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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


aufzuspüren. Mit der Verhältnissen des öffentlichen Lebens und der Familien entweder schon hinreichend vertraut oder sich im besondern Falle darüber unterrichtend, folgen sie, bewußt oder sich in eine Ueberzeugung hineinlügend, mit ziemlichem Glücke dem Volksinstincte und suchen die Schuldigen immer unter Denjenigen, welche das meiste Interesse haben konnten an einer Schädigung von Leib und Leben eines Andern. Das wichtigste Leitmotiv hierbei ist zunächst der bei dem Neger neben dem Selbsterhaltungstriebe am stärksten hervortretende Eigennutz, die Habgier. Bei einem Todesfalle, welchen nur ein Ndodschi bewirkt haben kann, ist es gefährlich, Erbe zu sein; es ist im Allgemeinen schon gefährlich, wohlhabend oder mißliebig, ohne ausgebreitete Familienverbindungen zu sein, in Feindschaft mit dem Verstorbenen gelebt oder übelwollend von ihm gesprochen zu haben. Der öffentlichen Meinung schmeichelnd, bezeichnen die Ngangas einen Mann oder ein Weib oder auch mehrere zugleich als Ndodschi, welche dann dem Gottesgerichte sich zu unterwerfen haben. Viele Verklagte nehmen nun ohne Weiteres vertrauensvoll die Nkassa, die Rinde eines Giftbaumes (Erythrophloeum Guineense), deren Wirkung über ihre Schuld oder Unschuld entscheidet, ja Manche erbieten sich freiwillig auch bei einem weniger ernsten Verdachte hierzu. Andere aber, unsicher, befangen in der Beurtheilung des eigenen Wesens, aber schon aufgeklärter und mißtrauisch geworden gegen die Gerechtigkeit eines nur von Menschen verwalteten Gottesurtheiles, trachten demselben zu entgehen durch den Einfluß der Familie, der Freunde, durch Bestechung, im schlimmsten Falle auch durch die Flucht und durch freiwillige Hingabe in Sclaverei an einen Mächtigen, welcher sein Eigenthum zu schützen vermag.

Seine Unschuld erweist nur der, welcher die ihm verabreichte Giftrinde, als solche, durch Erbrechen vollständig wieder von sich giebt, bevor die tödtliche Wirkung derselben eintritt. Dann wird er gefeiert, im Triumph umhergeführt und ist gewöhnlich für alle Zukunft gegen ähnliche Anklagen gefeit. Denn die Ankläger haben Reugeld, für ihre Verhältnisse oft ein sehr hohes, an den Unschuldigen und seine Familie zu zahlen, und halten sich ihrerseits wieder an die Ngangas oder deren Angehörige, welche ihnen natürlich nicht nur diesen Verlust ersetzen, den Lohn zurückgeben, sondern auch noch eine Buße zahlen sollen. Zuweilen wird wohl an einem oder dem andern der Ngangas eine exemplarische Volksjustiz geübt, wenn das Volk sich plötzlich bewußt wird, daß es ja in den Händen dieser Leute liegt, die giftige Rinde zu präpariren, zu vermischen, ihre Eigenschaften durch Auslaugen abzuschwächen oder sonst wie beliebig zu verändern. In der Regel aber wissen dieselben sich schlau zu helfen, geben an, daß irgend welcher Umstand die gebrauchten Mkissi (sogenannte Fetische, irgend welche von kundiger Hand geformte Dinge, von welchen geglaubt wird, daß ihnen eine besondere, dem Besitzer dienstbare Macht innewohne) verwirrt und erzürnt habe, und suchen den Irrthum wieder gut zu machen durch Ausspüren anderer Schuldiger, bis dem Verlangen nach einem echten Ndodschi Genüge gethan ist. Wäre nicht die Furcht vor dem zu zahlenden Reugelde, hielte die Habgier der Neger ihrem Aberglauben nicht so häufig das Gleichgewicht, so würde jeder Todesfall so viele andere nach sich ziehen, daß das Land längst entvölkert wäre. Angeklagte, welche dem Gifte erliegen, werden oft von der erregten Menge in wildem Getümmel niedergeschlagen und dann regelmäßig durch Feuer vernichtet. So geschah es dem Koch unserer Station, zur Zeit, als wir noch zu wenig Einfluß besaßen, um sein Schicksal abwenden zu können; er wurde, selbst von der eigenen Familie als ein gefährlicher Ndodschi gänzlich verlassen, in Sicht von Chinchoxo, am Strande des Meeres verbrannt. – Früher, als der Sclavenhandel noch eine Deportation derartiger Uebelthäter ermöglichte, wurden dieselben, nebst anderen Verbrechern, an weiße Händler verkauft.

Das junge Weib von Ngo, Nsoami, welches in Lusala erkrankt war und nicht gesunden konnte, wurde endlich nach einer anderen Besitzung ihres Gatten, nach einen ungefähr eine Stunde von Chinchoxo gelegenen Dorfe gebracht und ihrer dort wohnenden Mutter übergeben, da bei der großen Furcht der Neger vor der Ansteckung durch die Schlafkrankheit wohl Niemand sich ihrer angenommen hätte. Alle Künste der Ngangas blieben auch dort erfolglos; die Verhexung erwies sich als zu stark; die Kranke siechte schnell dahin und war dem Verscheiden nahe.

Ngo sparte nichts, um die Schuldigen zu entdecken und damit vielleicht noch das Leben von Nsoami zu retten. Die Ngangas bezeichneten endlich als Ndodschi eine Frau, welche in Lusala wohnte. Sie wurde von Ngo und der Familie angeklagt. Nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, sollte das Gottesurtheil an einem Octobertage über ihre Schuld oder Unschuld entscheiden.

Bei Sonnenaufgang gingen wir die wenigen hundert Schritte über die kleine regennasse Savane, auf welcher ein Jahr später unsere schönen Plantagen grünen sollten, nach dem Dorfe. Die Oelpalmen schüttelten, wie erwachend, die schweren Tropfen von ihren Wedelkronen; aus dem hohen Grase, dem Gebüsche und vom nahen Walde klangen die Stimmen der gefiederten Sänger. Schwärme der schönen grünen Tauben, ihrem regelmäßigen Zuge folgend, sausten mit pfeifenden Flügelschlägen über unsere Köpfe hin nach Süden, und von dem breitästigen Bombax am Dörfchen, dessen Gezweig eine unzählbare Schaar von Webervögeln gänzlich in Besitz genommen und mit tausenden ihrer Nester behängt hatte, schallte lustig der Lärm der kleinen eifrigen Baumeister herab. Zwischen den wenigen ärmlichen Hütten Lusalas, welches erst später durch die Nähe unserer menschenreichen Besitzung und unter unserem Schutze sich vergrößerte und zu Wohlstand gelangte, war es recht still und einsam. Einige der dürren, immer hungrigen Dorfhunde knurrten uns mißtrauisch an und verschwanden, ihrem Charakter getreu, eiligst um die nächste Ecke; verschiedene Hühner scharrten im feuchten Boden nach Würmern, und die kleine Ziegenheerde des Dörfchens naschte vorsichtig die Blätter am Saume des nassen Gebüsches. Auf einem freien Platze endlich fanden wir eine Anzahl uns bekannter Dorfbewohner, sowie einige fremde Ngangas, mit jenen verhandelnd.

Unter einer Art niedrigen Schuppen, von einem einfach auf die Erde gesetzten langen Palmblätterdache gebildet, saß auf einer Matte die Angeklagte, ein rüstiges, stattliches Weib, vielleicht in der Mitte der dreißiger Jahre stehend, die Augen starr in die Ferne gerichtet, unsere Ankunft kaum beachtend. Wir kannten sie wohl, da sie uns häufig schon Nahrungsmittel zum Markte nach Chinchoxo gebracht hatte. Die Ngangas hatten ihre wunderlichen Fetischzeichen, aus weißen und wenigen rothen Strichen und Punkten bestehend, je nach Vorschrift im Gesicht, auf Brust, Leib, Armen und Beinen angebracht und waren zur Beschwörung fertig. Einer derselben, mit einem durchlöcherten weißen Hemd bekleidet, kramte im dunkeln Hintergrunde des Schuppens in einem grün angestrichenen Kasten, in welchem allerlei zum Theil in feine Matten gewickelte Gegenstände lagen, und trat endlich hinter die Angeklagte, einen kurzgestielten Holzlöffel und eine Holzschale von der Größe aber doppelten Tiefe einer kleinen Untertasse in der Hand haltend. (Der ganze, Spuren sehr häufigen Gebrauches zeigende Apparat befindet sich jetzt in dem Museum zu Berlin.) Aufgehäuft in der Schale befand sich die Nkassa, gemahlenem, hellbraunem Kaffee gleichend.

Ohne jeden Versuch, durch irgend welche Formalitäten dem Gottesurtheil eine besondere Weihe zu geben, füllte nun der Nganga (um 7 Uhr 35 Minuten) der Angeklagten die erste Dosis des trockenen Pulvers, einen gehäuften Löffel voll, in den Mund. Sie kaute es, wälzte es mit der Zunge hin und her und würgte es langsam hinunter. Zehn Minuten später erhielt sie den zweiten Löffel voll. Der Ausdruck ihres Gesichtes war stumpf, vielleicht resignirt, jedenfalls aber nicht so, wie man es von einer zwischen Leben und Tod Schwebenden erwarten konnte. Auch die Uebrigen zeigten eine unangenehm berührende Gleichgültigkeit; der ganze Vorgang erschien empörend nüchtern und inhaltslos. Viele Einwohner des Dorfes gingen ihren Verrichtungen nach; junge und alte Männer, ihre Flinten auf der Schulter tragend, passirten gelegentlich vorüber, grüßten, fragten und gingen ruhig weiter. Geputzte Mädchen und junge Weiber aus anderen Dörfern versammelten sich nach und nach, von Neugier getrieben, und hielten sich schwatzend und lachend in der Nähe; auch bei ihnen suchte man vergeblich nach einem Zeichen von Mitleid oder Schrecken – und wie bald konnte doch jeder dieser Zuschauer vom gleichen Schicksal betroffen werden!

Um 8 Uhr 3 Minuten wurde der Angeklagten der dritte, vierzehn Minuten später der vierte Löffel, dieser schon nicht mehr gehäuft, eingegeben, um 8 Uhr 31 Minuten erhielt sie die letzte Dosis, und zwar wurde nun die Schale, in welcher sich der Rest der Rinde befand, mit Wasser ausgespült und ihr zum Trinken gereicht. Nachdem sie auch das ungefähr noch einen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_178.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)