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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

geistigen Reichthum auch Lottchen mittheilte, übertrug er auch sein seelisch-sinnliches Liebesgefühl zu Lottchen auf die Schwester. Er schritt auf dieser gefahrvollen Bahn mit der ganzen ahnungslosen Naivetät des Genies, und doch befand er sich in Bezug auf seine Liebe zu Carolinen in jener Selbsttäuschung, der phantasievolle Naturen so oft unterliegen. In Wahrheit hat er Carolinen nicht geliebt. Die fast zur Tradition gewordene Annahme, daß er Carolinen geliebt und Lottchen geheirathet habe, wird durch nichts begründet, wohl aber durch den Schiller-Lotte’schen Briefwechsel auf’s Genaueste widerlegt. Seine Annäherung an Caroline war deshalb eine äußerlich stärkere, weil zwischen ihr und ihm eine größere Mannigfaltigkeit von Beziehungen bestand. Sein Verkehr mit ihr war ein lebhafterer, weil er äußerlich sich mehr aussprach, weil er ihr von vornherein weit unbefangener gegenübertrat. Das spricht er Lotte gegenüber einmal selbst aus, nachdem diese ihm ihre frühere Furcht darüber, daß die Schwester ihm mehr sein könne, gestanden hatte: „Caroline ist mir näher im Alter und darum auch gleicher in der Form unserer Gefühle und Gedanken. Sie hat mehr Empfindungen in mir zur Sprache gebracht, als Du, meine Lotte – aber ich wünschte nicht um Alles, daß dieses anders wäre, daß Du anders wärst, als Du bist. Was Caroline vor Dir voraus hat,“ fährt er dann fort, „mußt Du von mir empfangen. Deine Seele muß sich in meiner Liebe entfalten, und mein Geschöpf mußt Du sein. Deine Blüthe muß in den Frühling meiner Liebe fallen. Hätten wir uns später gefunden, so hättest Du mir diese schöne Freude vorweggenommen, Dich für mich aufblühen zu sehen.“

Auch hier spricht sich seine Liebe zu Lottchen wahr und echt aus, und kommt ihm das eigentliche Verhältnis zu beiden Schwestern einmal klar in’s Bewußtsein.

Welche Stellung aber nahm Caroline zu Schiller ein? Leider fehlen uns gerade aus der Zeit, wo der Dualismus eine etwas leidenschaftlichere Färbung annahm, die meisten Briefe Carolinens. Daß solche geschrieben wurden, geht aus verschiedenen Andeutungen in den Briefen Schiller’s hervor. Ebenso zweifellos dürfte es sein, daß Caroline dieselben eigenhändig vernichtete. Ging sie doch sogar so weit, daß sie in den Briefen Schiller’s an beide Schwestern Correcturen vornahm, indem sie an die Stelle des Duals den Singular setzte, damit es den Anschein gewinne, als wären sie nur an Lottchen gerichtet, daß sie die „Theuere Caroline“ in eine „Theuere Lotte“ umschrieb. Es erinnert dies lebhaft an eine Aeußerung, welche sie bereits vor ihrer Bekanntschaft mit Schiller ihrem Vetter und späteren Gatten Wolzogen gegenüber brieflich kundgab. „Es ist,“ schreibt sie da, „mein Grundsatz, daß eine Correspondenz zwischen Personen, die sich wirklich dem Herzen nach etwas sind, blos unter ihnen Beiden bleiben muß. Niemand kann sich in die Eigenheit der Lage, die unter ihnen ist, versetzen.“

Zu derselben Zeit war es, als sie den Ausspruch that: „Mein Herz bedarf der Liebe, innigerer, reinerer, wahrerer Liebe, als die meisten Menschen sie geben.“ Und noch in den späteren Tagen ihres Lebens vertraut sie ihrem Tagebuche das Geständniß an: „Größe zu lieben, war meine Seligkeit.“ Ihre Ehe mit Beulwitz gab ihr nach keiner dieser beiden Richtungen hin eine wenn auch nur annähernde Befriedigung. Ihm gehörte weder ihr Herz noch ihr Geist. Wie tief ihre Abneigung gegen ihren Gatten sein mußte, geht aus einer brieflichen Aeußerung Schiller’s an Körner hervor, wonach sie nicht im Stande gewesen sein soll, mit ihm allein zu leben, ohne die Vermittelung von Schwester und Mutter.

Es ist deshalb wohl anzunehmen, daß in ihrem Verhältnisse zu Schiller, das ihrem ganzen Wesen eine so hohe Befriedigung verlieh, ihr Herz tief mit betroffen war. Aber ihr starker Geist hatte früh die Herrschaft über das Herz und seine Leidenschaft erlangt; in dem Martyrium ihrer glücklosen Ehe hatte er sich in dieser Herrschaft geübt. Sie hatte gelernt, ihre Gefühle im Wege der Abstraction und durch dialektische Mittel gleichsam zu vergeistigen und damit sie der Leidenschaft zu entkleiden. So schrieb sie noch in früher Jugend : „Es ist mir gewiß, daß eine Kraft in der Seele, des Menschen ist, die ihn vor allzu heftigen Eindrücken schützt, die ihn von ungestümem Wünschen und Streben nach Allem, was nicht in dem Kreise seines Wirkens liegt, abhält. … O, mein ganzes Leben dient dazu, diese Kraft zu üben, denn wie selten werden unsere Wünsche erhört!“

Als sie das entscheidende Wort sprach, das Schiller Lotten für immer zuführte, that sie es wohl nicht am wenigsten mit um deßwillen, weil ihr Interesse für Schiller damals hoch in’s Wachsen gekommen war und sie sich ihres Herzens nun nicht mehr sicher glaubte. Schiller ehrte wohl diese Großherzigkeit; vielleicht hatte sie in jenem Briefe, der Schiller „so tief ergriffen und bewegt“, in welchem sie ihn „in den ganzen Himmel ihrer Seele hatte blicken lassen“, ihm dieselbe aufgedeckt, und das meinte er ihr mit einer gleichen Hochherzigkeit vergelten zu müssen, indem er den Reichthum seines Herzens gleichmäßig zwischen ihr und der Schwester vertheilte. Sie wehrte ihm dieses Beginnen nicht; denn sie wußte, daß seine Leidenschaft ihr nach dem Obsieg ihres Geistes über ihr Herz nicht mehr gefährlich werden konnte, vielleicht durchschaute ihr kluger Sinn auch, daß diese Leidenschaft Schiller’s keine echte war, sicher aber, daß das Schiller’sche Ideal des Herzensdualismus nur ein vorüberhuschender Traum war, wie alle Ideale unter der Sonne.

Sie kannte ja auch das ganze hoch und rein angelegte Wesen Schiller’s; sie wußte, daß „hinter ihm im wesenlosen Scheine lag, was uns Alle bändigt, das Gemeine“, und hatte darin eine Bürgschaft wider alle Grenzüberschreitung. So war es möglich, daß das Verhältniß andauern konnte, ohne die Gefahr eines Conflictes heraufzubeschwören, ohne die geringste Einbuße an der Makellosigkeit der Charaktere. Die lange Gewohnheit des Zusammenlebens hatte es geheiligt; unbegrenzte Offenheit, ein aller Heimlichkeit fernes gsgenseitiges Vertrauen schützte es vor dem Eindringen der finsteren Geister des Argwohnes, des Neides, der Eifersucht.

Im Hafen der Ruhe.

Es waren keine geringen Sorgen, welche jetzt Schiller und die Schwestern gemeinsam beschäftigten, die Sorgen um die Begründung einer auskömmlichen häuslichen Existenz. Sie warfen wechselnde Schatten auf die hellen Wege, welche die Drei wandelten. Die buntesten Pläne wurden erdacht; durchsprochen, festgehalten und wieder verworfen, bis endlich der Herzog Karl August von Weimar durch einen festen, wenn auch nur kargen Jahresgehalt wenigstens eine Basis gab, auf der der Nestbau weiter geführt werden konnte. Nun wurde auch die Einwilligung der Mutter eingeholt, der man durch einige für das Gesehenwerden geschriebene Briefe, und begünstigt durch deren fortwährenden Aufenthalt am Hofe, wo sie eine Hofmeisterinstelle bekleidete, die Verlobung noch glücklich verheimlicht hatte. Nachdem nun so Alles zur Hochzeit vorgerichtet worden war, nimmt ein gar lustiger Geselle in den gegenseitigen Briefen seine Einkehr, ein neckischer Humor. Dann ging es rasch und resolut in die Ehe hinein, noch in der Zeit der Fasten und nach einem einfürallemaligen Aufgebote.

Von dieser Trauung haben wir vor Zeiten in diesen Blättern schon berichtet.

Die Doppelliebe fand nun ihr natürliches und voraussichtliches Ende. Sie ließ sich denn doch nicht so verwirklichen, wie es im Haupte des Dichters stand. Selbst das unter Berücksichtigung „aller Anforderungen der Decenz“ von Schiller arrangirte Zusammenwohnen unter einem Dache kam nicht zur Ausführung. Caroline blieb bei der Mutter. Noch schreibt er ihr in einem Briefe vom 3. Mai (1790) die warmen Worte: „Ich kann nicht sagen, daß wir getrennt sind von Dir. Du bist mein, wo Du auch immer bist. Freilich ist es anders, wenn meine ganze Seele in Worten und Augen sich gegen Dich ausbreiten darf, aber nur die ungewisse Sehnsucht macht die Entbehrung für mich zum Schmerze. Doch könntest Du immer an Deine Hierherreise denken.“

Es war der letzte Ausklang des Herzensdualismus. Er fand keinen Wiederhall mehr und bleibt für immer verklungen. Ruhige, verständige Freundschaft löste ihn ab.

Lottchen ließ es auch nicht fehlen, ihm die mangelnde Ergänzung, die er einst in Carolinen fand, in sich selbst zu gewähren oder sie ihn doch nicht vermissen zu lassen. „Ich werde ihm,“ schrieb sie an den Vetter Wolzogen, der ihr einst den Geliebten zugeführt hatte, „durch meine Liebe sein Leben immer freundlich erhalten, und er ist glücklich, sagt mir mein Herz.“

Und er war es. „Ich fühle mich glücklich,“ gesteht er Freund Körner, „Alles überzeugt mich, daß meine Frau es durch mich bleiben wird. Was für ein schönes Leben führe ich jetzt!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_138.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)