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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Schiller der Graf von Savern seinen Todesbefehl zuherrschte, die auf unserm Bilde fühlen aber nichts weniger als Henkerslust und haben kein fühlloses Herz in ihrer Brust, wie ihre Vorfahren; sie verrichten in der von Kindheit auf erlernten Weise, zwar wortkarg, aber in größter Gemüthlichkeit, ihre schwere, heiße, manchen Schweißtropfen auspressende Arbeit. Der rechts im Vordergrund sorgt für das Erhitzen der großen Eisenstäbe; der andere links regelt mit der Schützenstange den Lauf des rastlosen Wasserrades, und der Dritte schmiedet und streckt mit starker und geübter Hand den weißwarmen Eisenstab unter dem gewaltig zuschlagenden Hammer, bei dessen Schlägen blendende Strahlen um den Ambos herumleuchten.

„Und bildsam von den mächt’gen Streichen,
Muß selbst das Eisen sich erweichen.“

Das einfache Mittagsbrod bringend, wartet das frische Weib des Einen mit dem Jüngsten im thüringer Kindermantel auf eine Pause in der Arbeit, um mit dem erst am letzten Tage der Woche heimkehrenden Manne eine kurze Zeit über die kleine Wirthschaft daheim, die Kinder oder was es sonst Neues giebt, zu reden; an ihren Knieen lehnt der Aelteste, durch Schurzfell und Hammer bereits kundgebend, daß auch er einst ein Hammerschmied werden will. Auch der große zinnerne Bierkrug fehlt nicht, denn der Hammerschmiedsdurst ist berühmt und unlöschbar. Was die alten Hammerschmiede in dieser Hinsicht leisten konnten, erzählt die Chronik von den sechs Suhler Blechschmieden, die des Sonnabends nach der Auslöhnung in ihrem fast adamitischen Arbeitscostüm, alle Wirthshäuser unterwegs revidirend, nach dem drei Meilen entfernten Arnstadt wanderten, um sich an dem dortigen berühmten Weizenbiere einmal gründlich zu laben. Diese Labung dauerte eine ganze Woche und endete erst mit dem letzten Tropfen des ganzen Gebräues, der Brauherr aber schenkte den unverwüstlichen Trinkern ob der seinem Biere angethanen Ehre die Zeche, und stolz und vergnügt kehrten die Suhler über den Rennsteig heim in ihren alten lieben Hammer.

Wie unsere Abbildung, so zeigte sich ehemals auch jedem Touristen und Curgast das Innere des durch seine überaus freundliche Lage im Thale der noch jugendlichen Ilm ausgezeichneten Grenz- oder Fridolin-Hammers; er ist in der unmittelbaren Nähe des an Naturreizen so reichen Ilmenau an dem von den Geognosten viel untersuchten hochinteressanten Ehrenberge gelegen; nach längerem Stillstande ist er seit einer Reihe von Jahren zu einem kleinen Gußstahlhüttenwerke umgewandelt worden, aus dessen Räumen der Hämmer Tactschlag wieder kräftig hervorschallt.

Seit mehreren hundert Jahren wurden hier Saalfelder und in unmittelbarer Nähe gewonnene Erze verschmolzen und Stabeisen erzeugt. Karl August, welcher einen Antheil am Besitze erwarb und sich lebhaft und eingehend für den Betrieb des Werkes interessirte, besuchte mit Goethe gar oft den Grenzhammer und schaute stundenlang der Arbeit in der alten Hammerhütte zu. Der Märchendichter Musäus genoß wiederholt seine Sommerfrische hier, und auch Schiller’s Name ist mit dem Grenzhammer verwoben; wenigstens läßt ihn der Volksmund auf dem zu jener Zeit mit dichtem Walde umgebenen Gewerke gern weilen und die schöne Legende vom frommen Knechte Fridolin dichten.

Die Eisenbahn-Aera, welche Thüringen die fehlenden Steinkohlen herbeischaffte, hat in’s Schmalkaldische und Saalfeldische neues Leben für die Eisen- und Stahlindustrie gebracht. Die Güte der Eisenerze zog Capital und Unternehmungslust herbei; selbst Großindustrielle wie Krupp und Borsig sind auf Thüringen aufmerksam geworden. Beide treiben schon mehrere Jahre in der alten Ruhl Bergbau auf vorzüglichen Rotheisenstein. Je mehr sich Zweige von den Haupteisenbahnlinien in das thüringer Gebirge hinein erstrecken, desto größeren Aufschwung werden Bergbau und Hüttenwesen und der mannigfachste Gewerbfleiß gewinnen, trotzdem werden aber für den erquickenden und stärkenden Genuß der herrlichen Gebirgsnatur stille Thäler, schattige, duftende Wälder und ozonreiche einsame Berghöhen genug noch übrig bleiben und nach wie vor dem Leidenden und dem erschöpften Großstädter Heilung und Labung spenden.

Fritz Röhr.




Blätter und Blüthen.


Die letzte Ordonnanz des Marschall „Vorwärts“. Zu Denjenigen, welche in schwerer Zeit den Ruf des Königs und den Angstschrei des unglücklichen Vaterlandes vernahmen, gehörte auch Karl Wilhelm Ferdinand Zimmermann, geboren am 14. November 1795 auf dem Rittergute Goerden bei Brandenburg; er trat am 1. December 1812 als Freiwilliger in das zweite westpreußische Dragonerregiment, hat mit ihm die Feldzüge unter Blücher mitgemacht und dann ununterbrochen als Quartier- und Wachtmeister im achten Kuirassierregiment weiter gedient, wo er den 6. Mai 1852, nach einer vierzigjährigen Dienstzeit, als Secondelieutenant, mit einer Pension von täglich zwölf Silbergroschen, seinen Abschied bekam. – Zwölf Silbergroschen! Ein rechtes Liebeszeichen – doch basta! Es ist nicht meine Absicht, über das Wesen der Gerechtigkeit hier zu reflectiren; dazu haben wir in Deutschland genügend Männer, die besser verstehen als ein unbeachtetes Menschenkind, was Deutschland der letzten Ordonnanz des alten „Vorwärts“ schuldet. Lassen Sie mich lieber in kurzen Worten Einiges aus dem Leben des alten Haudegen vorführen, wie ich es aus seinem eigenen Munde gehört habe:

„Zwei Tage vor der Schlacht von Belle Alliance,“ sagte er, „ritt Excellenz durch unser Feldlager, hielt bei mir an und fragte in abgebrochenen Worten: ‚Zimmermann, können Sie lesen und schreiben?‘ Zu damaliger Zeit waren dieser Kunst unter Hundert nur Zehn fähig. Auf mein ‚Ja‘ commandirte Excellenz mich vor; ich mußte mit ihm in’s Hauptquartier reiten und kam während des ganzen Feldzuges nicht wieder von seiner Seite. Wo es die wichtigsten Depeschen, die schärfsten Ritte galt, mußten ‚Zimmermann und sein Russe‘ d’ran. Der ‚Russe‘ war mein Gaul, der schnellste und wildeste Renner im ganzen Regiment und dabei das treueste und dankbarste Thier, welches ich heute noch nicht vergessen kann.

Es war in einer stürmischen Nacht nach einem heißen Treffen, als mir mein damaliges Roß erschossen wurde. Der ‚Russe‘ jagte mit zerrissenem Sattelzeug und fliegender Mähne ohne Reiter an uns heran; durch einige Worte polnisch, die ich ihm radebrechend zurief, brachte ich ihn zum Stehen; ich schlich mich an ihn heran, und nach kurzem Manöver gab er sich mir gefangen, und zwar zu meinem Glück; denn einen besseren Gaul konnte ich nicht finden. Den ganzen Feldzug habe ich ihn geritten, bin auf ihm in Paris eingezogen und habe mit ihm die Jubelrufe des befreiten Vaterlandes gehört. Doch größere Tage, als die von Belle-Alliance, haben wir nicht wieder zu sehen bekommen; das war ein Entscheidungskampf wie bei Leipzig. Noch höre ich, wie Excellenz riefen: ‚Kinder, wir müssen siegen oder Keiner sieht sein Vaterland wieder.‘ Noch sehe ich sein blitzendes Auge, als er mir vor der Schlacht die Depeschen an die verschiedenen Commandeure überreichte, und höre die Worte, welche er mir zurief: 'Zimmermann, nun reiten Sie mit dem Russen wie zwei Teufel, denn wichtigere Ordres haben Sie noch nicht getragen!‘

Die Schnelligkeit, mit der ich damals meine Pflicht erfüllt, ist mir heute noch ein Räthsel; in vierundzwanzig Stunden meldete ich mich zurück und erhielt sein kurzes ‚brav, brav!‘ Gleich darauf donnerten die Kanonen; unsere Trompeten schmetterten, und mit Hurrah ging es fort zur Schlacht, zur Schlacht, die ewig glänzen wird in den Blättern der Geschichte. Ich ziehe meinen Hut vor den jungen Helden von 1870 und 1871 – doch ein Belle-Alliance haben sie nicht erlebt.

Ein Andenken an jene großen Tage habe ich noch von Excellenz, wie es wohl nur Wenige besitzen.“ Dabei holte er aus einem verborgenen Schreine eine reichverzierte Meerschaumpfeife hervor. „Diese Pfeife,“ erzählte er mit fast weinerlicher Stimme, „hat mir Excellenz nach der Schlacht von Belle-Alliance selbst überreicht. Unsere Leute hatten sich, ermüdet vom Kampfe, am Wachfeuer gelagert; ich stand, auf mein Schwert gestützt, bei meinem Russen und schaute gedankenvoll in die dunkle Nacht hinaus. Plötzlich kam Excellenz an mich herangeritten, hielt sein Roß an und fragte:

‚Zimmermann, warum rauchen Sie nicht?‘

‚Excellenz,‘ erwiderte ich, ‚der Ordonnanzritt von vorgestern hat mich mein ganzes Rauchzeug gekostet.‘

‚Aber, aber,‘ war seine Entgegnung, ‚wie kann man sein Liebstes verlieren!‘ Er winkte darauf seinem Kammerdiener, der stets hinter ihm ritt, und befahl diesem, eine Pfeife mit dem nöthigen Rauchzeuge für mich zu holen, und bald darauf überreichte mir Excellenz diese Pfeife mit den unvergeßlichen Worten:

‚Zimmermann, die rauchen Sie zum Andenken an den letzten Ritt!‘

Als Excellenz im Dunkel der Nacht verschwunden war, trat ich an ein Wachfeuer, um mir meine Pfeife anzustecken; dabei bemerkte ich am Kopfe derselben ein sonderbares Gefunkel und entdeckte bei näherer Betrachtung zwölf der edelsten Steine, die wie Sterne leuchteten. Ich zog darüber den Kammerdiener in’s Vertrauen, doch dieser meinte, Excellenz habe mir das Rauchzeug geschenkt, und es wäre mein Eigenthum. Wie habe ich aber diese Pfeife bewahrt! Wie meinen Augapfel!

Als wir in Versailles lagen, fehlte es mir immer an dem Nöthigsten, und nach langem Kampfe mit meinem Gewissen wurden die Steine mein Retter; ich verkaufte das Stück für zwölf Napoleons an einen Pariser Juden; an dem hohen Preise erkannte ich erst den großen Werth der Steine, denn jedenfalls hat der Jude das Dreifache dafür bekommen. – Hier,“ sagte der alte Knasterbart, „sehen Sie noch die zwölf Vertiefungen im Kopfe, wo die Steine gesessen, die mir damals ein flottes Leben bereitet – die Pfeife aber habe ich in Ehren gehalten und hätte sie nicht hergegeben, wenn man sie mit Diamanten aufgewogen. Nur an hohen Ehrentagen rauche ich daraus; der nächste ist der Geburtstag unseres Kaisers, der ja auch mit uns dabei war, doch wohl keine Ahnung hat, daß hier im Schwarzburger Lande, im Städtchen Greußen, noch ein alter Graukopf lebt, der dem großen Feldherrn so nahe gestanden, wie wohl keiner der Lebenden: ‚die letzte Ordonnanz des Marschall Vorwärts‘.“



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