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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


geführt hatte, ward aber gleichzeitig der Beginn einer völligen Umgestaltung des gesammten Staatslebens, das nun in neue Bahnen gelenkt wurde. Vor Allem trat an die Stelle des bisher oft nur scheinbaren ein aufrichtig constitutionelles System, getragen von Männern, die für den Parlamentarismus von jeher gekämpft hatten, gutgeheißen von dem Großherzoge, der das schöne Wort sprach: „Ich konnte nicht finden, daß ein Gegensatz sei zwischen Fürstenrecht und Volksrecht; ich wollte nicht trennen, was zusammen gehört und sich wechselseitig ergänzt: Fürst und Volk unauflöslich vereint unter dem gemeinsamen schützenden Banner einer in Wort und That geheiligten Verfassung.“

Dem inneren Leben der Kirche wurde die vollste Selbstständigkeit gewährt, im Uebrigen aber mußte sie sich unter die Souveränetät des Staates beugen. An die Stelle der Nothcivilehe trat 1869 die obligatorische Civilehe, und im gleichen Geiste eines festen und gemessenen Fortschritts wurden viele andere Gesetze erlassen, wie über die rechtlichen Verhältnisse der Stiftungen, die öffentliche Lehrwirksamkeit der Mitglieder religiöser Orden, die Rechtsverhältnisse der Altkatholiken etc. Von höchster Bedeutung aber war die Befreiung der Volksschule von der Herrschaft der Kirche. Die confessionelle Volksschule, welche noch eine Reihe von Jahren hindurch die Regel gebildet hatte, machte 1868 der facultativen, 1876 der obligatorischen gemischten Schule Platz. An die Volksschule schließt sich seit 1875 eine Fortbildungsschule an, deren Besuch für die Knaben noch zwei Jahre, für die Mädchen noch ein Jahr nach Zurücklegung des schulpflichtigen Alters vorgeschrieben ist.

Auf dem Gebiete der Rechtsgesetzgebung traten seit 1864 Reformen in's Leben, welche Baden zu einem modernen Rechtsstaate im vollen Sinne des Wortes umschufen, und ebenso große Sorgfalt wandte der Großherzog und seine Regierung der Pflege der Wissenschaften und des höhern Unterrichtswesens zu. An den Landesuniversitäten Heidelberg und Freiburg und an der Polytechnischen Schule zu Karlsruhe wurden zahlreiche neue Lehrstühle errichtet, wissenschaftliche Institute erbaut und keine Kosten gescheut, um die ausgezeichnetsten Lehrkräfte zu gewinnen und zu erhalten. Nicht weniger ist für die Hebung von Landwirthschaft, Handel und Gewerbe geschehen, und auch hier ist den Unterrichtsanstalten ein besonderes Augenmerk geschenkt worden. Für den Verkehr wurde in ausgiebigster Weise gesorgt, vom äußersten Gebirgsort bis in das Rheinthal, welches von jeher eine Weltstraße voll pulsirenden Lebens war.

Die Finanzen des Landes wurden ausgezeichnet verwaltet. Der Wohlstand ist gestiegen, die Consumtionsfähigkeit gesteigert; die Staatseinnahmen sind vermehrt worden; abgesehen von der durch Werthe gedeckten Eisenbahnschuld, ist das Großherzogthum schuldenfrei.

Solche Umgestaltungen aller Zweige des Staatslebens, solche zahlreiche Neuschöpfungen konnten nicht in's Leben treten, ohne manchem mehr oder weniger heftigen Widerspruche zu begegnen. Offenen Widerstand fand die ganze moderne Gesetzgebung aber doch nur von Seite der katholischen Kirchenbehörden und der mit ihnen verbundenen ultramontanen Partei des Landes. Nicht nur jenen Gesetzen, die sich unmittelbar auf das Verhältniß der Kirche zum Staate beziehen sondern überhaupt allen auf freisinniger Grundlage aufgebauten Werken der Gesetzgebung zeigte sich diese Partei feindlich. Sie setzte alle Mittel in Bewegung, um der liberalen Entwickelung Schwierigkeiten zu bereiten, Hirtenbriefe des Erzbischofs und nach dessen Tode des Erzbisthumsverwesers, Versammlungen und Vereine mit specifisch-confessionellem Charakter, die durch das unwahre Vorgeben, daß die Religion bedroht sei, zu Stande gebracht wurden, Adreßstürme, eine vor keiner Verdächtigung und Rohheit zurückschreckende Presse – das Alles wurde aufgeboten, um den Glauben zu erwecken, daß das Volk in seiner überwiegenden Mehrheit von dem Fortschritt, von der freiheitliche Gesetzgebung nichts wissen wolle. Den rechtsgültig zu Stande gekommenen Gesetzen stellte, so weit sie kirchliche Verhältnisse berührten, die Curie zu Freiburg nicht nur Proteste, sondern theilweise directe Auflehnung gegenüber, welche den Erzbisthumsverweser selbst und zahlreiche Geistliche des Landes sogar in Conflicte mit dem Strafgesetzbuche brachte. Aber alle diese Uebergriffe der Kirchenbehörden, alle diese Agitationen der Ultramontanen scheiterten an dem streng gesetzlichen Sinne des Großherzogs, an der Festigkeit der Regierung, an der gesunden und klaren Erkenntniß des badischen Volkes, welches recht wohl zu unterscheiden wußte zwischen wahren und falschen Freunden, zwischen Licht und Finsterniß, zwischen dem ernsten Streben der liberalen Partei, das Volk immer mehr zur Bildung, zur selbstständigen Pflege seiner Interessen heranzuziehen, und den Bemühungen der Ultramontanen, es niederzuhalten in Unwissenheit und Unbildung zum Vortheil eines selbstsüchtigen Pfaffenregiments. Wenn es auch den Ultramontanen gelungen ist, im Laufe der Zeit eine Anzahl von Sitzen in der zweiten Kammer zu gewinnen, so steht dennoch fest, daß der weitaus größte Theil des badischen Volkes treu und bewußt dem liberalen Banner folgt und sich unentwegt zu der Ansicht bekennt, die Großherzog Friedrich noch unlängst bei festlichem Anlasse aussprach: daß die Gesetzgebung unseres Landes fest gegründet ist und daß auf den Grundlagen, auf welchen sie beruht, weiter gearbeitet werden muß.

Aber nicht nur die inländischen Oppositionsparteien bereiteten dem Werke der staatlichen Neugestaltung Badens manche Schwierigkeit, sondern auch von außen geschah gar Vieles, in der Absicht diese Arbeit nach Kräften zu erschweren. Es fehlte weder das mitleidige Achselzucken benachbarter „Staatsmänner“ über das unruhige, experimentirlustige Ländchen, noch die mit der Miene überlegener Besorgtheit vorgetragene Warnung vor Ueberstürzung, vor den unausbleiblichen traurigen Folgen des liberalen Regimentes. Um so ehrenvoller ist die stätige Ausdauer, mit welcher der Großherzog und die Männer, denen er sein Vertrauen schenkte, unbeirrt der einmal eingeschlagenen Richtung treu blieben, und sich – wie es der Großherzog in der Thronrede am Schlusse des Landtags von 1863 aussprach – bewährten „als wahre Freunde der Freiheit, jener Freiheit, die sich selbst beherrscht, und jenes Fortschrittes, der, aus der Einsicht des Bedürfnisses hervorgehend, sich in besonnener Erwägung des Staatswohls und treuer Liebe zum Vaterlande verwirklicht.“ Und jetzt, nach einer Reihe von Jahren, hat der Großherzog und hat die liberale Partei in Baden die Genugthuung, zu sehen, daß die „Experimente“, wegen deren man Baden belächelt oder bedauert hatte, in anderen deutschen Ländern, selbst in Preußen, ja für das ganze Reich eines nach dem andern zur Durchführung kommen.

War so die Haltung des Großherzogs Friedrich von Baden und seiner Regierung und Volksvertretung für die freiheitliche Entwickelung unseres Vaterlandes von einer Bedeutung, die weit über den Einfluß hinausreicht, welchen Baden, der Zahl seiner Quadratmeilen und Einwohner nach, zu beanspruchen hätte, so war dies in nicht geringerem Maße der Fall auf dem Gebiete der nationalen Einheitsbestrebungen. Dieselben Männer, welche den Kampf gegen die Uebergriffe der Curie aufgenommen und zu glücklichem Ende geführt hatten, übernahmen in Baden auch die Leitung der öffentlichen Meinung, als der Eintritt der „neuen Aera“ in Preußen, der Ausgang des Krieges von 1859, die Gründung des Nationalvereins in ganz Deutschland[WS 1] den nationalen Geist neu belebte. Mit voller Klarheit und Entschiedenheit wurde von den Anhängern der nationalen Partei in Baden, unter der Führung von Häusser, Jolly, Pagenstecher, Lamey, Eckhard und Anderen, die Forderung nach der Bildung eines Bundesstaates unter Preußens Führung, nach einer kräftigen Centralgewalt und einem nationalen Parlament erhoben. Und auch hier stimmte der Großherzog mit den Wünschen des politisch denkenden Theiles seines Volkes vollkommen überein. Durch die Berufung des Freiherrn Franz von Roggenbach an die Spitze seines auswärtigen Ministeriums gewann er einen ideal angelegten und national gesinnten Staatsmann für die Gestaltung seiner Beziehungen zum deutschen Bunde und zu den einzelnen Bundesstaaten; durch die Heranziehung von Männern wie Robert von Mohl und Karl Mathy zeigte er vor aller Welt, wie ernst und entschieden er die Aufgabe erfaßte, an seinem Theil für die Wiederaufrichtung eines geeinigten und mächtigen Deutschland mit voller Kraft thätig zu sein. Ueber die ebenso mannhafte wie fürstliche Haltung des Großherzogs Friedrich bei dem Frankfurter Fürstentage hat unser Artikel von 1863, der durch dieselbe sogar veranlaßt wurde, ganz besonders gehandelt.

Und als dann aus den Irrgängen dieser Frage sich plötzlich die deutsche Frage herausentwickelte, als sich die deutschen Mittel- und Kleinstaaten vor die Entscheidung gestellt sahen, in dem bevorstehenden Kampfe für Preußen oder für Oesterreich zu den Waffen zu greifen, auch da blieb Baden, so lange es möglich

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Dentschland
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_300.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)