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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Drittens endlich: Personen, welche an mehr oder minder scharf ausgesprochenem großem Veitstanze leiden und die Resultate dieser Erkrankung in gutem Glauben an deren überirdischen Ursprung produciren.

In eine dieser drei Kategorien konnte ich noch jedes Medium einreihen, das mir je bekannt geworden, und es sind deren wahrlich eine ganz erkleckliche Anzahl. Nun werden uns jedoch die Spiritisten entgegnen, daß wir ihnen auf diese Weise jede Möglichkeit eines Beweises benehmen, da wir die körperlichen, materiellen „Wunderthaten“ zu Taschenspielerkünsten stempeln und die rein geistigen, scheinbar überirdischen Kundgebungen als ehrlich anerkannter Medien in das Gebiet der krankhaften Erscheinungen verweisen. Wie soll da ein vollgültiger Beweis von Seiten des Spiritismus erbracht werden?

Ganz einfach und lediglich auf dem Boden der spiritistischen Lehre selbst. Diese behauptet, daß der „freie Geist“ mit Hülfe seines Perisprit sich mit jeder andern, incarnirten Seele in Verbindung setzen könne, wie er dies ja auch thun muß, um durch ein Medium mit der irdischen Welt in Verkehr zu treten, und auf diesem Wege könnten die Geister einen unangreifbaren Beweis für ihre Existenz liefern, wenn sie nur wollten, da diese Fähigkeit sie scharf trennt von dem, was ein in der oben angegebenen Weise erkrankter Mensch vollbringen kann.

Wir wollen dies sofort und in wenigen Worten darthun. Ein Mensch, dessen gesammte geistige Fähigkeiten krankhaft gesteigert sind, kann Sachen vollführen, Urtheile und logische Folgerungen produciren, die weit über seinen normalen Fähigkeiten stehen, aber selbstverständlich kann er nie und nimmer im Stande sein, etwas zu thun, was innerhalb seiner menschlichen Fähigkeiten, und seien dieselben noch so enorm gesteigert, überhaupt nicht mehr Platz finden kann, und darin unterscheidet sich die krankhafte Erscheinung scharf von Demjenigen, was ein „freier Geist“ nach spiritistischer Lehre zu leisten vermag und leisten muß, um überhaupt mit der Welt in Verkehr treten zu können. Erläutern wir dies durch ein Beispiel. Wenn mir irgend ein Geist durch irgend ein Medium der Welt drei Fragen beantworten kann, die ich, ohne sie auszusprechen, an ihn stelle, oder wenn er drei Sätze oder auch nur einen niederschreiben will, den ich in meinem Geiste formulire oder den ich selbst – um den Gegnern jeden Einwand zu benehmen – in einer Chiffreschrift zu Papier bringen will, deren Schlüssel ich versiegelt hinzufüge, dann würde ich mich beugen und die Existenz der Geister sammt der Berechtigung des Spiritismus ohne Weiteres anerkennen. Damit wäre ein durchaus zwingender Beweis erbracht, denn kein Mensch, sei dessen geistige Capacität noch so enorm gesteigert, ist im Stande, Derartiges zu leisten, dem „freien Geiste“ dagegen ist es ungemein leicht, es zu thun, da er sich nur durch sein Perisprit mit meiner Seele in Verbindung zu setzen braucht, um sofort und wortgetreu zu wissen, was ich denke.

Die Spiritisten können es uns nicht verübeln, wenn wir uns so lange an unsre Naturbeobachtungen halten, so lange uns mit der natürlichen Erklärung begnügen wie dieser so kinderleichte Beweis nicht erbracht worden ist. Ueberzeugend ist der thatsächliche Beweis, wie wir genügend ausgeführt haben, nur dann, wenn er vollkommen außerhalb des Bereiches menschlicher (normaler oder abnorm gesteigerter) Fähigkeit liegt und gleichzeitig innerhalb der zugestandenen Fähigkeiten eines „freien Geistes“; bis aber ein solcher Beweis erbracht ist, darf man keinem Denkenden zumuthen, die positiven Erfahrungen der Wissenschaft aufzugeben zu Gunsten von unbewiesenen, nur als solche behaupteten und gläubig hingenommenen Thatsachen.

Damit wäre der Spirtismus genügend klar gestellt und unsere specielle Aufgabe eigentlich gelöst, aber wir können nicht umhin, auf eine bedeutsame, tiefernste Lehre hinzuweisen, die wir aus dem Auftreten und der ganz colossalen Verbreitung des Spiritismus ziehen müssen. Wie ist es nur möglich, so fragen wir uns, daß diese dem logischen Denken so verderbliche Lehre in unserm materialistischen Zeitalter so sehr viele Anhänger zu erwerben vermochte? Im Mittelalter war die allgemeine Bildung eine verschwindend kleine, und da konnte das Beispiel einzelner „Verzückten“ ganze Provinzen zur Nachahmung bringen und in die „Tanzwuth“ versetzen. Aber diese gereiften, nüchternen Männer von heute in England und Amerika, in Belgien und Frankreich, diese Männer der Wissenschaft, der Forschung? Wie konnte der Spiritismus solche Anhänger gewinnen?

Die Frage ist hochinteressant und die Antwort von höchster Wichtigkeit: weil das ethische Bedürfniß in jedem gutentwickelten Menschen ein sehr reges ist, weil dieses Bedürfniß in den von den Forschungen der Wissenschaft so sehr erschütterter geoffenbarten Religionen keine Befriedigung mehr findet. und weil endlich das freie Denken erst bis zu dem Punkte gekommen ist, den Glauben verdrängt zu haben, aber an dessen Stelle bisher noch keine bessere, logische, positive Grundlage zu einer rein menschlichen Ethik aufzufinden vermocht hat. Weil die Wissenschaft die Philosophie Demjenigen, der sie ängstlich fragt: „Wo finde ich jetzt den mir nothwendigen moralischen Halt, da Du die geoffenbarte Religion ihres göttlichen Ursprunges entkleidet hast? Wie willst Du mir logisch beweisen, was Gut und was Schlecht ist, da ich es nicht mehr ungeprüft glauben soll?“ - weil die Wissenschaft, sagen wir, bisher die Antwort auf diese so sehr berechtigte Frage noch schuldig geblieben ist, weil wir noch keine durchaus einheitliche, unabhängige und naturalistische Ethik kennen, und weil wir uns noch in dem Uebergangsstadium zwischen Glauben und Denken befinden und unter den Folgen desselben leiden. Da ist es nur natürlich, wenn so Mancher, der den ihm notwendigen moralischen Halt im Glauben nicht mehr und in der Wissenschaft noch nicht finden kann, einer Lehre sich in die Arme wirft und sie mit hoher Begeisterung umfaßt, die ihm diesen moralischen Halt wieder gewährt, indem sie ihm in die unendliche Versammlung der in uneingeschränkter Liebe sich begegnenden Geister aufnimmt.

Es ist die Pflicht aller Denkenden, die Dauer der nothwendigen Uebergangsepoche so viel wie möglich abzukürzen und an Stelle des nicht mehr genügenden gläubigen Haltes einen auf dem logischen Denken beruhenden ausfindig zu machen, nicht bei der zersetzenden Kritik, der Negirung des Alten stehen zu bleiben, sondern um die Begründung eines besseren Neuen sich rastlos zu bemühen.

Auf Grund des Obigen ist die Stellung der Wissenschaft zum Spiritismus die: wir dürfen nicht Alles in ihm als beabsichtigten Schwindel von uns weisen, sondern müssen Vieles daran anerkennen als Product eines irregeleiteten Denkens und daraus folgender wirklicher nervöser Erkrankung. Unsere Verachtung den Betrügern, unser Mitleid den Kranken und unser bestes Streben der Klärung einer Frage, die in dem Uebergangscharakter unserer Zeit wurzelt und an der Möglichkeit des Ueberhandnehmens dieser Krankheit in sonst gebildeten Kreisen die größte Schuld trägt!

Dr. Wilh. Loewenthal.





Cornelius Vanderbilt, der amerikanische Dampfkönig.
Von Udo Brachvogel.
New-York, am 6. Januar 1877.

Es war ein merkwürdiges Leben und ein kaum minder merkwürdiges Sterben, das vorgestern in den Vormittagsstunden in dem Hause Nr. 14 des New-Yorker Washington-Platzes seinen Abschluß fand. Ueber achtzig Jahre hatte jenes gewährt, über acht Monate dieses. Und in beiden hatte sich der Held als eine Art Gigant, oder richtiger als ein Gigant seiner Art bewährt. Der Tod hätte wohl verzweifeln können, seiner Herr zu werden; so stark, so entschieden war der Widerstand gewesen, den dieser Lebenskämpfer von Erz dem Erzfeinde alles Lebens geleistet hat. An ein halbes Dutzend Mal war des seltenen Mannes endliche Niederwerfung fälschlich verkündet worden, aber nur, damit sie, als sie zuletzt wirklich erfolgte, zuerst von Niemanden geglaubt werden sollte. Schon im vorigen August lag der nun wirklich Abgeschiedene, von Allen außer von sich selbst hoffnungslos aufgegeben, zwei Wochen lang auf dem Krankenbette. Und doch sollte das von ihm dem Tode aufgegebene Lebensräthsel noch volle fünf Monate auf die endliche Auflösung warten lassen. Konnte er sie schon

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_100.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)