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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Erkrankung vom Nachttische. Mir ahnte, daß ihr giftiger Inhalt seinen Zustand herbeigeführt, daß er sterben wollte, weil er mich untreu glaubte. Den Gedanken ertrug ich nicht. Wenn alle Welt mit Fingern auf mich wiese und mich des moralischen Gattenmordes anzuklagen kam! Ich flüchtete mit dem Fläschchen in mein eigenes Schlafzimmer, warf es in die tiefste Ecke des Schubfaches und verschloß dasselbe doppelt; den Schlüssel steckte ich zu mir.“

„Und wie kam Belladonna in Ihre Hände? Wie konnten Sie sich das tödtliche Gift verschaffen?“ fragte ich strenge.

„Muß auch das gesagt werden?“

„Ja.“

„Die Zeit liegt so weit hinter mir,“ sagte Blanche erröthend, „daß sie mir wie ein gaukelnder Traum vorkommt. O, wie furchtbar ernst, wie schwer ist das Leben! Wie ist es möglich, es zu vertändeln, wie ich es kürzlich noch gethan! Meine Eitelkeit hat Fürchterliches herbeigeführt. Ich galt – Ihr wißt es – für die schönste Frau unseres Kreises. Da kam nach längerer Abwesenheit der Adjutant meines Mannes mit einer jungen Frau heim. Sie war weniger regelmäßig gebildet als ich, aber sie hatte ein paar Augen, die alle Welt entzückten. Ich sah beleidigt, empört, zum Aeußersten gereizt, all meine Bewunderer zu meinem Feinde übergehen. Für eine Frau, die nur der Welt lebt“ – sie sprach es schamhaft zögernd und tief niedergeschlagen – „kommt das einem socialen Todesurtheile gleich. Ich zermarterte mein Hirn, wie diesem Mangel der Natur abzuhelfen sei, und mein Unstern spielte mir ein Buch über orientalische Frauen und ihre Schönheitsmittel, besonders über die Anwendung von Belladonna zur Vergrößerung der Pupille, in die Hände. Ein fieberhaftes Verlangen nach dem Besitze dieses Mittels erfaßte mich. In G. war ich zu bekannt, um den Versuch zu wagen. Ich benutzte daher den nächsten Ausflug in unsere Provinzhauptstadt dazu. Und leider ist es mir nach mehrfachem Mißerfolge geglückt, in einer Apotheke einen Provisor durch reiche Entschädigung zur Ueberlassung eines Fläschchens Belladonna zu überreden.“

Sie sank erschöpft zurück. Der Oberst nahm sie in die Arme und legte sie sanft auf ein Sopha nieder. Sie schloß die Augen und lag still und regungslos eine lange Weile.

„Oberst,“ wandte ich mich dem von Aufregung ermatteten Vater zu, „Sie müssen sich Ruhe gönnen!“

„Ich glaube, es macht mich noch wahnsinnig,“ murmelte er dumpf. „So wahr ich an Gott glaube, sie ist unschuldig, und Sie behaupten doch, daß er an Gift starb?“

„So wahr[1] ich an Gott glaube,“ wiederholte ich feierlich.

„Alles Nacht und Dunkel,“ sagte er in äußerster Verzweiflung, „ein undurchdringliches Geheimniß, das für mich nur ein Lichtpunkt durchstrahlt: mein Kind ist es nicht, das den Frevel beging.“

Ich hatte den Oberst auf eines der Ruhebetten niedergezwungen und ihm ein paar Tropfen Morphium gegeben, um seine Nerven zur Ruhe zu bringen. Dann winkte ich Sibyllen, und wir traten auf die Veranda hinaus. Das Unwetter hatte inzwischen ausgetobt. Die Sonne trat im Untergehen noch einmal hervor. Sie entlockte dem feuchten Erdreich und dem Blumenflor ein Meer von Duft. Wir stiegen langsam die Steinstufen herab.

„Nicht da hinunter!“ warnte Sibylle, als ich mich, den vom Gewitterregen aufgeweichten Erdboden nicht beachtend, dem Parke zuwenden wollte, „lassen Sie uns in den Obstgarten gehen! Dort sind die Wege mit Kies bestreut und daher viel passirbarer.“

Wir gingen in ernstem Gespräch langsam um das Haus herum und mußten den Küchengarten passiren. Plötzlich stehe ich wie gefesselt still. Der Platz kommt mir nicht fremd vor, und doch weiß ich, ich habe ihn noch nie betreten. Habe ich ihn im Traum gesehen? Nein, jetzt weiß ich’s. In der Todesnacht des Commandanten hab’ ich vom Bogenfenster der Treppe aus diese Partie des Gartens im Mondschein gesehen. Bleichgelbe Blumen, die eine schöne Aehre bilden, mit dunkelpurpurnen, unten rothbraunen Adern, wuchsen in großer Menge darauf. Ich weiß nicht, welch’ segensvoller Impuls mich jetzt diesen Gewächsen näher treten hieß; unwillkürlich beugte ich mich herab und unterwarf die widerlich betäubend riechende Blume einer genaueren Prüfung. Ich brach eine der Pflanzen ab und betrachtete mir sinnend und nachdenklich den ästigen, etwas klebrigen, zwei bis drei Fuß hohen Stengel und die lanzettförmigen Blätter, die abwechselnd darum standen, gekrümmte, schmutzig-grüne, wollige Blätter mit weißen Haaren, wie der Haushofmeister in jener denkwürdigen Nacht eines von meinem Aermel gebürstet hatte.

„Sibylle!“ Ich brachte es athemlos kaum hervor; in mir begann es ahnend zu tagen, – „kommen Sie, die Sie eine gute Botanikerin sein sollen, meinem Gedächtniß zu Hülfe! Sagen Sie mir, ist das nicht Hyoscyamus niger?“

„Ja, schwarzes Bilsenkraut,“ bestätigte sie verwundert.

„Licht!“ – Ich mag es förmlich hinausgeschrieen haben. Sie starrte mich an, als wäre ich von Sinnen.

Ich beugte mich nieder und suchte. – Ich hatte nach einer halben Secunde den kostbaren Fund gethan. Wie der Staatsanwalt seine Anklage auf Combinationen weiter baut, so hatte ich mit dem einen Lichtpunkte divinatorisch den Faden weiter gesponnen und hob das corpus delicti auf, das Blanche vor öffentlicher Bloßstellung bewahren sollte.

Es war ein kleines Bündel vertrockneten Hyoscyamus niger. Weil es nur halb trocken war, hingen die einzelnen zusammengeschrumpften, bald höher, bald tiefer abgebrochenen Stiele so eng zusammen.

„Triumph, Sibylle! Blanche ist unschuldig.“ Wie eine Siegestrophäe schwang ich das trockne Bündel mir um den Kopf, und dann eilte ich die Allee hinab und stand gleich darauf in der Küche.

„Geht Alle hinaus!“ herrschte ich das Personal an, das wie das aufgescheuchte Federvieh aus seiner gemüthlichen Kaffeesitzung aufgeschreckt war, und nur die Köchin, die sich scheu vorüber drücken wollte, hielt ich am Arme fest und bedeutete sie barsch, zu bleiben. Sibylle war mir gefolgt. In angstvoller Spannung sah sie meinem befremdlichen Treiben zu.

„Fräulein Unruh, ich bitte Sie, dienen Sie meinem Verhör hier zum Zeugen und führen Sie das Protokoll!“

Die Köchin war kreideweiß geworden. Sie hockte auf der Küchenbank nieder und nahm zu dem gewöhnlichen Mittel solcher Leute ihre Zuflucht: sie zog ihre Schürze vor den Mund und fing kläglich zu weinen und zu winseln an.

„Wenn Sie nicht still sind und mir nicht offen und vernünftig antworten, werd’ ich die Polizei gleich herein rufen.“

Das half.

„Wie heißen Sie?“

„Christine Auguste Mertens.“

„Verheirathet oder unverheirathet?“

„Wittwe.“

„Wie alt?“

„Einunddreißig Jahre.“

„Wie lange hier im Dienst?“

„Fünf Monate.“

„Hatten Sie Grund, Ihrem Herrn Böses zuzufügen?“

„Nein, er war ein sehr guter Herr.“

„Warum haben Sie ihn dann durch Bilsenkraut vergiftet?“

Ehe sie leugnen konnte, zog ich das Bündel aus der Tasche und hielt es ihr unter die Augen. Sie wurde um noch einen Schatten bleicher und fuhr erschrocken auf. „Das haben Sie in der Todesnacht Ihres Herrn in der Hand gehabt, als ich Sie fest hielt; Sie haben es dann hinausgetragen und auf den Schutthaufen geworfen, wo das Bilsenkraut wächst.“

Sie sah mich aus großen Augen wahrhaft entsetzt an und machte mir nun schnell umfangreiche Geständnisse, die ich als Resumé hier wiedergebe:

Frau Mertens war eine lebenslustige Wittwe, und da sie am 28. Juli zur Hochzeit gebeten war und vor dem Hochzeitsfest noch einen Gang zu machen hatte, war sie an diesem Abend sehr eilig. Mit den übrigen Dienstboten stand sie nicht allzu gut. Keiner wäre für sie eingetreten, und das Abendbrod für Excellenz brodelte auf dem Feuer und mußte noch tüchtig mit Petersilienwurzel versehen werden, die Excellenz am Hühnerfricassée besonders liebte. Da, wie der Retter in der Noth, kommt Gretchen, Frau Mertens’ siebenjährige Tochter, um die Mutter zu besuchen, aus der Stadt hinauf.

„Lauf ’mal hinaus und hol’ eine Hand voll Petersilie! Gleich vorn auf dem Erdhügel, weißt Du? Reiß’ die Wurzel mit aus und komm’, was Du laufen kannst! – Ich hab noch schnell einen Gang zu machen. Putz’ die Wurzel hübsch sauber ab, schneid’ sie in den Topf und paß mir auf, daß nichts überkocht oder anbrennt!“

  1. Vorlage: 'war'
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_254.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)