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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

So fügte er sich denn in's Schicksal, unterzeichnete im Schlafrock seine Abdankung und eröffnete wohlgemuth den Reigen der Depossedirten, deren Zahl in diesem Jahre des Heiles 1866 erklecklich anschwellen sollte. Vierundzwanzig Stunden war Seine Hoheit, der ehemalige Cavallerie-Oberst, Arrestant im eigenen Hause, dann ging's über die Grenze, und es begann für ihn die glückselige Carrière eines Millionärs, der in Ruhe und Frieden die Freuden eines reichvergoldeten und sorgenlosen Exils genoß.

Die Sorgen waren den Urhebern des Staatsstreichs geblieben. Rumänien war herrenlos. Es handelte sich darum, so rasch wie möglich einen Princeps zu finden. Der russische Bär streckte seine Tatze bereits über den Pruth, und der damals noch nicht bankrotte, deshalb auch furchteinflößende Großtürke war wüthend, weil man ohne seine Erlaubniß in Bukarest revolutionirt und conspirirt hatte. Dazu schüttelten die Diplomaten bedenklich den Kopf, schielten mit den Augen und verzogen die Mienen, als wollten sie sagen: „Meine Herren Rumänen, Sie haben sich da eine böse Suppe eingebrockt – sehen Sie, daß Sie selbe rasch hinunterkriegen!“

Wenn man irgendwo in Europa, Asien, Afrika oder auf den Fidji-Inseln wegen Besetzung eines wackeligen Thrones in Verlegenheit geräth, so wird in erster Reihe an die Bereitwilligkeit des Hauses Coburg appellirt. Die Machthaber in Bukarest hätten um Nichts in der Welt von dieser Tradition abweichen wollen; sofort wurde der Graf von Flandern zum Prinzen der Donaufürstenthümer proclamirt und ihm zu Ehren illuminirt, ein Tedeum gesungen und leidlicher Champagner getrunken. Aber die Veranstalter dieser Festivitäten hatten ohne den Wirth gerechnet. Der Graf von Flandern hatte die Schwäche, seinen lieblichen Laekener Aufenthalt dem Konak in Bukarest vorzuziehen – er bedankte sich höflich und blieb einfacher belgischer Prinz.

Die Bukarester Souverain-Erschaffer mußten daher auf eine andere Fährte gerathen. Unter den Verschworenen, die am meisten zum Sturze Conza's beigetragen hatten, that sich besonders Jean Bratiano hervor. Bratiano war kein Lehrling im Verschwörerfache. Er hatte schon längst alle peinlichen Proben eines emeritirten Carbonaro mit Auszeichnung bestanden. Im Jahre 1848 hatte er mit seinem Freunde Rosetti den Hospodar Ghika gestürzt, darauf ging er nach Paris und wurde – man weiß nicht recht wie – in Verschwörungen gegen Napoleon den Dritten verwickelt. So stand er mit Raue, dem späteren Polizeichef Gambetta's, und mehreren vollblütigen Rothen vor dem Schwurgericht der Seine den donnernden Apostrophen des jüngst verstorbenen Staatsanwalt Chaix d'Est-Ange ausgesetzt und wurde vor dessen strafender Beredsamkeit durch die sanfte Rednergabe seines Vertheidigers Jules Favre geschützt. Die Sache war nicht gespaßig; die jungen Leute standen unter Anklage, getrachtet zu haben, den Erwählten von sieben Millionen in ein besseres Jenseits zu spediren. Eine in der „Komischen Oper“ unterzubringende Höllenmaschine sollte das Werkzeug gewesen sein. Es war allerdings beim bloßen Project geblieben, aber bei der herrschenden Temperatur – kaum zwei Jahre nach dem Staatsstreich – und bei dem aufgespeicherten Material winkten unheimlich im Hintergrunde des Assisensaales die Platanen von Cayenne oder gar die röthlich gefärbten Balken des Blutgerüstes auf dem Roquette-Platz.

Bratiano kam noch billig weg. Er wurde zu einer Gefängnißstrafe verurtheilt und erfreute sich außerdem der speciellen Vergünstigung, diese Strafe in einer Maison de Santé abzubüßen. Ob Bratiano, heute österreichischer Graf, Großkrenz des St. Annen-Ordens und rumänischer Ministerpräsident, dem Kaiser Napoleon wirklich nach dem Leben getrachtet? Lange Zeit hindurch wies er mit Entrüstung diese Zumuthung zurück – kommt aber ein Republikaner nach Bukarest, so raunt ihm ein Vertrauter des Staatsmannes behaglich in's Ohr. „Sie wissen, unser Ministerpräsident hat vor Jahren den Korsen umbringen wollen.“ Doch die Feststellung dieser Thatsache gehört nicht hierher. Es genüge die Constatirung, daß Bratiano während seiner Haft Gelegenheit hatte, mit dem Potentaten auf dem Throne Frankreichs in Berührung zu kommen. Er ließ dem Kaiser verschiedene Denkschriften über die Donaufürstenthümer unterbreiten, welche von Napoleon mit großem Interesse gelesen wurden und auch wirklich auf die durch Frankreich dem Pariser Congreß aufdictirten Beschlüsse in Bezug auf die Moldau-Walachei nicht ohne Einfluß geblieben sind. Wie versichert wird, war es die Milchschwester des Kaisers, die jüngst verstorbene Mme. Cornu, welche den – bis auf Weiteres nur schriftlichen – Verkehr zwischen dem Cäsar und dem Gefangenen einleitete. Seitdem blieben der nach seiner Heimath zurückgekehrte Bratiano und Louis Napoleon in steter Fühlung mit einander. Allerdings war der ehemalige Kostgänger der „Maison de Santé“ inzwischen eine politisch markante Persönlichkeit des neugeborenen Donaustaates geworden und sollte durch den von ihm im Einverständniß mit den Tuilerien vorbereiteten Sturz Conza's noch zu höherem Ruf und höherer Bedeutung gelangen.

Als die Candidatur des Grafen von Flandern also Fiasco gemacht, drängte sich Bratiano in den Vordergrund. „Wollt Ihr,“ sagte er zu seinen Freunden und Mitschuldigen, „die Fürstenfrage in sicherer Weise erledigen, ohne Euch einen neuen Korb zu holen, so laßt mich walten. Ich kenne die richtige Adresse, an die wir uns wenden müssen; sie lautet: Paris, Palast der Tuilerien.“ Wenige Tage später, gegen Mitte März, war Bratiano auf dem Wege nach der Seinestadt. Ein italienischer Arzt, Herr Davela, in dessen Hause die Frau des Fürsten Conza nach der Katastrophe Zuflucht gefunden, begleitete ihn auf der Argonautenfahrt. In Paris wurde zuerst Kriegsrath gehalten, was für ein Prinz der besonderen und kategorischen Unterstützung des Kaisers vorgeschlagen werden sollte. Madame Cornu wurde diesem Consilium beigeordnet, und sie soll zuerst auf den Fürsten Karl von Hohenzollern hingewiesen haben. Die Königin Hortense hatte zur Zeit ihres Aufenthaltes in Deutschland vielfach mit diesem Zweige des Hohenzollern'schen Herrscherhauses verkehrt, und Madame Cornu, die unzertrennliche Jugendgespielin Louis Napoleon's, war dadurch ebenfalls in diese Gesellschaft gekommen.

Prinz Karl, damals achtundzwanzig Jahre alt, war Lieutenant à la suite im zweiten Dragonerregiment, welches in Potsdam lag. Man schrieb dem Vater und bat ihn, in Düsseldorf eine Besprechung mit seinem Sohne anzuberaumen. In der freundlichen und kunstsinnigen Rheinstadt begegneten sich der zukünftige Fürst und sein zukünftiger Premier. Es bedurfte nicht langer Unterredung, um den Prinzen Karl, dessen Temperament eben kein philiströses ist, zur Annahme der Krone zu bewegen; möglich, daß, um die Klänge des Sirenenliedes noch verführerischer zu stimmen, Bratiano, der Republikaner, damals wirklich die baldige Metamorphose der Fürsten- in eine Königskrone in Aussicht stellte und vor den Augen des jugendlichen Herrschercandidaten das verlockende Bild einer Hohenzollern'schen Großmacht an der Donau schillern ließ. Kurz und gut, der Zustimmung des Prinzen gewiß und überzeugt, daß diesmal die Tedeums nicht umsonst gesungen werden sollten, kehrten Bratiano und Davela nach Paris zurück. Das Terrain war indessen in den Tuilerien trefflich vorbereitet worden. Madame Cornu hatte sich zum Advocaten der Hohenzollern'schen Candidatur gemacht und die Idee mit der ihr eigenen Zähigkeit und Ausdauer verfolgt. Sie hatte beim Kaiser zu jeder Stunde Zutritt, und sehr oft holte sich Louis Napoleon bei seiner Jugendgespielin Rath. Auch in diesem Falle hatte die kluge Frau wieder den Beweis der gewaltigen Tragweite ihres Einflusses documentirt. Napoleon rieth den Rumäniern, nur rasch und entschieden vorzugehen. Die Conferenz, die sich indessen in Paris versammelt hatte und auf welcher Rußland, die Türkei und – schließlich auch Oesterreich, als es von der Candidatur eines preußischen Prinzen Wind bekam, sich der Ernennung eines fremden Fürsten widersetzten, die Conferenz sollte mit Lappalien hingehalten werden, bis die vollendete Thatsache durch Erscheinen des Prinzen auf dem rumänischen Boden geschaffen sein würde. Gegen diese vollendete Thatsache würde sich aber nicht ankämpfen lassen.

Bratiano und Davela ließen es sich nicht zweimal sagen. Mit der empfohlenen Beschleunigung wurde in Bukarest die Fürstenwahl zu Stande gebracht, in Düsseldorf feierlich dem jungen Prinzen die Krone angeboten und die Proteste der Conferenz mit noblem Stillschweigen übergangen. Es handelte sich nur darum, den Prinzen auf seine Herrschaft zu bringen. Das Fatale war, daß Seine Hoheit entweder über russisches oder über österreichisches Gebiet mußten. Hüben wie drüben drohte dem nicht anerkannten Souverän Verhaftung; russische und österreichische Polizisten verfolgten den Fürsten auf Schritt und Tritt. Aber Bratiano hatte während seiner Verschwörerpraxis einer löblichen Polizei allerhand

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_029.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)