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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


man sehen kann, der Imposanteste von Allen; dabei schlicht und ritterlich, munter und galant, doch immer mit Würde.“

Nach Beendigung des Krieges aber konnten die bezeichneten Eigenschaften sich lange Zeit hindurch nicht anders bewähren, als in den Berufs- und Tätigkeitskreisen, welche dem zweiten Sohne eines Königshauses offen blieben. Prinz Wilhelm wirkte in hohen militärischen Stellungen ohne einen merkbaren Einfluß auf die politischer Dinge. So bei Lebzeiten des Vaters, so im Ganzen auch unter der Regierung seines Bruders. Die Kinderlosigkeit desselben gab dem nächstältesten Bruder allerdings die Stellung eines Thronfolgers, aber der geringe Unterschied der Lebensjahre konnte weder das Volk, noch den Prinzen selber an die Möglichkeit denken lassen, daß ihn der Lauf der Natur jemals zur Führung des Staates berufen würde.

Im Rathe des Schicksals jedoch war es anders beschlossen. In einem Alter, wo unzählige Andere bereits ruhebedürftig das Haupt zu neigen beginnen, trat Prinz Wilhelm erst als Stellvertreter des erkrankten Bruders, dann als selbstständiger Regent, und endlich 1861 (also vierundsechszig Jahre alt) als König auf den Schauplatz der Geschichte. Was für ein Wechsel der Scene seit diesem Wechsel der Persönlichkeiten sich vollzogen hat, das wissen wir Alle, weil wir es ja selber mit erlebt haben, weil es ohne die begeisterungsvollste Zustimmung und Mitwirkung der gesammten Volkskraft sich nicht hätte vollziehen können. Dennoch wird erst eine ferne Zukunft den vollen Glanz dieser gewaltigen Wandlungen und wahrhaft großen Verläufe mit ungetrübtem Blicke zu überschauen vermögen. Wenn aber diese späten Nachkommen dann zurückblicken auf den von uns erlebten wunderbaren Aufschwung, so wird ihnen als das Hauptwunder desselben ohne Zweifel noch immer die hohe Gestalt des königlichen Greises erscheinen, der Held mit dem Silberhaar und dem jugendfrischen Herzen, von dem alle Ueberlieferungen und Geschichtsbücher den spätesten Enkeln noch erzählen werden: „Sein Gewissen war rein, und unbefleckt sein Ruhmesglanz. Nicht eitler Kriegslust und Herrscherlaune, sondern nur einem ernsten Gebote der Pflicht ist er gefolgt, als er in einer Stunde der Gefahr die Fahne des Reiches entfaltete, sein Volk zur Befreiungsthat gerufen und es durch Kämpfe und Siege ohne Gleichen zur Unabhängigkeit und Einheit geführt hat.“ Eine müßige Frage wäre es, ob nicht ein Anderer gleichfalls hätte vollbringen können, was König Wilhelm für Deutschland geleistet hat. Gewiß ist nur so viel: es würde die Epoche der letzten zwanzig Jahre viel von ihrer Weihe und Würde, von der sittlichen Beseelung und Erhabenheit ihres Eindruckes verlieren, ohne die ergreifende und ehrfurchtgebietende Gestalt des hochbetagten Monarchen, der sie heraufgeführt und heute noch in seinem achtzigsten Jahre mit unermüdeter Hingebung der energische Hüter seines Werkes ist.

Muß aber eine unparteiische Wahrheitsliebe sich schon tief bewegt fühlen bei der Betrachtung aller dieser Umstände, so ist doch damit der Wunderkreis der betreffenden Fügungen noch keineswegs geschlossen. Es kommt noch Anderes hinzu, das in den unmittelbar vorausgegangenen Zeiten liegt. Schon wiederholt hatten bei uns in diesem Jahrhundert hoffnungsreiche Erhebungen und Bewegungen zu einer würdigeren Gestaltung des Vaterlandes stattgehabt. Sie waren allein vom Volke ausgegangen und immer kläglich gescheitert an dem Widerstande fürstlicher Macht, an der gewaltsamen Hinterlist weltlicher und geistlicher Vorrechtskasten. Nachher traten dann schlimme Perioden vermehrten Druckes ein, und in solchen Tagen ging dem Scharfblick unbefangener Patrioten die Ueberzeugung auf: es könne bei der zerfahrenen und verwickelten Lage der Dinge aus Deutschland nichts werden, wenn das Glück ihm nicht einstmals einen mächtigen Fürsten erstehen ließe, der die Zeit begreift und ihrer Bewegung zum Ziele verhilft. Der Ausblick auf die Fürstenhäuser Deutschlands war aber in dieser Hinsicht immer ein trostloser gewesen, und am allerwenigsten hätte man gerade in dem zweiten Sohne Friedrich Wilhelm's des Dritten die Neigung und Fähigkeit zu einem solchen Berufe gesucht. Wir leben jetzt im achten Jahrzehnt des Jahrhunderts, aber noch im fünften Jahrzehnt desselben betrachtete man es als ein Glück, daß für eine Thronbesteigung dieses Prinzen nur eine sehr geringe Aussicht vorhanden sei. Der Prinz gehörte damals im Urtheil des Volkes nicht zu den beliebten und populären Persönlichkeiten. Mit Recht sahen jene Tage in der Armee ein Werkzeug des absolutistischen Polizeistaats, in Prinz Wilhelm aber sah man eine Verkörperung des Hindernisses, welches der militärisch-aristokratische Geist jeder freieren Entwicklung der öffentlichen Verhältnisse entgegenstellte. Es mag sein, daß im Auftreten des prinzlichen Generals früher etwas Schroffes und Herrisches sich zeigte, das der Richtung der modernen bürgerlichen Welt widerstebte, kurz, der Prinz wurde allgemein für den entschiedensten, ja zorneifrigsten Vertreter unvolksthümlicher Grundsätze am Hofe gehalten.

Sehr natürlich war es ja auch, daß ein in den Anschauungen strenger Legitimität und in der Reactionsluft der Metternich'schen Blüthezeit zum Manne gereifter Sohn des preußischen Königshauses kein Freund von plötzlichen Veränderungen und gewaltsamen Neuerungen sein konnte, wie sie damals vom liberalen Standpunkte aus zum Sturze verrotteter Zustände für unumgänglich gehalten wurden. Mit der gesammten Welt der deutschen Höfe, mit allen bevorrechteten Ständen Deutschlands wird auch er die absolutistische Staatsform für die beste und ersprießlichste, die in Reden und Schriften sich äußernden oppositionellen Bestrebungen für das Strohfeuer eines unruhigen und oberflächlichen „Schwindelgeistes“ gehalten haben. Auf der andern Seite aber steht es auch fest, daß sein absolutistischer Standpunkt ein nüchterner und verständiger, daß er kein Schwärmer für Ideale mittelalterlicher Verfinsterung war und niemals zu jener Gesellschaft betbruderlich-romantischer Politiker des sogenannten Wilhelmstraßenclubs gehörte, denen selbst der Metternich'sche Polizeistaat als die leibhaftige Revolution erschien. Der Prinz war also trotz des reichlich von seiner Umgebung ausströmenden Ansteckungsstoffes nicht mit leidenschaftlichem Eigensinn in fixe Ideen verrannt, und das war schon wichtig für ihn. Denn solch ein Geist ist entwickelungsfähig und giebt immer der Hoffnung Raum, daß er nicht blind den Lehren der Erfahrung und einer bessern Erkenntniß sich verschließen, daß er immer die Elasticität des Prüfens und Lernens sich bewahren und dem sodann als richtig Erkannten auch fest und offen folgen wird. Und so geschah es auch.

Als im Februar 1848 der Volkssturm von Frankreich hereinbrauste und unwiderstehlich alle deutschen Stämme und Länder ergriff, da kam der Prinz zu der Ueberzeugung, daß es auch in Preußen mit dem bisherigen System nicht mehr gehen könne; er rieth seinem königlichen Bruder, durch Bewilligung der Volkswünsche der Revolution zuvorzukommen. Als erstes Mitglied des Staatsministeriums unterschrieb er auch jenes Verfassungspatent vom 18. März, das den Forderungen des Volkes eine ziemlich weitgehende Erfüllung verhieß. Man weiß, daß trotz dieser Verheißungen und unmittelbar nach Verkündigung derselben in Berlin jene Revolution ausbrach, die in einer Nacht den Bruch zwischen dem Alten und Neuen für immer entschied. Wir untersuchen hier nicht, ob dieser blutige Kampf durch ein bloßes „Mißverständniß“, oder ob er in planmäßiger Absicht von der einen oder der andern Seite hervorgerufen wurde. Durchaus glaublich aber ist es, wenn berichtet wird, der Prinz von Preußen habe im kritischen Augenblicke vom König verlangt, es solle zwar der „Aufruhr“ mit Waffengewalt niedergeschlagen, nachher aber auch das gegebene Wort gehalten und mit dem verheißenen constitutionellen System Ernst gemacht werden. So dachte sich jedoch das Volk die Ansichten des Prinzen nach der bisherigen Vorstellung von demselben nicht; der erregten und von verschiedenen Seiten her auch noch künstlich aufgereizten Gemüther bemächtigte sich vielmehr eine so außerordentliche Erbitterung gegen ihn, daß er zur Beschwichtigung derselben Berlin verließ. In einem Auftrage des Königs ging er nach London, wo sich nun ein seltsamer Widerspruch gegen das Urtheil in der Heimath ergab. Während hier selbst die gemäßigten Liberalen den Prinzen für einen grollend in der Ferne weilenden gefährlichen Feind der neuen Staatsreformen hielten, stellte sich auf englischem Boden das gänzlich Unzutreffende dieser Meinung für alle Diejenigen heraus, denen er dort näher getreten war. Der Zug ruhiger Einsicht, wohlwollender Milde und fürsorglicher Humanität, den einzelne Kreise in Deutschland und namentlich seine Umgebungen und Untergebenen längst an ihm gerühmt hatten, trat in den ungezwungenen Londoner Berührungen so überraschend zu Tage, daß es selbst einen dem Berliner Hofe so nahestehenden Mann wie Bunsen überraschte, den damaligen preußischen Gesandten in London.

Im Laufe der Zeit kam es natürlich auch zu politischen Erörterungen zwischen Bunsen und dem Prinzen, der eine unverstimmte Theilnahme für die neuen Entwicklungen in Deutschland zeigte und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_195.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)