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verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


verziehen. Jetzt sagte er einfach: „Sie werden zu dieser Republik greifen müssen.“

„Warum meinen Sie das?“

Der Geheimsecretär Mazzini’s blickte einen Moment zu Boden. „Glauben Sie, daß wir in London sichere und prompte Rapporte von den Höfen der continentalen Großmächte haben?“ fragte er dann.

„Ich habe mich immer zu dem Glauben geneigt, daß nicht viel Cabinete durch ihre Gesandten so gut informirt sind, wie Mazzini durch seine Leute.“

„Nun, dann nehmen Sie die Versicherung, daß Ihr König den Volkswünschen nicht nachgeben wird, und daß Sie darauf werden verzichten müssen, einen constitutionellen König zu haben.“

Die Einfachheit und Bestimmtheit, mit der diese Worte gesprochen wurden, blieb auf Karl Hornemann nicht ohne Wirkung. Er sah betroffen auf den Italiener, gewann aber sofort seine ruhige Haltung wieder. „Sie mögen im Rechte sein,“ meinte er. „Viel Hoffnung haben wir nicht. Allein der König hat bisher nur den Volkswillen, aber noch nicht die Macht des Volksdruckes erfahren. Wir werden abwarten, ob wir an diesen werden appelliren müssen, und wir werden dann erst wissen, welche Regierungsform die unsrige sein wird.“

Der Italiener lächelte überlegen. „Vor vierundzwanzig Stunden ungefähr hatte der König eine Unterredung mit dem österreichischen Gesandten, in welcher er ihm die formelle Versicherung, für Metternich bestimmt, abgab, daß er völlig auf seine Truppen zähle und zählen könne und daß er nie dem Volke gestatten würde, der Krone etwas abzutrotzen, was auf die principielle Stellung derselben im Staate verändernd einwirken würde. Sie sehen, daß Sie die Republik haben werden, Herr Hornemann.“

„Nous verrons,“ sagte Karl Hornemann trocken und zuckte die Achseln. „Könige sind nicht unverbesserlich.“

Der Hüne ließ sich in das Sopha fallen, daß es in allen Federn ächzte, und hing die Beine über eine Stuhllehne. „Könige und immer Könige!“ brummte er ärgerlich. „Wie ein Mensch vom Wiener Congreß bis heute gelebt haben und noch von Königen reden kann, das begreife, wer will!“ Dann lachte er für sich.

„Und als ich über die Alpen kam,
Da hörte ich Deutschland schnarchen;
Es lag und schlief in guter Hut
Von sechsunddreißig Monarchen.“

„Das gäbe rund sechsunddreißig Constitutionen und eine große Reichsconstitution dazu. Geh zum Teufel mit Deinem Glauben an Constitutionen!“

„Ich möchte Ihnen einen Hauptgrund nicht vorenthalten, warum wir die Republik wünschen müssen,“ fuhr der Italiener fort, und seine Sprache wurde wärmer. „Es wäre das die einzige Garantie dafür, daß Nationen, welche die Kraft nicht in genügendem Maße zu finden vermögen, um ihre Ketten abzuschütteln, dennoch Erlösung von ihrer Schmach zu finden hoffen dürfen. Eine Nation, die einen König hat, wird nie zur Entthronung von Königen beitragen. Wer ein Herz hat, das für alle seine Menschenbrüder schlägt, wem die Faust zuckt, wenn er den Nachbar gemißhandelt sieht, getreten und geknebelt, der, mein Herr, kann den Constitutionalismus nicht für das halten, was die Zeit braucht. Die Republik ist die Barmherzigkeit, die Liebe, die Humanität; der Constitutionalismus ist die Beschränktheit, die Selbstsucht.“

Karl Hornemann schüttelte leise den Kopf. „Das wäre zu beweisen,“ sagte er, und mit einem feinen Lächeln fügte er hinzu: „Vergessen Sie nicht, mein Herr, daß Ihr Asyl England heißt!“

„Wir sind nicht undankbar,“ erwiderte der Geheimsecretär gewandt ausweichend, „aber wir rechnen mit der Thatsache, daß es England war, welches Amerika zwang, die Aera der Revolutionen zu begründen.“

„Possen!“ schrie Harro, indem er dem Stuhl einen Tritt verabreichte, daß er in das Zimmer hineinflog. „Fangt nicht mit Spitzfindigkeiten an, Kinder! Die Zeit der Länder ist vorbei, und die Zeit der Völker beginnt. Wo es nur Länder giebt, da sind Könige nöthig, meinethalben mit Knute und Kantschu oder Constitutionen, Völker aber, Karl, Völker haben eine einzige passende Regierungsform: die Republik. Laßt den Spectakel nur erst losgehen, und dann seht, wo Eure Constitution bleibt! Die Republik kommt von selber.“

„Ich glaube nicht, daß Sie viele Gesinnungsgenossen unter den deutschen Patrioten haben,“ sagte jetzt der Italiener wieder, indem seine Stimme einen melancholischen Klang annahm, „und ich hoffe, daß die Ereignisse Ihre Ansichten umgestalten. Die meisten Ihrer Landsleute, welche ich persönlich zu kennen die Ehre habe, sind begeisterte Republikaner. Und wir, mein Herr, werden alles thun, um eine französische, eine deutsche Republik mit Einschluß des deutschen Oesterreichs zu erzielen; wir müssen es, denn wir wollen ein freies Italien. Wissen Sie, mein Herr, was Sbirren und Pfaffen sind? Kennen Sie die Tiefe, bis zu der eine Nation durch sie hinabgezerrt werden kann? Haben Sie einen Begriff davon, was römische und neapolitanische Folterkammern sind?“

In diesem Augenblicke klopfte es an die Thür, und der Italiener entfärbte sich ein wenig, während Karl Hornemann die Thür öffnete. Es war der Wirth, der eintrat. „Was giebt’s, Vater Schoner?“ fragte der Pascha.

Statt aller Antwort überreichte ihm der Wirth mit verständlichem Augenblinzeln einen Brief, dessen Siegel Hornemann sofort erbrach. Er überlas wenige Zeilen und sagte dann mit einem Gemisch von Bitterkeit und Verachtung auf seinem sonst so leidenschaftslosen Gesicht: „Sie müssen fort, meine Herren. Ich habe von vertraulicher Seite die Nachricht in den Händen, daß soeben der Polizei Ihr hiesiger Aufenthalt signalisirt worden ist. Unsere Unterredung ist zu Ende.“

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Der Papst und der Peterspfennig. Vielleicht ist unsern Lesern der Name Pierre des Pilliers nicht unbekannt. Dieser thatkräftige Schriftsteller giebt gegenwärtig in Brüssel die Zeitung „l'Ère chrétienne“ heraus. Zwei seiner Werke „La Cour de Rome“ und die „Bénédictins de la Congrégation de France“, welche in der dritten Auflage erschienen, sind von der freisinnigen französischen Presse auf das Rühmendste hervorgehoben worden. Pierre des Pilliers war Prior der Abtei Acey im Jura, die er mit einem Theile seines Vermögens selbst gründete. Nach langen, furchtbaren Kämpfen mit der ultramontanen französischen Kirche schied er, seinem Gewissen folgend, aus dieser Kirche aus, blieb jedoch Katholik. Seine einzige Aufgabe war seitdem, durch Wort und Schrift den Kampf gegen das ultramontane Rom fortzusetzen. Aus Frankreich wurde er unter der traurigen Herrschaft der „Ordre moral“ verbannt, weil er im „Journal de la Gironde“ mannhaft den Bischof von Montauban brandmarkte, der in Lourdes vor Tausenden von Zuhörern predigte: „Die Protestanten in Frankreich, speciell die Elsässer, haben das protestantische Preußen gegen Frankreich gehetzt.“ Ein feiler Gerichtshof verurtheilte den tapferen Pierre des Pilliers dieses muthvollen Artikels wegen zu fünf Jahren Verbannung oder vierzehn Monaten Gefängniß. Er zog die Verbannung vor und lebt, wie gesagt, gegenwärtig in Brüssel, wo er den Kampf durch die „l'Ère chrétienne“ und seine Schriften fortsetzt. Ueber den Papst und den Peterspfennig schreibt uns nun Pierre des Pilliers Folgendes:

Gewiß hat schon Mancher sich mit Staunen gefragt, was wohl der Papst mit den zehn Millionen Mark und darüber, die der Peterspfennig ihm jährlich einträgt, anfangen mag. Wozu braucht der Nachfolger des schlichten Fischers, der an den Ufern des galiläischen Meeres selbst seine Netze ausbesserte, das viele Geld? Wen dies in Staunen setzt, dessen Fuß hat wohl noch nie die Siebenhügelstadt betreten, oder beim flüchtigen Besuch der alten Tiber-Metropole ist ihm nicht, wie mir, das Glück zu Theil geworden, den Nachfolger Petri mit seinem Gefolge von Bischöfen und Cardinälen in pompösem Aufzuge vorüberziehen zu sehen. Ohne jede Uebertreibung oder Entstellung, einfach, wie die Wahrheit selbst, will ich erzählen, was ich in Rom mit eigenen Augen gesehen habe.

Im Jahre 186… war ich in Angelegenheiten des Benedictinerordens von Solèsmes, ich selbst ein Priester dieses Ordens, nach Rom gezogen. Wie das so Sitte ist in der römischen Kirche, las ich die Messe in der Kirche St. M. Ich hatte geendet; der Weihrauch hing noch wie ein bläulicher Nebel in der schwülen Atmosphäre und schmiegte sich, aufwärts steigend, in feinen duftenden Ringen um die steinernen Behälter und Blüthen der herrlichen Säulenknäufe, die einst den Tempel der Venus geziert; ich war eben im Begriff, die Kirche zu verlassen; da trat ein Abbé mit den Worten an mich heran:

„Révérend Père, haben Sie während Ihres Aufenthaltes in Rom den heiligen Vater schon ausfahren sehen?“

„Diese Ehre ist mir noch nicht zu Theil geworden. Seit Kurzem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1877, Seite 075. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_075.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)