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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Sie lieben, verehrte Freundin, das Originelle, auch wenn es bizarr ist. Doré ist ein Romantiker; die deutsche und classische Walpurgisnacht ist die Heimath seiner Phantasie, aber er ist gewaltig in seinem Schaffen, welches einen großartigen Zug hat, und selbst in den flüchtigsten, bisweilen eilfertigsten Skizzen spricht sich immer sein entschiedenes Talent aus.

Die Dichtung von Coleridge war wie geschaffen für seine Illustrationen; sie ist in einem halb gespenstigen, halb magischen Helldunkel gehalten, welches seinem Talent entgegenkommt; das Grauenhafte darin hat er wohl mit zu großer Vorliebe ausgebeutet, und die Todtenmasken der verschmachteten Seeleute grinsen uns zu oft von dem Bord eines Schiffes entgegen, das wie ein hölzerner Kirchhof mit unverscharrten Leichen erscheint, aber viel des Genialen, kühn Phantastischen entschädigt für diese Vorliebe, und auch den Reiz des Contrastes weiß der Zeichner dem Dichter nachzuempfinden und ihn auf seinem Bilde zu lebendigster Wirkung zu steigern.

So wird Sie, verehrte Freundin, die Introduction, das heitere Brautfest, in welches der finstere Ahasver des Meeres hereingeräth, mit seiner frischen Lebenslust und seinen lieblichen Gestalten freundlich anmuthen, im Gegensatz zu den Schrecken der Polarwelt, welche die folgenden Bilder entrollen, diesen Eisbergen und Seeungeheuern, diesem unter Schnee und Eis fast vergrabenen Schiffe. Namentlich das Schneebild der Polarwelt ist so stimmungsvoll, daß es den stärksten Eindruck nicht verfehlen kann. Unser Künstler hat geniale Einfälle, aber sie sind im Einklang mit der Bedeutung der Dichtung. Ihr Hauptmotiv ist die Tödtung des Albatrosses; denn von dieser kommt der Fluch her, der auf dem Matrosen und dem Schiffe lastet. So bringt Doré in die Mitte des einen Bildes den Vogel und den Pfeil, der dicht daran ist, ihn zu treffen, während das Takelwerk des Schiffes und sein Kiel nur am Rande des Bildes hervorsehen und alles Andere stimmungsvolles Seegemälde ist. Sie sehen, wie ein genialer Zeichner in seiner Weise den gewichtigsten Accent auf einen Vorgang zu legen weiß.

Die Lichtgestalten der Versöhnung, beflügelte Engelsbilder, bringen später einen Abglanz des Dante’schen „Paradieses“ in diese Polarhölle, aber der einsame Wanderer, der durch die Nacht dahinstreift, erinnert uns an das Unvergeßliche im Leben der Menschen; trotz aller Entsühnung verfolgen ihn die Schreckensbilder des Erlebten, und selbst unter den frohen Hochzeitsgästen sucht er Hörer für das Unerhörte zu finden, um sich durch Erzählung und Mittheilung von dem Grauen zu befreien, mit welchem die gespenstigen Bilder sein Inneres heimsuchen.

Sie werden, verehrte Freundin, das Prachtalbum zu den anderen Prachtwerken, in denen sich dichtende und bildende Kunst die Hand reichen, auf Ihren Salontisch legen und wenn Sie dann an stürmischen Wintertagen in das Spiel der donnernden Wogen am Strande blicken, so werden Sie mit erregter Phantasie in den gepeitschten Wellen, die Todtengesichter sehen, die uns aus diesem ewigen Grab der Menschheit entgegengrinsen.

Dann aber denken Sie in Ihrem stillen Boudoir gewiß über den Sinn der unheimlichen Sage nach.

Sind wir nicht Alle wie der alte Matrose, und hat nicht Jeder von uns in seinem Leben einmal einen Albatroß, einen glückverheißenden Vogel, getödtet?

Das ist eine dunkle Kunde, verehrte Freundin. Solche Bilder, von keinem Coleridge besungen, von keinem Doré illustrirt, ruhen tief in unseren Herzen.[1]

  1. Den phantastischen, oft fratzenhaften und hie und da mit Zeichenfehlern behafteten Doré’schen Illustrationen gegenüber möchten wir noch ein Prachtwerk empfehlen, das durch seine classische Einfachheit sich vortheilhaft von dem Buche des französischen Künstlers abhebt – Tennyson’s „Enoch Arden“, illustrirt von Paul Thumann. In diesem Album, ist jede einzelne Zeichnung ein kleines Kunstwerk, so meisterhaft in der Linie, in Auffassung und Stimmung und auch von xylographischer Seite so glücklich behandelt, daß man sich immer und immer wieder mit Vergnügen dem Reiz dieser anmuthenden und feingedachten Gestalten hingiebt. Bei aller Anerkennung Doré’scher Phantasie, die nur durch die vortrefflichen Leistungen seiner Xylographen noch übertroffen wird, dürften ruhige Beurtheiler auch der liebenswürdigen Gabe des deutschen Meisters ihre vollste Sympathie entgegenbringen.D. Red.     

Blätter und Blüthen.


Ein russischer Feldherr. (Mit Abbildung S. 861.) Im October des vorigen Jahres hätte Rußland das fünfundzwanzigjährige Jubiläum seines höchsten Ansehens und Einflusses in Europa feiern können. Das war damals, wo der Selbstherrscher aller Reussen als „Besieger der Revolution“ einzig dastand und nicht blos „Ungarn“, sondern mehr als ein „geretteter“ Thron „zu den Füßen Seiner Majestät“ lag. Von dieser Höhe zogen es vier russische Unglücks-Märztage abwärts: jener 16. März 1853, wo Mentschikoff das russische Ultimatum nach Constantinopel brachte, dann jener 12. März 1854, welcher den Bund der „Westmächte“ schuf, ferner der 2. März 1855, an welchem Kaiser Nikolaus an den Schlägen des Krimkrieges starb, und endlich der 30. März 1856, an welchem dem besiegten Rußland in Paris der Friede dictirt wurde. Desto freudiger begrüßten die Russen die Gefangennahme Schamyl’s und die dadurch vollendete Unterjochung des Kaukasus, dessen Besitz Rußland nicht weniger als den kürzesten Weg nach Ostindien sichert.

Der Wichtigkeit Kaukasiens für Rußland angemessen, ernannte Kaiser Alexander seinen Bruder Michael Nikolajewitsch zum Statthalter des Landes. Der im blühendsten Alter stehende Mann (er ist am 25. October 1832 geboren und Gemahl einer Tochter des Großherzogs Leopold von Baden) ist General der Artillerie und Chef vieler russischer und auch österreichischer und preußischer Regimenter, genießt den Ruf hervorragender militärischer Ausbildung und Neigung und steht in diesem Augenblicke, wo es sich entscheidet, ob der alte orientalische Knoten aufgewickelt, oder mit dem Schwerte zerhauen werden soll, an der Spitze der russischen Kriegsmacht in dem von mohamedanischen Fanatismus bedrohten Kaukasus. Die hohe Stellung desselben wird, wenn die Kriegswürfel fallen, ihn auch für uns in den Vordergrund der Beachtung stellen.


Instinct oder Ueberlegung? In meinem Hause befindet sich eine Katze, der es ein besonderes Vergnügen gewährt, mit jungen Hunden zu spielen. Einer ihrer Spielcameraden war ein junger Metzgerhund der Nachbarschaft. Eines Tages trieben sie ihr Spiel auf der Landstraße (die unmittelbar vor den Fenstern des Beobachters vorbei führt), indem sich die Katze auf den Rücken legte, um den Angriff des Hundes zu erwarten, und ihn dann mit den Füßen zurückzuweisen, während diesem die Rolle zufiel, sie trotz ihrer Gegenwehr zu überwerfen. Schon mehrere, theils erfolgreiche, theils mißlungene Versuche hatte der Hund gemacht und sich eben zurückgezogen, um auf’s Neue seiner Gegnerin auf den Leib zu rücken, als ein Fuhrwerk in vollem Laufe daherkam. Wie er das sah, stand er von der Erneuerung des Kampfes ab, so sehr ihn die Katze, die offenbar keine Störung ahnte, durch Zappeln mit den Füßen und Aufrichten des Kopfes dazu einlud, suchte vielmehr durch ängstliche Geberden die Katze zu sich auf die Seite der Straße zu locken. Diese war so in das Spiel verloren, daß sie weder den auf dem Pflaster dröhnenden Hufschlag der sich mehr und mehr nähernden Pferde, noch die scheue Zurückhaltung des Hundes bemerkte. Da – noch haben die Rosse einen Schritt zu thun, um Mimi zu zertreten – stürzt sich ihr Spielgenosse wie wüthend auf sie los, packt sie und eilt unter den schon aufgehobenen Hufen weg mit ihr fort. Ich glaubte jedenfalls, sie habe unter den Zähnen das gefunden, was ihr durch Pferdefuß und Rad bestimmt schien. Doch nach kurzer Zeit kam sie wohlbehalten wieder daher. Der Hund hatte ihr also augenscheinlich das Leben nicht nur gerettet, sondern auch retten wollen.


Karl von Holtei, der bejahrte und so verdienstvolle Dichter, ist nicht, wie die meisten Literaturgeschichten und Conversationslexica angeben, am 24. Januar 1797, sondern am 24. Januar 1798 geboren, wie sein Taufschein unzweifelhaft erweist. Holtei wird darnach erst am 24. Januar 1878 achtzig Jahre alt, und wir hoffen, daß er diesen Tag, den das deutsche Volk, dem er so manche prächtige Gabe gegeben, nicht vergessen darf, noch mit freudeempfänglichem Herzen erleben wird.




Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das vierte Quartal und der vierundzwanzigste Jahrgang unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das erste Quartal des neuen Jahrgangs schleunigst aufgeben zu wollen.


Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig anstatt 1 Mark 60 Pfennig). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere.Die Verlagshandlung.     



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 864. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_864.jpg&oldid=- (Version vom 10.10.2023)