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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

sie plötzlich von Indianern angegriffen, bei deren erstem Feuer sieben Männer von Büchsenkugeln getroffen zu Boden sanken. Schnell bildeten die tapferen Arkansas-Leute eine Wagenburg, in welcher sie sich auf’s Beste verschanzten und den Kampf mit den Wilden auf Leben und Tod muthig Aufnahmen.

Ich lasse jetzt den ehemaligen Mormonenbischof John D. Lee weiter reden, indem ich einen Auszug aus dem Bekenntnisse bringe, welches er vor seiner Hinrichtung schriftlich niederlegte und das zuerst im „New-York Herald“ veröffentlicht wurde.

„Im Jahre 1836 wurde ich“ – so lauten Lee’s Worte – „in meiner damaligen Heimath Illinois mit einigen herumreisenden Mormonenpredigern bekannt, welche mich zu ihrem Glauben bekehrten. Ich verkaufte mein Eigenthum in Illinois und zog nach Missouri, wo ich mit dem Propheten Joseph Smith, mit Brigham Young und andern Häuptern der Kirche der ‚Heiligen vom jüngsten Tage‘ vertraut wurde. Später wurde ich in den Orden der Daniten zugelassen, deren Mitglieder feierlich schwören müssen, allen Befehlen der Priesterschaft der Mormonenkirche Folge zu leisten. Aus dieser Organisation wurden die ‚zerstörenden Engel‘ ausgewählt.

In Jackson County in Missouri nahm ich als Mormonensoldat thätigen Antheil an den Conflicten mit den ‚Gentiles‘ und war Polizist und Leibgardist des Propheten in Nauvoo. Nach seinem Tode erhielt ich dieselbe Stellung bei Brigham Young, reiste später als Unterhändler der Kirche viel in den Vereinigten Staaten umher und bekleidete angesehene Aemter in Utah. Als der Prophet Joseph Smith die Enthüllung über Polygamie erhielt, trat ich dem neuen Glauben sofort bei. Im Laufe der Jahre erwarb ich achtzehn Weiber, worunter sich eine Mutter mit ihren drei Töchtern befand. Die Mutter heirathete ich jedoch nur, um ihre Seele zu retten. Ich bin Vater von vierundsechszig Kindern, von denen vierundfünfzig noch am Leben sind. So war ich ein geachteter Mann in der Kirche der ‚Heiligen vom jüngsten Tage‘.

Die Mountain Meadows-Metzelei war das Resultat der directen Lehren von Brigham Young und geschah auf unmittelbaren Befehl einer Mormonenconferenz in Cedar City im südlichen Utah und im Auftrage des Obersten William H. Dame und Oberstlieutenant Isaac C. Haight.

Zu Anfang September reiste ich nach Cedar City, wo ich mit Haight zusammentraf, der Befehlshaber der Iron County-Miliz und zugleich Gouverneur jenes Staates in Zion war. Haight gab mir einen ausführlichen Bericht über die Emigranten, welche bei Mountain Meadows ein Lager bezogen hätten. Er bezeichnete dieselben als Räuber und Halsabschneider, die am Morde der Missouripropheten Theil genommen. Zugleich befahl er mir, eine Indianerbande zu holen, um mit deren Hülfe die Emigranten anzugreifen, ihr Vieh fortzutreiben und jene selbst umzubringen. (Lee war zu damaliger Zeit Indianeragent und besaß volle Controle über die Indianer.)

Ich brachte sofort eine Bande der südlichen Indianer zusammen und organisirte den Angriff. Haight bemerkte noch, als ich sagte, daß es verboten sei, unschuldiges Blut zu vergießen: ‚Alles ist in Ordnung. Wir wollen den Indianern die ganze Schuld aufbürden. Nicht ein Tropfen unschuldigen Blutes ist in der ganzen Emigrantengesellschaft. Wenn Du pflichtgetreu handelst, so soll Deine Belohnung groß sein im Königreiche Gottes; denn Gott wird Diejenigen segnen, welche unsern Beschlüssen gehorchen.‘

Bei Tagesanbruch am Dienstag Morgen griffen die Indianer den ‚Train‘ an, tödteten sieben und verwundeten sechszehn Emigranten. Sie selbst verloren dabei einige ihrer Krieger. Jetzt schickten die Indianer nach mir, um den Angriff zu leiten. Die ganze Gegend war in Aufstand, und sowohl Weiße wie Indianer eilten von allen Seiten nach Mountain Meadows. Am Donnerstag langte Major Higby an und brachte den Befehl von Cedar City, daß alle Emigranten, die sprechen könnten, getödtet werden sollten; nur die kleinen Kinder dürften Schonung erhalten. Achtundfünfzig Weiße und etwa fünfhundert Indianer hatten das ganze Lager umzingelt und unterhielten ein erfolgloses Feuergefecht mit den Emigranten. Major Higby sagte, es sei das Beste, wenn die Emigranten durch Verrath aus ihren Befestigungen herausgelockt würden. Er beauftragte mich, einer Parlamentärflagge zu folgen und einen Vertrag mit den Emigranten abzuschließen, ihnen Schutz und freien Abzug zu versprechen, wenn sie die Waffen niederlegten, und die Kranken und Verwundeten in die Wagen zu schaffen. Dann sollten die Truppen mit den Emigranten zusammentreffen und sie als Escorte begleiten, während sich die Indianer in den Hinterhalt legten. Den Indianern wurde alsdann bedeutet, daß sie die Frauen umbringen sollten; die Männer wurden der Miliz als Opfer bezeichnet. Ich und die Treiber der Wagen erhielten den Auftrag, die Verwundeten und Kranken zu ermorden.

Am Freitag Morgen pflanzten die Emigranten eine weiße Flagge auf; sie hatten den Vertrag angenommen, brachten die Verwundeten und Kranken in die Wagen und begruben die todten Männer. Als sie aus dem Lager zogen, waren sie in Thränen. Eine halbe Meile von dem Platze begann das Feuern, und ich tödtete mit den Treibern verabredetermaßen die Kranken und Verwundeten. Nur siebenzehn kleine Kinder, die entblößt und theilweise verwundet auf dem Felde lagen, blieben verschont. Die Schrecken der Metzelei spotteten aller Beschreibung. Haight sagte zu Dame: ‚Verdammt! Sie haben es so angeordnet,‘ – worauf Dame bemerkte, er habe nicht gewußt, daß es ihrer so Viele seien. Das Vieh trieben wir nach Iron Springs; die Wagen und anderes Eigenthum wurde in Cedar City auf Befehl der kirchlichen Behörden verkauft. Ein heiliger Eid band alle Brüder, die bei der Metzelei betheiligt gewesen waren und sonst davon wußten, zum ewigen Schweigen.

Haight gab mir den Auftrag, nach Salt Lake City zu gehen und Brigham Young Bericht abzulegen, und versprach mir große kirchliche Belohnung für das, was ich gethan hatte.

Zehn Tage nach der Metzelei bei Mountain Meadows stattete ich dem Propheten meinen Bericht ab und erzählte ihm Alles, was ich davon wußte. Er müsse uns beistehen und uns vor Verfolgung schützen. Brigham antwortete mir, daß er sich mit Gott unterreden werde. Als ich den Propheten am folgenden Tage besuchte, sagte er zu mir: ‚Bruder Lee, es ist nicht ein Tropfen unschuldigen Blutes vergossen worden. Gott hat mir gezeigt, daß unser Volk ein gerechtes Werk gethan hat und nur ein wenig übereilt handelte. Ich trete für Alles ein, was ihr gethan habt, und fürchte nur etwaigen Verrath von Seiten der Brüder. Gehe heim und sage ihnen, daß sie Alle verschwiegen sein sollen wie das Grab! Schreibe mir einen Brief, worin Du den Indianern jegliche Schuld beimißt! Ich werde dann den Vorfall an die Bundesbehörde in Washington City als ein Indianer-Massacre berichten.‘

Young war damals und noch zehn Jahre nachher mit meinen Handlungen einverstanden. Kurz nach dem Vorfall machte er mich zum Richter von Washington County und gab mir drei Weiber. Daß er mich jetzt verläßt, ist niedrige Feigheit. Zum Jahre 1868 wurde mir von ihm auf alle Weise geschmeichelt; erst dann wählte er mich zum Sündenbock, um mich für die Verbrechen meines Volkes leiden und die Folgen derselben tragen zu lassen. Alle meine Tagebücher und andere Privatschriften wurden auf Befehl von Brigham Young vernichtet, und es bleibt mir nur mein Gedächtniß, um einen Bericht über jene Schandthaten zu geben, welche im Namen Gottes und unter der Autorität des Propheten in Utah verübt worden sind.“

Hiermit schließt das Bekenntniß von John D. Lee, in seinem trockenen Styl gehalten, welches überall in Amerika eine ungeheure Aufregung hervorgerufen hat und das Mormonenproblem auf’s Neue auf die Tagesordnung setzt. Der Mörder hat sich augenscheinlich bemüht, seinen Helfershelfern auch noch nach seinem Tode dasselbe Schicksal zu bereiten, welches ihn ereilt hat. Offenbar war er der Ansicht gewesen, daß die Kirche ihn vor aller Strafe schützen werde. Als ihn diese schmählich verließ und gleichsam als Märtyrer ihrer Sache preisgab, muß sich seiner wohl eine unbeschreibliche Wuth bemächtigt haben, wie sie aus dem Bekenntnisse deutlich genug hervorleuchtet.

Die bei der Criminaluntersuchung gemachten Aussagen der Zeugen des Blutbades und Solcher, die Genaueres davon mittheilen konnten, sind wahrhaft schaudererregend.

Während der Belagerung, die vier Tage und Nächte dauerte, hatten die Emigranten keinen Tropfen Wasser, weder für die Gesunden noch für die Verwundeten, erlangen können, und die Leiden der Letzteren waren herzzerreißend. Eine nicht weit vom Lager fließende Quelle wurde von den Indianern auf’s

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_303.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)