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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Inserat hinab und wacht strenge, daß kein Geist in das Blatt komme, und auch der geringste Keim von Esprit wird mit rücksichtsloser Hand ausgejätet. Diese sprüchwörtliche Langweiligkeit der „République française“, deren Anerkennung Gambetta mehr schmeichelt als aller Weihrauch, den man ihm sonst streut, hat die Existenz des Blattes gewährleistet, auf welches seit seiner Begründung (im November 1871) die polizeilichen Spürhunde fahndeten, ohne es jemals am Kragen fassen zu können. Ist das Blatt fertig, dann beginnt der große journalistische Kriegsrath für die nächste Nummer. Mit wenigen, aber charakteristischen Strichen weiß Gambetta die schwierigsten Fragen klar zu legen und die verwickeltsten aufzurollen; geistessprühend wie er ist, genügt oft ein Wort, um eine dunkle Situation zu erhellen. Er trifft stets den Nagel auf den Kopf. Da ist auch der Ort, wo er seinem oft derben Humor die Zügel schießen läßt und seine Gegner mit einem spitzen Worte niederspießt.

Herr Leon Gambetta führt aber nicht nur glänzend das Wort und schneidig die Feder, er ist auch ein Meister der Gabel; ist der Exdictator als Redner hinreißend, als Publicist überwältigend, so ist er als Zechcumpan bezaubernd. Gambetta ist groß auf der Tribüne, groß im Advocaten-Ornate, aber auch nicht weniger groß, mit der weißen Serviette umgürtet; er versteht nicht minder ein junges Huhn wie eine ministerielle Vorlage in ihre kleinsten Fäserchen zu zerlegen, und sein Keller ist nicht schlechter bestellt als seine Bibliothek, in welcher die besten deutschen Schriftsteller nicht auf dem obersten Gestelle stehen, freilich in französischer Uebersetzung, denn Gambetta kann nicht deutsch. Auch Bier kann er nicht trinken, doch hat er vor dem deutschen Biere eine hohe Achtung und macht sich weidlich lustig über Pasteur, den berühmten Chemiker, der den Franzosen, um sie für den Verlust von Elsaß, seines Bieres wegen, zu entschädigen, ein neues Bier nach streng wissenschaftlichen Grundsätzen in seinem Laboratorium brauen will.

Schon in nächster Zeit übersiedelt Gambetta in das neue Haus der „République française“, von dort ist aber nur ein kurzer Schritt zum Palais Elysée, in welchem Mac-Mahon bereits drei Jahre des Septennats abgedient hat.

Halb Frankreich hofft, halb Frankreich fürchtet, daß Gambetta diesen Schritt 1880 machen wird.




Die Taufe des deutschen Aristophanes.
Mitgetheilt von W. T.


An der Halle-Casseler Eisenbahn, ziemlich in der Mitte zwischen Nordhausen und Cassel, liegt – lang gestreckt – in dem schmalen Leinethal das freundliche Städtchen Heiligenstadt, die Hauptstadt des Eichsfeldes, bekannt durch die jährlich von da ausströmenden Arbeitermassen und als Burg des Ultramontanismus, einer Erbschaft aus der früheren Zugehörigkeit zum Kurfürstenthum Mainz. Weniger bekannt ist, daß das Eichsfeld eine Menge landschaftlicher Schönheiten und prachtvoller Aussichtspunkte besitzt, die trotz der Bahnverbindung noch ihres Bädecker oder Meyer harren, der sie für die größere Touristenschaar entdeckt.

Die Zeit, von welcher wir sprechen, kannte Eisenbahnen noch nicht, wohl aber lag Heiligenstadt an einer damals bedeutenden Verkehrsader, der sogenannten großen Rheinstraße; lange Reihen schwerer, hochbethürmter Frachtwagen und zweirädriger Karren, mit schweren Brabanter Hengsten bespannt, durchzogen die Straßen der Stadt, um ihre Abfertigung nach der nahen hessischen und hannoverschen Grenze auf dem Zollamte zu bewirken, denn es war noch die Zeit, wo jedes auch noch so kleine deutsche Vaterländchen seine Grenzen der Zufuhr aus dem Nachbarländchen nur gegen hohe Zölle öffnete – zum Glück vergangene und jetzt fast vergessene Zeiten!

Wenn man sich der Stadt auf der Rheinstraße von Nordhausen her nähert, erscheint zunächst ein Doppelthurm, bis zur Kreuzblume von massiven Sandsteinquadern gebaut, und scheinbar dazwischen stehend, ein schiefergedeckter Thurm, hochragend, von außerordentlich feiner, eleganter Form. Beide Kirchen, zu denen diese Thürme gehören, liegen auf hügeligen Erhöhungen. Die doppelthürmige Liebfrauenkirche auf dem Kirchberge inmitten der Stadt ist die katholische Hauptkirche; neben ihr sehen wir eine kleine Capelle in mustergültigem gothischem Baustyle. Die Martinskirche mit dem schlanken Schieferthurme auf dem „Berg“, am Westende der Stadt, wurde bei Aufhebung des Martinsstiftes der evangelischen Gemeinde überwiesen. Neben der Kirche liegt das frühere kurfürstliche Residenzschloß, hoch die Stadt überragend und weit über dieselbe hinweg in die hübsche Landschaft hinausblickend. Tief unter dem Schlosse, in einem schmalen ungepflasterten Gäßchen, blickt die Amtswohnung des evangelischen Geistlichen mit wenigen Fenstern trübe und traurig nach dem Gäßchen, desto freundlicher aber auf der Rückseite nach dem großen Obst- und Gemüsegarten. Das Haus, früher fast ganz überwachsen von weißen und rothen Kletterrosen, ist heute dieses Schmuckes beraubt, weil – es neu angestrichen werden sollte.

Es war um die Rosenblüthe 1825. Im Pfarrhause herrschte reges Leben. Die Hausfrau hatte vor einigen Wochen ihren Mann, den Superintendenten M. Gottlob Grimm, mit einem Zwillingspärchen beschenkt, und der morgige Tag war zur Taufe der Zwillinge bestimmt, zu welcher der Freund des Hauses, Dr. Bonitz aus Langensalza, als erbetener Pathe schon gestern eingetroffen war. Es sollte eine große Taufe sein, und alle Hände waren voll Arbeit, doch als der Hausherr die kurze Mittheilung machte: „Wir haben heute noch einen Gast,“ war es weniger das Erscheinen eines neuen Tischgenossen, was den weiblichen Theil der Familie beschäftigte, denn man lebte in einfachen Zeiten und war gewohnt, Gäste zu sehen, wenn auch bei einfacher Bewirthung und wenig Gerichten – es war mehr die ungewohnte lakonische Kürze der Mittheilung, welche über die Person des Fremden keine Auskunft gab und deshalb den Vermuthungen freies Spiel ließ.

Kurz vor zehn Uhr klingelte es, und die Dienstmagd, welche geöffnet hatte, meldete, es sei der blasse Göttinger Student, welcher in letzter Zeit öfter da gewesen, gekommen und habe sich sofort nach oben zum Herrn begeben, wo auch schon der Herr Dr. Bonitz warte. Damit war nun zwar der Gast bekannt, was aber der blasse Student so oft bei dem Hausherrn zu thun habe, darüber fehlte die Aufklärung. Nach zwölf Uhr erschienen die Herren im Familienzimmer und stellte der Hausherr den Fremden als stud. jur. Heinrich Heine vor, unwillkürlich auf den Vornamen einen stärkeren Accent legend, was den Freund Bonitz zu einem raschen Aufblicken und Lächeln veranlaßte. Das Mittagessen verlief still; der Hausherr und Bonitz führten die Unterhaltung ziemlich allein, aber auch nur mit halber Aufmerksamkeit. Heine betheiligte sich dabei nur so viel wie nöthig, um nicht unhöflich zu sein; sein Gesicht trug den Stempel tiefer innerlicher Erregung, und in den dunkeln Augen war erkenntlich, daß seine Gedanken nicht bei der Unterhaltung waren. Ebenso ging es den geistlichen Herren, die, beide als geistreiche Gesellschafter in ihren Kreisen bekannt, heute offenbar mit anderen als den geführten Gesprächsgegenständen beschäftigt waren und öfter ihre Blicke zu dem jungen Manne prüfend und doch mit einer besondern Milde und Freudigkeit hinüber gleiten ließen. Nach Tische empfahl sich Heine bald. Sein Abschied von dem Superintendenten Grimm war ein besonders herzlicher und warmer, und als er, schon an der Thür, sich nochmals umwendete und denselben wiederholt die Hand reichte, schimmerte es ihm feucht im Auge.

Nun theilte Grimm seiner Familie mit, daß heute der jüdische Student Heine von ihm die Taufe empfangen habe, nachdem die Vorbereitung dazu seit längerer Zeit geschehen, und daß Bonitz dessen Pathe sei. –

Ueber diese Taufe haben sich in den nachgelassenen Papieren des Superintendenten Grimm Aufzeichnungen gefunden, deren Bekanntwerden jedenfalls von weiterem Interesse ist. Ich gebe dieselben nachstehend im genauen Wortlaute der Originalien.

Ueber das Vorleben des Täuflings hatte Grimm sorgfältige Erkundigungen eingezogen, welche sehr günstig ausgefallen waren. Dahin gehörten vor Allem folgende „Zeugnisse, welche der Proselyt Heinrich Heine vorgelegt hatten“: Und zwar 1) Testimonium der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_018.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)