seitentische den Thee, wozu bereits Alles vorgerichtet stand. Als sie dem Gaste eine Tasse bot, blickte er sie zum ersten Mal voll an. Sie war sehr blaß, die dunkelgrauen Augen unergründlicher als je, doch sprach eigenthümliche Festigkeit aus ihren Zügen.

Während Hermann so da saß, gleich einem Familiengliede am Lager der Kranken bewirthet, überkam ihn von Neuem tiefstes Unbehagen. Weshalb war er hier? was hatte das Alles zu bedeuten? Unnatürlich, ja fast wie ein Hohn erschien ihm diese späte Einladung und sein Verweilen. Der Contrast dieser leisen Töne, des märchenhaft umspinnenden Stilllebens hier, mit dem in seinem Hirn und Herzen wirbelnden Aufruhr wurde ihm fast unerträglich; sobald ihm die Schicklichkeit irgend gestattete, dem Besuche ein Ende zu machen, erhob er sich mit dem Bemerken, seine Zeit sei abgelaufen.

Paula warf einen schnellen Blick auf ihn; ein schwaches, sogleich wieder verschwindendes Roth huschte über ihr Gesicht, als sie flüchtig sagte: „Unser Gärtchen muß ich Ihnen doch noch zeigen. Es war so oft die Rede davon.“

Ohne seine Antwort abzuwarten, ging sie mit einladender Bewegung dem anstoßenden Zimmer zu; es war ihr eigenes, dasselbe, an dessen Fenster Hermann sie so oft gesehen und begrüßt hatte. Diesem Fenster gegenüber führte eine Glasthür nach dem kleinen Hausgarten, in welchem ein bunter Asternflor prangte.

Hermann war ihr gefolgt. Paula blieb innerhalb der Gartenthür stehen, die Hand auf der Klinke, ohne doch zu öffnen oder den Blick hinaus zu wenden. Sie sah vor sich hin; ihre Wimpern zitterten über dem halb geschlossenen Auge, und ihre Lippen bewegten sich wiederholt, ohne doch einen Laut vernehmen zu lassen. Plötzlich sagte sie in sehr leisem, eindringlichem Tone: „Ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_321.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)