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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


seit ich Sie zu dieser bezaubernden Blüthe entfaltet sehe. Still!‘ sagte er drohend, und seine verwüsteten Züge wurden noch düsterer. ‚Sie werden mir gern oder ungern angehören, und beleidigt mein Liebesgeflüster Ihr Ohr, so können wir es auch einmal mit der Aufrichtigkeit versuchen. Die wird Sie vielleicht besser von dem Ernste der Sache überzeugen, Baronin.‘

Mir war wie dem Vogel unter dem Blick der Schlange. Ich wäre gern geflohen – aber ich konnte keinen Schritt von der Stelle. Mit dem Rücken lehnte ich gegen den Baum und athmete schnell und beklommen. Er sprach hastig, wie Jemand, der über eine Fatalität möglichst schnell fortgehen will. Ich glaube, in diesem Augenblicke schämte er sich seiner tiefen Gesunkenheit, denn sein Auge suchte scheu den Boden.

‚Sie sollen klar sehen, Blanche,‘ sagte er. ‚Ich bin elender als ein Bettler. Ich werde steckbrieflich verfolgt wegen – wegen einiger kleiner Manipulationen, die unglücklich ausgefallen sind. Aber ich will nicht untergehen,‘ – er biß die blitzenden Zähne knirschend zusammen. ‚Ich war leichtsinnig; ich bin nicht absolut schlecht. Ich will nicht lechzen müssen nach Genüssen, für die ich meiner Seele Seligkeit bereits geopfert. Ich bin zu weit gegangen, um umkehren zu können. Vorwärts denn, vorwärts mit Dir, Blanche!‘

‚Und was kann ich dabei thun?‘ brachte ich, am ganzen Leibe zitternd, hervor.

‚Mein sein!‘

Ich glaube, er las den Abscheu auf meinem Gesicht. ‚Ich bin keine Goldprägemaschine,‘ sagte ich verächtlich.

‚Gar nicht nöthig, mein Täubchen!‘ – er schlug immer mehr zu dem Ton cynischen Spottes an – ‚Du bist reich genug, um uns ein paar Jahre in tollem Jubel dahintreiben zu lassen. Wisse, nur Dein Reichthum bewahrt mich vor dem Zuchthaus! Glaubst Du noch, daß ich diese gefälligen Briefe nicht als Pression bis zum Aeußersten ausnützen werde?‘

‚Man kommt,‘ flüsterte ich voll Todesangst.

‚Gut, ich erwarte Dich hier morgen Abend,‘ sagte er entschlossen, und dann ging er. Er schritt Ihnen gerade entgegen, Sibylle,“ sagte sie nach einer kurzen Pause und wandte der Angeredeten das Gesicht zu, „denn Sie kamen durch die Allee auf uns zugeschritten. Sie sahen ihn aufmerksam an.

Einen Moment später, Sibylle, stand ich vor Ihnen und stammelte etwas von einem reisenden Maler, als Sie mich gleich darauf fragten, wer der Fremde sei. An dem eigenthümlichen Blicke, den Sie mir zuwarfen, sah ich, daß Sie mir nicht glaubten. Welch eine Nacht, welch einen Tag hab’ ich darauf verbracht! Tausend Pläne, mich des Fürchterlichen zu erwehren, durchkreuzten mein Hirn. Bald wollte ich meinem Manne, bald Dir, Vater,“ – ihr Blick richtete sich wieder auf den Oberst – „Alles gestehen, aber die feige Furcht drängte den Gedanken zurück. Zukits’s sichere Hand war berühmt. Ich hätte für Euer Leben zittern müssen. Ich kannte meines Mannes und Deine Gesinnung ja zu gut. Ein Duell wäre unvermeidlich geblieben. Ich raffte alle Juwelen, alles Geld zusammen, das sich in meiner Schatulle fand. Vielleicht ließ er sich um diesen Preis bewegen zu gehen. Vielleicht verkaufte er mir dafür meine Briefe. Ich wollte es wenigstens nicht unversucht lassen.“

Blanche schwieg einen Moment. Dann sagte sie, zu Sibylle gewandt: „Den ganzen Tag fühlte ich Ihre beobachtenden Blicke auf mir. Der Nachmittag kam, der Abend auch; es war, als hätten Sie sich mir zur Wache gestellt. Die Hauptausgänge blieben mir dadurch versperrt. Von ferne sah ich Zukits um das Schloß irren. Mir wurde todesangst. Ich entschlüpfte durch die geheime Pforte und eilte zum Platz des Stelldichein. Er erwartete mich dort mit Ungeduld, zürnend, grollend, und ich hatte ihm kaum das Päckchen mit Pretiosen und Gold in die Hand drücken können – da raschelten die Zweige, und Sie, Sibylle, traten auf die in Mondschein gebadete Lichtung.

‚Excellenz schicken mich; sie wünschen zu soupiren und erwarten Euer Gnaden,‘ sagten Sie, und ich hörte den strengen Tadel aus der höflichen Stimme heraus. Sie verbeugten sich und traten, respectvoll wartend, einige Schritte zurück, aber Sie blieben doch so nahe, daß wir kein Wort mehr wechseln konnten.

‚Ich denke, Sie haben jetzt Ihren Zweck hier erreicht; wollen Sie mir die fraglichen Skizzen nun überlassen?‘ redete ich Zukits an, mich zu verzweifelndem Muthe aufraffend.

‚Sie sind mir von großem Werthe, meine gnädige Frau,‘ gab er geschmeidig mit gutgespielter Unterwürfigkeit zurück, ‚gestatten Sie nur erst zu untersuchen, ob der Kaufpreis im Verhältnisse zu denselben steht!‘

‚Es ist das Aeußerste, was ich dafür zu bieten habe. Reicht es nicht aus, müßte ich an die Großmuth des Commandanten appelliren, die er mir sicherlich nicht versagen wird,‘ sagte ich entschlossen, ‚die hiesige Luft dürfte Ihnen übrigens schlecht bekommen. Man sagt, daß Festungsluft Leuten von Ihrer Constitution gefährlich werden kann. Ich wünsche Ihnen daher glückliche Reise.‘

Er war furchtbar bleich geworden. Ich sah, ich hatte ihn durch diese Drohung – meine letzte Waffe – nun meinerseits einzuschüchtern verstanden. Er hatte die kleine ängstliche, schreck- und zaghafte Blanche von damals zu finden erwartet. Das entschlossene Weib imponirte ihm ohne Zweifel, denn er verbeugte sich bis zum Boden, als ich stolz an ihm vorüberschritt und Ihnen, Sibylle, zuwinkte, mir zu folgen.

Wir gingen ein paar Augenblicke stillschweigend neben einander. Ich zermarterte mein Hirn, wie eine passende Erklärung der Dienerin gegenüber einzukleiden sei, die mich bereits zwei Mal in jener abenteuerlichen Gesellschaft überrascht hatte. Sie wissen, Sibylle, daß ich mich zu einem unbefangenen Tone zwang, als ich die flüchtige Bemerkung schnell hinwarf: Die Kunst scheine heute nach Brod zu gehen, da jener unheimliche Gesell, der sich einen reisenden Maler nenne, mich wiederholt um eine Gabe angesprochen.

‚Ist Herr von Zukits bereits so weit heruntergekommen?‘ meinten Sie gelassen und dann gingen Sie ruhig weiter, als sähen Sie nichts von meinem tödtlichen Erschrecken. Es sollte noch ärger kommen. In dem geheimen Gange stand mein Mann und hielt den grünen Vorhang für mich offen. Ich war wie vom Blitz getroffen.

‚Gute, treue Seele!‘ sagte er mit seiner gewohnten Milde zu Ihnen, Sibylle, und streichelte Ihnen die Hand – und ebenso sanft zu mir: ‚Komm herein, mein Kind! Die Abenddämpfe könnten Dir Schaden thun,‘ während er mich, die ich halbtodt war, an dem Arme nahm und die Hintertreppe bis zum Speisesaale hinaufführte. Dort nahm er ruhig an der Tafel Platz und verzehrte mit größter Seelenruhe sein Abendbrod. Ich konnte nichts über die Lippen bringen.

‚Du siehst bleich und angegriffen aus, mein Kind,‘ meinte er besorgt. ‚Sag’ mir, Blanche,‘ und er schob plötzlich den Teller bei Seite, ‚ob Du Dich in diesen Jahren nicht ganz unglücklich an meiner Seite gefühlt; sag’ mir, daß Du mir kein allzu großes Opfer gebracht, indem Du Deine blühende Jugend an mein einsames Alter kettetest!‘

Ich lag zu seinen Füßen, ehe er vollenden konnte. O, warum hatte ich nicht eher Vertrauen zu diesem edlen verständigen Greise gefaßt, der die Welt und ihre Irrungen so mildversöhnlich betrachtete!

Er zog mich auf seine Kniee; er streichelte an meinem Haare liebevoll herunter. ‚Und nun wird meine kleine Blanche ja bald für all das Entbehren entschädigt werden. Wer weiß‘ – er sagte es träumerisch – ‚wie lange der greise Baum noch zwischen der frischen Blume und der Sonne steht, wer weiß … Versprich mir Eines, Blanche! Gieb jenen – jenen Menschen, den Zukits, nicht meinem Kinde zum Vater. Still, Kind! Was weinst Du so stürmisch? Es wird Zeit, daß ich heimgehe, um jungem Leben Platz zu machen. Still – ich will nichts wissen. Es wird sich morgen Alles finden. Ich möchte zur Ruhe gehen. Ich wollt’, ich könnte schlafen – ja, recht ruhig schlafen,‘ und dann, als käme ihm ein plötzlicher Einfall, ging er in’s Schlafzimmer, in seines oder meines, und als er zurückkam, forderte er sich ein Glas Chablis von mir, entkorkte ein Fläschchen, das er in der Hand trug, und ließ einige Tropfen in den Wein fallen. Mit einem Zuge leerte er das Glas. Mein Gott, ich weiß jetzt, daß es Gift war, das er getrunken!“

„Sie lügt,“ schrie Sibylle gewaltsam auf und riß ihren Arm ungestüm unter Blanche’s Kopfe fort. „Durch diese falsche Angabe hat sie die ganze rührende Erzählung zu einem feinen Lügengewebe gestempelt – hat sie sich selbst entlarvt. Fink-Falkenstein starb nicht von selbstmörderischer Hand, und es wäre auch gar kein Grund zu diesem Acte der Verzweiflung vorhanden gewesen. Er wußte nichts, absolut nichts, als was ich ihm zu sagen für gut fand. Glaubt Ihr, daß ich die Brandfackel in sein friedliches Leben zu schleudern vermocht hätte, ich, die ich tausend Tode für

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_238.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)