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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Am Ende war es doch die Politik, welche den Pascha wieder mit Urban zusammenführte.

Eines späten Abends glänzten die Fenster des Jenny Lind-Zimmers nach der Straße hinaus in mattem Scheine. Viel Licht vermochte, selbst wenn der kleine, von der Decke niederhängende Kronleuchter in voller Benutzung brannte, nicht durch die zusammengezogenen, dunkelblumigen Kattungardinen zu dringen, und diesmal erhellte nur ein einziger Armleuchter mit zwei Kerzen das Prunkzimmer des Wiedenhofes. In diesem befanden sich zehn Personen, theils um den mächtigen runden Tisch vor Weingläsern und halbgeleerten Flaschen sitzend, theils im Halbdunkel einer Ecke die Köpfe zusammensteckend, oder leisen Schrittes über den dicken Teppich promenirend. Wer an jenem Abende im Wiedenhofe anwesend gewesen war, an welchem der Pascha die beiden Fremden empfing, der hatte die meisten dieser Gesichter bereits gesehen. Der Stadtsecretär, der Consul Swering befanden sich darunter. Dem großen corpulenten Herrn, welcher dort im hellgrauen Anzuge so tief in Gedanken mit den Stiefeln über den Teppich scharrte, konnte Niemand den Postdirector ansehen. Urban unterhielt beim Spiegeltische mit einem Notar und einem jungen Staatsanwaltsgehülfen ein halblaut geführtes, aber sehr eifriges Gespräch; ein Apotheker, der Stadtbaumeister und ein paar Kaufleute machten den Rest des kleinen Kreises aus.

Die Scene hatte einige Bedeutung: es galt eine Sitzung des patriotischen Actionscomités.

Von der Gruppe, in welcher Urban saß, abgesehen, stockte die Unterhaltung, und es wurde nur hie und da ein Wort der Ungeduld laut, wenn Jemand die Uhr zog und seinem Nachbar die Zeit angab.

Endlich erschien Karl Hornemann in der Thür, in Begleitung eines kleinen, weißhaarigen Herrn mit scharf geschnittenem, bebrilltem Gesicht. Die Gesellschaft kam in Bewegung; man begrüßte sich lebhaft, nur den Postdirector und den Consul schien der Begleiter des Pascha nicht zu kennen. Er wurde ihnen als Professor von der Linde vorgestellt. „Ihre hiesigen Herren Collegen von der Schule sind leider am Erscheinen verhindert,“ erklärte der Pascha diesem in verbindlichem Tone.

Man nahm Platz, und Karl Hornemann ergriff das Wort.

„Meine Freunde, ich habe Euch zu einer kurzen Berathung entboten, deren Veranlassung die Mission ist, mit welcher unser werther Gast seitens unserer rheinischen Gesinnungsgenossen betraut wurde. Wir werden direct vor die Frage einer Demonstration gestellt, wie sie ja auch unter uns bereits angeregt wurde, einer Demonstration, welche unmittelbar unseren in diesen Tagen heimkehrenden Abgeordneten, den muthigen Vertretern der Volksrechte in der unwürdigen Komödie des Landtages, gelten soll. Dieselben sind, wie wir bestimmt wissen, entschlossen, unschuldig an der Schöpfung jenes Wechselbalgs von parlamentarischer Institution zu bleiben, welchen man 'Ständeausschuß' nennt, und es besteht die Absicht, angesichts der hochmüthigen Staatsgewalt zu documentiren, daß sie im Sinne des rheinischen Volkes handeln und daß ihr Muth ein Theil des unsrigen ist. Wir Rheinländer sind die erstberufenen Wächter der Volksfreiheit; wir allein in Deutschland haben eine freiheitliche Tradition; wir haben Institutionen aufzuweisen, welche großentheils in jener Münze geprägt sind, in der die Hand einer Revolution den Stempel führte. Es ist Zeit, daß irgendwo das Volk die Fäuste zeigt; diese Demonstration soll eine Drohung sein – vielleicht, daß sie das Mittel wird, eine Revolution überflüssig zu machen. Behandeln wir die Sache summarisch: wer dagegen ist, erhebe sich!“

„Caeterum censeo: es wird demonstrirt,“ knurrte der Notar, während die Uebrigen schweigend sitzen blieben.

„Baumeister, jetzt mußt Du Hand anlegen,“ sagte ein jüngerer Fabrikant. „Es muß eine Ehrenpforte geben, die in den Himmel ragt. Ich liefere fünfzig Thaler dazu.“

„Ich hundert,“ meinte lächelnd der Consul, welcher allgemein für sehr reich galt.

Weitere Geldbeiträge wurden zugesagt.

„Bürger,“ rief der Apotheker aufspringend, eine drollige Figur mit langer Habichtsnase, kleinen, schwarzfunkelnden Augen und merkwürdig kurzen Beinchen, „Patrioten, ich habe eine Idee. Wir schreiben an unseren Abgeordneten vom Rath, daß er auf St. Kilian einzieht zur selben Stunde, wo die Procession marschirt. Wir werden beobachten können, wie sich die Schafe von den Böcken scheiden und wer mehr Macht hat, der heilige Kilian oder der Erwählte des Volkes.“

Es gab ein unterdrücktes Gelächter, und eine Anzahl der Anwesenden schien nicht übel Lust zu haben, den Vorschlag zu unterstützen. Aber Karl Hornemann schüttelte den Kopf.

„Fassen wir wir Vorschlag als Scherz auf! Auch vom Rath würde sich, wenn ich ihn recht kenne, weigern, auf denselben einzugehen. Lassen wir die Heiligen aus dem Spiele! Ich kenne eine ganze Anzahl guter Patrioten, welche St. Kilian den Vorzug geben würden – weshalb einen Zwiespalt in sie werfen? Ich warne davor, die katholische Geistlichkeit vor den Kopf zu stoßen; ich kann im Vertrauen die Versicherung abgeben, daß wir bis heute hier noch keinen Gegner unter ihr haben.“

„Der Tag vor St. Kilian ist ein Sonntag,“ meinte der Professor, der inzwischen einen Taschenkalender verglichen hatte. „Benutzen Sie den Moment des Morgengeläutes für die Einzugsfeierlichkeit! Ein paar Böller thun das Uebrige.“

In den Mienen des Pascha spiegelte sich Unzufriedenheit. „Ich mache mich anheischig,“ sagte er nach kurzer Ueberlegung, „die Benutzung der Glocken auch für einen Wochentag zu erwirken.“

„Ich möchte für den Sonntag vor St. Kilian plaidiren; ich gebe zu bedenken, daß wir besser vermeiden, den Leuten den Verdienst eines Arbeitstages zu rauben,“ bemerkte der Consul.

Karl Hornemann wurde überstimmt und fügte sich mit sichtlichem Widerstreben.

„Du wirst der Heilige der Revolution werden, Karl, um Deiner exemplarischen Frömmigkeit willen,“ sagte Urban, der sich im Hintergrunde gehalten hatte, mit leichtem Spott. Der Pascha, welcher bisher keine Notiz von ihm genommen, machte eine plötzliche Wendung nach dem Sprecher hin und wurde roth, wie er die eigenthümlich dunkeln Augen Urban’s, die namentlich in der schwachen Beleuchtung etwas geheimnißvoll Brennendes hatten, forschend auf sich gerichtet sah. Aber er antwortete nichts und kehrte sich wieder den Anderen zu.

„Es würde nun auf Dich ankommen, Postdirector, uns den Triumphator rechtzeitig und unversehrt zu überliefern,“ sprach der Stadtsecretär.

„Ich lege Relais bis in das nächste Dorf; ich denke, bis dahin fahrt Ihr ihm entgegen. Uns Beamte laßt Ihr besser aus dem Spiele,“ war die Antwort.

In diesem Momente stand Urban auf, trat langsam vor und stellte sich in das volle Licht der Kerzen. Sein prächtiger schmiegsamer Körper reckte sich hoch auf, und er begann mit gedämpfter Stimme zu reden, in welcher mehr und mehr der Wiederschein verhaltenen Feuers funkelte.

„Freunde und Gesinnungsgenossen! Wir werden eine Demonstration haben; wir werden eine Ehrenpforte bewinden, zu Roß und Wagen ausziehen und zurückkehren unter Glockengeläute und Böllerdonnern und Hurrahrufen. Es wird ohne Zweifel ein sehr erhebendes Schauspiel sein. Aber welchen Erfolg werden wir davon haben? Wir werfen eine Drohung hinaus, schön; wir machen eine Faust, ganz wohl. Was soll diese Drohung? Imponiren? Nun, wir stehen völliger Verblendung gegenüber, und der Verblendung imponirt überhaupt nichts. Aber wir sind im Begriffe eine Thorheit zu begehen, deren Wirkung auf uns zurückfällt. Wir werden der Gefangene sein, welcher seinem Wächter die halbdurchfeilte Kette zeigt und ihm sagt: ‚Mann, gieb mir die Freiheit freiwillig, wo nicht – sieh, hier bin ich im Stande sie mir selber zu nehmen.‘ Ein Narr, der das thut. Man wird uns die Feile nehmen; die Thyrannei wird ihre Wachsamkeit verdoppeln. Man wird die halbe Truppenmacht des Staates über uns werfen, und ich gebe keinen Dreiling für den Aberglauben, daß wir das Militär gewinnen. Benutzen wir die Demonstration, um Barricaden bauen und Sturm läuten zu lassen! Machen wir ein Ende, brechen wir den Stab über diese nichtsnutzigen Verhandlungen! Auf die Hunderte, deren wir sicher sind, kommen ebenso viele Tausende, die hinter ihnen stehen; wir leben in einem Geschlecht, dem es in den Fäusten juckt und welches mit Jauchzen das Pflaster aufreißen wird. Der Augenblick, ist günstig, wie kein anderer, um uns in die Geschichte einzuzeichnen, sagen wir: ja! und man wird unsere Stadt das Bethlehem der Völkerfreiheit nennen und den Glorienschein um unsere Häupter malen –“

Ein mächtiger Tritt kam während der letzten Worte den Corridor herauf; die Thür wurde plötzlich gewaltsam aufgerissen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_158.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2019)