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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

keineswegs; nicht einmal zu dem erstrebten Sitze im Abgeordnetenhause verhalf ihm die damalige Fortschrittspartei. Verletzt zog er sich zurück, bis er endlich durch die 1864 von ihm hervorgerufene Arbeiterbewegung sich vor das Ziel seiner heißesten Wünsche gestellt sah. Aufrichtiges Mitgefühl mit Unterdrückten, denen er durchgreifend helfen wollte, begeisterungsvolle Ueberzeugungen und Ergebnisse seiner volkswirthschaftlichen Studien waren hier sicher ebenso bestimmend für ihn, wie die fieberhafte Agitationssucht und die bis jetzt nicht satt gewordene, nach großen Siegen ringende Eitelkeit seines Wesens. Mehr als bei allen seinen bisherigen Aufgaben hatte er an dieses Unternehmen, mit dem er alle Brücken hinter sich abbrach und allen Parteien den Fehdehandschuh hinwarf, die ganze Energie seiner großen Kraft, auf dieses verwegene Spiel alle seine Karten gesetzt, sodaß er stand oder fiel je nach dem schnellen Gewinnen und Verlieren. Es war ein Traum. Mit halbgebildeten Genossen glaubte er in Sturmeseile die durch ihre Mehrzahl zwar überwiegenden, aber unreifen und unwissenden, schwerfälligen und geistig noch vielfach verwahrlosten Arbeitermassen, den Mächten des Besitzes und der Intelligenz gegenüber, zu einer vorherrschenden Macht im Staatsleben organisiren zu können. An der Spitze derselben wollte er dann mittelst des allgemeinen Stimmrechts und der vom Staate unterstützten Productiv-Associationen eine der tiefgreifendsten Umwälzungen aus dem Boden stampfen, welche die Weltgeschichte jemals gesehen hat. Der Plan des einzelnen Mannes war keck ausgeklügelt, aber die Berechnungen trafen nicht zu, und alle seine Redetriumphe, alles Beifalljauchzen hingerissener Arbeitervereine konnten Lassalle nach mehrjährigen ungeheuren Anstrengungen und Opfern nicht über das lahme Vorwärtsgehen der Sache täuschen. Er hat das Anwachsen der von ihm entfachten Bewegung nicht erlebt, freilich auch nicht ihren Abfall von ihm, ihr Herabsinken zur Vaterlandslosigkeit und zu hohlem Phrasen-Communismus. Als der einst von Heine ihm prophezeite „Kampftod“ ihn ereilte, hatten schon Ueberdruß und niederschlagende Erfahrungen einen Theil seines zähen Lebensmuthes verzehrt.

Blicken wir unbefangen auf das Bild dieses Menschen zurück, wie er in seiner gesammten Erscheinung sich uns darstellt, so wird es uns zur zweifellosen Gewißheit, daß in ihm ein eindrucksvolles Phänomen am Horizont unserer Zelt aufgestiegen war. Der Glanz aber war getrübt und an vollem und wohlthuendem Leuchten gehindert durch mißfarbige Streifen von störender Breite. Daß Gemeines und Niedriges in seiner Natur gewesen, hat Niemand behauptet, trotz der unverzeihlichen Angriffe auf verdiente Männer des Fortschrittkampfes, zu denen seine parteiische Leidenschaft ihn fortgerissen hat. Mit aufrichtiger und schwungkräftiger Inbrunst konnte er auf den höchsten und reinsten Höhen edler Idealität und schöpferischen Denkens weilen, als ob nur dort seine wahre Heimath sei. So wie aber der Lorbeer wahren Ruhmes seinem jugendlichen Haupte winkte, da erwachten auch schon die wilden Antriebe, die ungezähmten Wallungen und thörichten Schwächen seines Blutes und zogen ihn gewaltsam in kleine Pfade. Viele seiner Anläufe waren groß, allen aber folgte der verhängnißvolle Sturz von der Höhe in Irrgänge der Alltäglichkeit, und immer wurde derselbe herbeigeführt durch die innern Fehler dieses bedeutenden und auch gemüthvollen Charakters, durch seine machtsüchtige Eitelkeit und seine Liebe für alles Gleißende, durch seinen vermessenen Uebermuth und die Ruhelosigkeit eines rücksichtslosen Genußdurstes. Wenn er seine Wohnungsräume stets mit dem geschmackvollsten Luxus ausstattete, wenn er mit der sorgfältigen Eleganz eines Modemannes sich kleidete und in dieser Toilette, in Lackstiefeln und ausgesucht seiner Wäsche zu den rußigen Arbeitern sprach, wenn er gelegentlich auch gern in dramatischen Positionen sich zeigte, so mag ihm das zu hoch nicht angerechnet werden, da er diese Schwäche mit mancher wirklichen Größe der Geschichte teilte.

Widerwärtiger in Lassalle’s Privatleben waren schon seine flatterhaften und unreinen Beziehungen zu der Frauenwelt, sowie jene pikanten Diners und Soupers in seinem Hause, von denen heute noch erzählt wird, daß sie damals die glänzendsten und üppigsten in Berlin gewesen seien. Denn hier offenbarte sich grell und schroff der häßliche Widerspruch zu jener Schlichtheit des Sinnes und Wandels, aus der allein ein warmes Verständniß der Volksseele, eine wahre Theilnahme für das Volksleben und alles selbstlose Wirken für die Verbesserung der Volkszustände sich erzeugen kann. Wenn es auch ein Märchen ist, daß man regelmäßig bei ihm in Haschisch sich berauschte, so steht es doch fest, daß neben einer gewaltigen Denkarbeit die Aufreizungen raffinirter Schwelgerei, der wüste Taumel fesselloser Begierden zu den Bedürfnissen seines Daseins gehörten. Und außerordentlich bezeichnend, ungemein verhängnißvoll für seinen Ruhm war es, daß nicht der Faust, sondern die Don Juan-Natur in ihm den vorzeitigen Schlußact seines genial angelegten Lebensdramas herbeigeführt hat. Der Gedankenringer und geistesstolze Massenapostel endete nicht auf dem Felde der Ehre; er fiel als Opfer eines ziemlich alltäglichen und wenig tragischen Liebeshandels.

In der Schweiz, wohin er sich im Sommer 1864 nach ihm dargebrachten brausenden Huldigungen der rheinländischen Arbeiter zurückgezogen hatte, wurde die jugendlich schöne Tochter des baierischen Gesandten von Dönniges von dem Zauber des neununddreißigjährigen Mannes geblendet und von einer heißen Liebe zu ihm ergriffen, die er - zum ersten Male in seinem Leben - ernsthaft erwiderte. Die Eltern der jungen Dame verweigerten ihr jedoch hartnäckig die Erlaubniß zu dieser Heirath, und eines Tages stürzte sie in höchster Erregung zu Lassalle in’s Zimmer und bat ihn, sie nicht wieder von sich zu lassen. Lassalle zeigte in diesem Augenblick eine Gebrochenheit; die alte rücksichtslose Verwegenheit hatte ihn verlassen; er fürchtete das Aufsehen und überredete die Geliebte zur Rückkehr in das elterliche Haus, wo er nun hübsch ordnungsmäßig, aber vergebens sich ihre Hand erbat. Von diesem Tage an wollte das junge Mädchen, das er der Beschämung und Bestrafung ausgesetzt, nichts mehr von ihm wissen, und die Leidenschaft des nunmehr Verschmähten stieg zur äußersten Wuth, als er hörte, daß die Vermählung des Fräulein von Dönniges mit ihrem ehemaligen Verlobten in naher Aussicht stand. Von diesem Herrn von Rakowitz ist Lassalle im Zweikampfe erschossen worden. War er auch mit vollständiger Kaltblütigkeit dem Tode entgegen gegangen, so war es doch ein seiner unwürdiger Tod, und erst die Folgezeit hat der Nachwelt bewiesen, wie thöricht und kindisch diese verspätete Liebesgluth gewesen ist. Auf dem jüdischen Friedhofe in Breslau ist sein Grab zu finden.

Wenn es schwer sich sagen läßt, welche Rolle er im ferneren Wandel der deutschen Angelegenheiten gespielt haben und auf welcher Seite er gegenwärtig stehen würde, so kann doch ein Zweifel nicht obwalten in Bezug auf die Breite und Tiefe der Kluft, die ihn von den heutigen Betreibern des Volksaufwieglungsgeschäftes trennt. Auch er nannte sich in seinen Reden und Schriften gern einen „Revolutionär aus Princip“, aber er hatte auch stets eine Fülle spöttischer Glossen für Diejenigen, welche das Wort „Revolution“ nicht hören können, ohne dabei an Blutvergießen und „geschwungene Heugabeln“ zu denken. Und wenn er von seiner Entflammung der Arbeiterbewegung spricht, weist er gern auf seinen schwierigen Weg durch die ernste Wissenschaft hin, indem er fragt: Und Sie können wirklich glauben, daß ich diese ganze lange Bildung damit schließen wollte, dem Proletarier eine Brandfackel in die Hand zu geben? Wir lassen das dahingestellt. Wirklich tief aber unterschied ihn von den heutigen socialistischen Stimmführern ein hervorstechender Zug von besonderer Kraft: sein nationaler Sinn, sein leidenschaftlicher Patriotismus. Er war so wenig ein Verräther an seinem Vaterlande, so wenig ein kosmopolitischer Schwärmer, daß all sein politisches Streben sich einzig auf Deutschland und vor Allem auf den preußischen Staat bezog. Als 1859 der italienische Krieg ausbrach, da warf er jene merk- und denkwürdige Schrift über die Aufgabe Preußens hinaus, die man doch heute nicht ohne Gefühle der Ueberraschung lesen kann. Denn sie enthält in Bezug auf die Beseitigung des bundestäglichen Doppelregiments in Deutschland und in Bezug auf die Proclamirung des allgemeinen Wahlrechts der Nation einige der kühnsten und fruchtbarsten Gedanken, denen Bismarck sechs Jahre später zum Durchbruche verholfen hat. Wenn sich auch eine directe Beziehung nicht nachweisen läßt, so läßt es sich auch nicht kurzweg eine Uebertreibung nennen, wenn der philosophische Agitator als der Lehrer des großen Reichskanzlers bezeichnet wurde. Mit vollem Recht sind die socialen Theorien Lassalle’s, ist seine frevelhafte Entzündung des Classenhasses von den entschiedensten Seiten der Freiheitsparteien bekämpft worden. Aber auch mit Recht sagt der dänische Biograph: „Ein ausgezeichneter Mann der Wissenschaft kann in diesem oder jenem Punkte geirrt haben. Die Fluth der Zeit spült den Irrthum hinweg, und die Menschheit erbt den Rest.“

A. Fr.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_071.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)