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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


kann, Herr Commerzienrath,“ begann der Arbeiter verlegen „Wenn mir auch einmal so ein Fluch herausfährt, das ist nur so, wie wenn ich husten muß. Ich denke mir meiner Seele nichts dabei und will mir's auch abgewöhnen, blos nicht mit einem Male. Denn kein Mensch kriegt das fertig. Und man will doch leben, und es ist überall wenig Arbeit jetzund.“

„Sie sind ein unverbesserlicher Mensch, Herr Kotelmann, und kennen die Fabrikgesetze. Ich gestatte keine Abweichung von denselben, und Sie werden sich entfernen.“ Ein Wink mit der Hand, und der Commerzienrath verließ den Saal.

Ein paar der Arbeiter murrten vernehmlich; die düstern Augen des Abgewiesenen wandten sich auf Bandmüller, der hinter der Tribüne hervorkam und mit gedämpfter Stimme sagte: „Melden Sie sich unter Mittag in meiner Wohnung, Kotelmann, und gehen Sie jetzt!“ Dann schnellte der Fabrikleiter von Seyboldt und Compagnie zur Seite und sprang auf das Katheder. „Die Weiber an die Arbeit, vorwärts! Die Riemen eingelegt und nach den Kesseln gesehen! Wer von den Männern nicht nothwendig zu thun hat, wartet einen Augenblick.“ Ein Wink des Auges hielt Sebulon Trimpop zurück, während Fenner und einige Arbeiter mit den Weibern und Mädchen hinausströmten. Plötzlich schlug Bandmüller die Thür zu, schüttelte grimmig seine Mähne und kehrte auf die Tribüne zurück.

„Jungen,“ sagte er, und seine Augen funkelten häßlich, „jetzt will ich Euch noch eine Andacht halten.“ Und den Ton des Commerzienrathes nachahmend, begann er:

„Alleluja! Wohl dem, der fromm ist, denn die andern Frommen helfen ihm; die Dummheit muß sich unterstützen, damit sie nicht ausstirbt auf der Welt. Wohl dem, der zu pressen und zu scharren versteht, denn baar Geld lacht, und für Geld ist alles zu haben auf der Welt. Die Diener des Mammons nehmen zu auf Erden, und der Himmel segnet sie, daß ihre Häuser stehen wie der Thurm zu Babel und ihre Betten so weich sind wie das Nest der jungen Eidergänse. Sie fahren in Carossen, und ihre Keller sind voll theurer Weine; sie schlemmen und prassen und legen dennoch auf Zinsen, denn wo Tauben sind, da fliegen Tauben zu. Wenn eine Plage kommen will, so fürchten sie sich nicht, denn die liebe Polizei ist nur für kleine Diebe da, den großen aber putzt sie die Stiefel und sorgt, daß sie ihren Raub in sicheren Papieren unterbringen können. Und sie schauen ihres Herzens Lust an den Sclaven, die ihnen säen, wo sie ernten, und die nicht frei werden, weil das Lumpenpack nur so viel bekommt, daß es nicht zu verhungern braucht. Amen!

Es geht ein Geist durch diese Welt, ein Geist der Freiheit und des Gerichts. Die Sclaven rütteln an ihren Ketten wie der Hofhund, wenn er den Freßnapf wittert, und wer vernünftig ist, der hilft die Stunde der Erlösung und des großen Tausches vorbereiten. Die Geldsäcke aber werden heulen und Zeter schreien, denn die Kinder des Teufels werden sie auspressen wie die Citronen. Amen!

Nun, Ihr Narren, wie gefällt Euch das?“ sagte Herr Bandmüller mit cynischem Lachen. „Wer Muth hat, der hebe die Hand auf!“

Die Arbeiter sahen einander mit verdutzten Gesichtern an; ein paar machten wirklich den Versuch, die Hand zu erheben, ließen sie aber rasch wieder sinken. Ein kleiner, verschmitzt aussehender Spinner trat keck vor und sagte: „Sie wollen blos einen Witz machen, Herr Bandmüller, und zusehen, wer sich verräth. Sie sind ja die rechte Hand des Herrn Commerzienrathes.

„Haha!“ lachte Herr Bandmüller gezwungen auf. „Ihr seid pfiffiger, als ich gedacht habe, und das ist Euer Glück. Aber ich habe doch so ein paar gesehen, die nicht ganz sicher sind. Kettenbrink mag einmal hier bleiben. Ihr andern geht an die Arbeit!“

Kettenbrink, ein hagerer, etwas hektisch aussehender Mensch, war leichenblaß geworden; er gehörte zu denjenigen, welche die Hand erhoben hatten. Die Uebrigen blickten mit Bedauern auf ihn und entfernten sich rasch.

Bandmüller stieg vom Katheder herunter und ging auf den in tausend Aengsten Schwebenden zu. Er weidete sich an dem Anblicke des Menschen. „Ich werde Sie der Polizei überliefern, Kettenbrink – wissen Sie das? Man wird Sie in's Zuchthaus stecken. Was meinen Sie dazu?“

Der Mann verlor den Kopf vollends und fiel in die Kniee. „Herr Bandmüller,“ jammerte er, „machen Sie meine Familie nicht unglücklich!“

Bandmüller rieb sich die Hände. „So gestehen Sie mir auf der Stelle, wer in der Fabrik so denkt, wie ich da oben gesprochen habe! Dann will ich Sie laufen lassen, und ich werde sorgen, daß Niemand von Ihrem Bekenntnisse erfährt.“

Kettenbrink plapperte in der Angst eine Reihe Namen her, bis Bandmüller plötzlich sein Notizbuch zog und sagte: „Langsam, einen nach dem andern! worauf jener mit zitternder Stimme etwa zwanzig Namen dictirte.

„Mehr nicht?“ donnerte Bandmüller.

„Machen Sie mit mir, was Sie wollen! Ich weiß keine weiter.“

Der Fabrikleiter verzog triumphirend den Mund, klappte sein Notizbuch zusammen und ließ es wieder in die Tasche gleiten. „Sie können jetzt zu den Andern gehen, Kettenbrink! Wenn Sie gefragt werden, was mit Ihnen geschehen ist, so bemerken Sie, daß ich Sie gewarnt hätte.“

Der Erlöste flog empor und eilte hinaus, wie Einer, der heil aus einer Löwenhöhle entronnen. Bandmüller blickte ihm höhnisch nach. „Diesen verrätherischen Schuft werde ich aus dem Spiele lassen. Ein Anfang wäre gewonnen, aber man muß vorsichtig sein. Ein Umsturz muß kommen; Lärm muß es geben wie Anno dreiundneunzig; wir wollen die Welt auf den Kopf stellen, und die zahmen Dummköpfe im Wiedenhofe sollen die Knochen vom Braten nagen.“

So sprach Herr Bandmüller mit sich selber und schritt, in Gedanken versunken, einige Male auf und nieder, den Bart glättend und durch das buschige Haar wühlend. Bevor er die Arbeitsräume betrat, hielt er vor der Thür noch einmal an.

„Wenn ich wüßte, daß mir der Alte die Tochter gäbe, – es könnte anders kommen. Ich muß ihn noch mehr ängstigen; er muß an keine Rettung glauben, außer der, die ich verspreche,“ murmelte er, und dann schnippte er mit den Fingern. „Er hält viel auf mich, und dem Muthigen gehört die Welt. Ein reizendes kleines Persönchen! Und einst war der Vater ein so armer Teufel wie ich.“



7.


Inzwischen hatte der Commerzienrath Seyboldt nach der Lection, welche er den Arbeitern ertheilt, die Fabrik verlassen und war über den Hof in sein Arbeitszimmer gegangen. Er hatte sich dabei ungewöhnlich aufgeregt gefühlt. Seinem ganzen Naturell nach war er Aufregungen sehr ausgesetzt, aber er hatte dann selten so unbehagliche Empfindungen gehabt wie heute. Auf der Treppe war er Toni begegnet; sie hatte ihren Strohhut am Arme hängen gehabt und war singend die Stufen herab geflogen, um in den Garten zu gehen. Vor dem Commerzienrathe hatte sie eingehalten, um nach einem raschen Kusse unbekümmert weiter zu huschen wie ein flüchtiger Sonnenstrahl. Der Commerzienrath war ein zärtlicher Vater, aber er hatte im Augenblicke dieser Begegnung ganz besonders den Drang empfunden, sie wieder mit sich hinaufzunehmen und in seiner Nähe zu halten.

Er hatte in seinem Zimmer die grünen Rouleaux herunter gelassen, denn die Sonne schien in die Fenster, und nun saß er im grünen Lichtdämmer und trank eine Tasse Chocolade, und seine Gedanken bewegten sich in der nämlichen Richtung weiter, welche sie die Morgenstunden über verfolgt hatten.

„Ich denke wohl, daß ich einigen Eindruck gemacht habe,“ sagte er bei sich. „Es ist zwar möglich, daß Bandmüller übertrieben hat, wiewohl er sonst ein scharfes Auge hat und vertrauenswürdig ist; indeß man thut doch gut, vorzubeugen. Gott sei Dank, ich säe auf einen gut zubereiteten Boden; die Leute sind an die zwei wichtigsten Dinge gewöhnt, an das Wort Gottes und an Gehorsam. Des Menschen Herz ist freilich ein unzuverlässiges Ding. Aber nein, es ist kaum denkbar. Wer an das Wort Gottes gewöhnt ist, der wird kein Sansculotte. Im Hauche der Kirchenluft verdorrt das communistische Unkraut.“

Der Commerzienrath gehörte einer Classe von Leuten an, welche man mit Unrecht Heuchler zu nennen pflegt, weil ihre Religion wenig an ihrem Wesen geändert hat. Ihm war die Religion das unentbehrliche Gängelband, ohne welches die Menschheit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_095.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)