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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Röthung und Schwellung bemerkt und das Kind über Schlingbeschwerden klagt, vorzüglich bei Vorkommen von Diphtheritisfällen in nächster Umgebung, behalte man den kleinen Patienten unter steter Aufsicht und isolire ihn, wenn es irgend angeht, von Geschwistern und Gespielen!

Die Hauptaufgabe der Behandlung folgt aus unserer Betrachtung. Die stets vorhandenen Pilze deuten auf abnorme Gährungsvorgänge; je mehr nun die gebildeten Producte sich zersetzen, liegen bleiben und faulen, eine desto größere Ausdehnung muß der Proceß erreichen. Reinigung und Desinfection der Mundhöhle ist daher die erste Bedingung. Solange noch nicht feststeht, daß wirklich eine Diphtherie das Kind ergriffen, beschränke man sich auf kalte Umschläge um den Hals (eine Serviette in kaltes Wasser getaucht, darüber ein wollenes Tuch, stündlich gewechselt) und löse in einer mit warmem Wasser gefüllten Tasse einen Theelöffel chlorsaures Kali (nicht zu reiben oder zu stoßen). Von dieser Lösung erhält das Kind stündlich einen Theelöffel voll zum langsamen Hinunterschlucken, und wenn es nicht zu gurgeln vermag, pinsele oder spritze man noch außerdem die Mundhöhle damit aus! Hierdurch wird der Schleim leicht gelöst und entfernt. Wenigstens drei Tage bleibe das Kind innerhalb des gut gelüfteten, nicht über 16° R. warmen Zimmers. Sorgsam spähe man auf Mandeln und Gaumen nach weißen Flecken, lasse sich aber nicht durch aus der Nasenhöhle herabhängenden Schleim das Bild derselben vorspiegeln! Entsteht wirklich ein Beleg, so schicke man sofort nach dem Arzte, und nur falls derselbe nicht zu erlangen, geschehe Folgendes: Das Kind muß sogleich zu Bett; die Mandeln werden mit einem in Spiritus getauchten Pinsel alle zwei Stunden vollständig bestrichen; das frühere Auspinseln und Spritzen ist theils mit der obigen an einem warmen Orte aufzubewahrenden chlorsauren Kalilösung, theils mit gewöhnlichem Kalkwasser (aus der Apotheke) halbstündlich zu wiederholen. Aetzen mit Höllenstein kann allein bei Beginn der Krankheit von Erfolg sein; später entwickelt sich unter dem Schorfe die Veränderung nur zu einem höhern Grade; Salicylsäure zeigt sich nutzlos, während die am besten wirkende Carbolsäure nur vom Arzte zu verordnen ist. Die Halsumschläge sind jetzt öfter zu erneuern, und wenn Eis zu erlangen, schiebe man dem Kranken bisweilen bohnengroße Stückchen in den Mund, und stets sei frischer Luftzufluß in dem Krankenzimmer vorhanden. Zur Milderung des starken Fiebers dienen kalte Umschläge von durchschnittlich 10 bis 15° Wärme um Brust und Leib mit wollener Bedeckung. Die Nahrung bestehe in Milch und etwas Rothwein, denn feste und zu warme Substanzen reizen zu sehr die entzündeten Theile. Weil auch der Erwachsene der Ansteckung unterliegen kann, vermeide die Pflegerin jede unnöthige zu nahe Annäherung (wie z. B. das Küssen). Von der Letzteren sind auch gesunde Kinder streng entfernt zu halten, und aus Fürsorge gebe man den Geschwistern ebenfalls etwas chlorsaure Kalilösung, jedoch aus einer andern Tasse. In diesen wenigen Verordnungen liegt der Schwerpunkt des mütterlichen Handelns. Manch blühendes Leben riß die Diphtheritis von den Herzen der Lieben. Möchten doch diese Zeilen eine Verminderung der Opfer bewirken!

Dr. –a–



Der angebundene Schaufler.
Originalzeichnung von C. F. Deiker.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_037.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)