Seite:Die Gartenlaube (1877) 026.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


die Spitze der kirchlichen „Reform“ gegen das deutsche Königthum, beziehungsweise gegen das deutsch-kaiserliche Imperium gerichtet sei, entschloß sich, den ihm hingeworfenen Fehdehandschuh aufzuheben. Er that es und konnte es thun; denn für einen tüchtigen Strategen und klugen Taktiker wäre dazumal das Kriegsspiel nicht übel gelegen. Allein wieder verdarb sich der König durch heftiges Dreinfahren seine Stellung, wobei ihm freilich zur Entschuldigung gereichen mag, daß ihn der Papst persönlich höchlich gereizt hatte. Denn Gregor hatte mittels mündlicher Botschaft den König der abscheulichsten Laster beschuldigt und im drohendsten Tone Besserung verlangt. Heinrichs Antwort war, daß er zu Worms ein nationales Koncil versammelte, welchem 24 deutsche, ein italischer und ein burgundischer Bischof anwohnten und das unter dem Vorsitze des Erzbischofs Siegfried von Mainz auf Begehren Heinrichs am 24. Januar von 1076 den „Bruder Hildebrand“ des päpstlichen Thrones, auf welchen er durch Bestechung, List und Gewalt gelangt wäre, förmlich für entsetzt erklärte. Des Königs Brief an den Entsetzten trug die Adresse: „Heinrich, nicht durch Anmaßung, sondern durch Gottes heilige Einsetzung König, an Hildebrand, nicht als an den Papst, sondern als an den falschen Mönch“ – und der Schluß des Schreibens lautete: „Verlaß den angemaßten apostolischen Stuhl! Ein anderer besteige den Thron Petri, der da nicht Gewalt übt unter dem Deckmantel der Religion, sondern die lautere Lehre verkündet. Ich, Heinrich, König von Gottes Gnaden, rufe dir mit allen meinen Bischöfen zu: Steige herab, steige herab!“

Aber Gregor stieg keineswegs von seinem Throne herab, sondern setzte sich nur fester und stolzer darauf. Ihm konnte die ihm von seiten des Königs gewordene Kriegserklärung auf Leben und Tod nur willkommen sein. Denn sie bot ihm ja eine prächtige Gelegenheit, die Ueberlegenheit des geistlichen Schwertes über das weltliche, die Macht des Geistes über die Materie in ihrem ganzen Umfange zu zeigen und kundzuthun. Der päpstliche Gegenschlag gegen den königlichen Streich kam schnell. Am 21. Februar von 1076 verkündete Gregor, umgeben von einer stattlichen Synode von Kardinälen und Bischöfen, in der Salvatorskirche des Lateran Heinrichs Entsetzung vom Königthum und Reich, entband alle Christen des dem Könige geleisteten Treueides, belegte ihn mit dem Anathem und bannte ihn förmlich und feierlich.

Die Kaiserin-Witwe Agnes, Heinrichs Mutter, war damals in Rom anwesend und zur Stunde in der Salvatorskirche Augen- und Ohrenzeugin der Bannung und Verfluchung ihres Sohnes. Da nun so ein Bann und Fluch dem Glauben der Menschen von damals zufolge die zeitliche und ewige Verdammniß des Gebannten und Verfluchten herbeiführte, so mußten, sollte man denken, Mutterherz und Muttermund unwillkürlich dagegen aufschreien. Es geschah nicht, und das ist ein schlagender Beweis, daß religiöser Wahn und Fanatismus selbst das Stärkste, was auf Erden lebt, das Muttergefühl, zu überwinden vermögen.

Kein Wunder also, daß der päpstliche Bannfluch gewaltig wirkte. Wie ein dörrender und versengender Föhn wehte er über die Alpen herüber, aber wie gefeuchtet durch den Schneehauch derselben fiel er als erquickender Regen auf alles in Deutschland, was der nationalen Einheit und dem durch Heinrich wiederhergestellten Königthume feindlich war. Einem gebannten Könige war man ja keinen Gehorsam, keine Treue schuldig. Im Gegentheil, Verrath und Empörung waren jetzt Christenpflicht. Nur wenige geistliche und weltliche Magnaten hatten ein Gefühl von Scham und Zorn, daß ein fremder Priester sich vermessen dürfte, das rechtmäßige Oberhaupt der deutschen Nation also zu beschimpfen. Die Adelsanarchie jubelte; der Partikularismus war wieder einmal obenauf. Wäre Heinrich ein Nummer-Eins-Mann gewesen, so konnte es ihm nicht allzu schwer werden, auch jetzt wieder der Rebellion den Meister zu zeigen. Allein so, wie er war, hatte er gerade in dieser kritischen Zeit durch verschiedene Uebereilungen und Mißgriffe seine Lage noch verschlimmert. Die Herzoge und Fürsten, sowie die päpstisch-gesinnten unter den Prälaten fühlten ihre Stärke. Sie versammelten sich im Oktober von 1076 zu Tribur am Rhein und faßten Beschlüsse, welche für Deutschland ein Unglück und eine Schmach waren. Sie anerkannten offen den Papst als obersten Herrn und Richter in Sachen des Reiches und beschlossen, der gebannte König müßte sich des Regiments begeben, bis er vom Banne losgesprochen wäre. Auch müßte er seine Unterwerfung dem Papste förmlich erklären. Dieser würde zu Anfang des nächsten Jahres nach Deutschland kommen und einer nach Augsburg einzuberufenden Reichsversammlung vorsitzen. Dort sollte sich Heinrich vor dem Richterstuhle des Papstes stellen, um sein Urtheil zu empfangen. Lautete dasselbe lossprechend, so sollte er wieder König sein; lautete es verdammend, sollte er des Königthums für immer entsetzt sein. Der Hauptmacher der Rebellion, welche zu diesen Beschlüssen führte, war der Bischof Bukko von Halberstadt. Die Herzoge Rudolf von Schwaben, Welf von Baiern und Berthold von Kärnten mitsammt den sächsischen Baronen hatten mit Gier den religiösen Vorwand ergriffen, von dem gebannten König abzufallen.

Heinrich seinerseits und die ihm treugebliebenen geistlichen und weltlichen Herren sahen es für eine unumgängliche Nothwendigkeit an, der Empörung diesen religiösen Vorwand zu entziehen, sowie alles daran zu setzen, den Papst nicht nach Deutschland kommen zu lassen. Ja, wenn die deutschen Städtebürgerschaften, welche treu an Heinrich hielten, wie sie trotz Bann und Interdikt später treu zu den Stauferkaisern standen, schon die Bedeutung und Macht erlangt gehabt hätten, welche sie zwei Jahrhunderte später besaßen, dann würde die Möglichkeit gegeben gewesen sein, die verrätherischen Beschlüsse von Tribur mit dem Schwerte zu zerhauen. Allein im 11. Jahrhundert war die Wehrfähigkeit des Reiches noch bei den großen Feudalherren, und dem Willen derselben mußte der verrathene König sich unterwerfen, maßen ja auch die Bischöfe und Barone seines angestammten Herzogthums Franken nichts für ihn thun wollten.

Er ging nach Kanossa.

Das ist der größte Triumph gewesen, welchen die Kirche über den Staat, der Romanismus über das Germanenthum jemals davongetragen hat. Aber, wohlverstanden, dieser Sieg Roms ist schlechterdings nur möglich geworden durch die schmachvolle Untreue der Mehrzahl des deutschen Adels und der deutschen Prälatenschaft. Zu allen Zeiten haben ja Deutsche selber ihrem Lande die bösesten Wunden geschlagen.



Von Speyer aus, wo er in halber Gefangenschaft weilte, hatte der gedemüthigte König eine Botschaft an den Papst gelangen lassen, daß er sich unterwärfe und nur um die Ledigung vom Banne bäte. Umsonst. Gregor wies die Bitte hart und herbe zurück. Er brannte vor Begierde, nach Deutschland zu kommen und inmitten der Reichsversammlung zu Augsburg als höchster Schiedsrichter auf Erden zu thronen. Gewiß, es hieße diesen großen Geist mit kleinem Maßstabe messen, wollte man dieses Verlangen auf eine persönliche Eitelkeit zurückführen, die es gekitzelt hätte, in dem Lande, wo er früher als demüthiger Mönch erschienen war, jetzo in dem ganzen Glanze seiner Vicegottheit aufzutreten. Aber es durfte und mußte den Papst reizen, die Statthalterschaft Gottes, wie er sie faßte und führte, gerade unter der Nation, bei welcher „das weltliche Schwert“, das Imperium war, mittels einer Haupt- und Staatsaktion von ungeheurer Bedeutung zu manifestiren, den Staat in der Person des angeklagten Königs zu seinen Richterfüßen zu sehen und mittels seines Wahrspruches die Erhöhung des Gottesstaates über das erste weltliche Reich und folglich über alle weltlichen Reiche ein- für allemal zu besiegeln.

Vor der Weihnacht von 1076 sandte er ein Schreiben an die deutschen Päpstler, alles zu seinem Empfange zu rüsten. Dann brach er von Rom auf, ging über Florenz und den Apennin nach Mantua, bis wohin die große Gräfin Mathildis ihn geleitete, und war im Begriffe, weiter nordwärts zu reisen das Etschthal aufwärts, als ihm der Bischof von Vercelli einen Boten zusandte mit der überraschenden Nachricht, der gebannte König der Deutschen hätte die Alpen überstiegen und stände schon auf italischem Boden. Mit Heeresmacht? Gregor mußte das glauben. Seine Eisenseele konnte sich gar nicht vorstellen, daß Heinrich, der tödtlich beleidigte und beschimpfte Germane, nicht als Rächer, sondern als Flehender käme. Eilends kehrte demnach der Papst um nach Tuscien, wo er des Schutzes seiner mächtigen gräflichen Verehrerin gewiß war, und fühlte sich erst sicher, als sich das Burgthor von Kanossa hinter dem Eingerittenen geschlossen hatte. Das war ja die festeste von Mathilde's Burgen. Etliche Meilen südwärts von Reggio ragte sie auf einem steilabfallenden, aber geräumigen Quarzfelsen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_026.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)