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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


„Der Leubinger!“ stöhnte er für sich und befahl schnell weiter zu fahren. Er glaubte in dem jungen Menschen den erschossenen Leubinger vor sich gesehen zu haben.

Bald jedoch war das vergessen – der Leibjäger lachte wieder wie gewöhnlich. Da wurde das Schloß zu Ansbach der Schauplatz einer grausigen That, noch grausiger, als die vor dem Wärterhause des Rüdenhofes.

Der Markgraf hatte den Hosenbandorden von Georg dem Zweiten von England erhalten, und als Souverän gegen Souverän beschloß er, seinem „Herrn Vetter“ in England seinen Orden, den brandenburgischen rothen Adlerorden in Brillanten, als Gegenpräsent zu verehren. Es müßte besser mit den ansbachischen Finanzen bestellt gewesen sein, hätte der Markgraf eines Hofjuden entbehren können; ohne Maitresse, ohne Porcellanfabrik und ohne Hofjuden gab es damals wenige Fürsten. Isaak Nathan hieß der Ansbachische; unter dem bescheidenen Titel eines Residenten war er in der That der Finanzminister des Ländchens. Als solcher sorgte er aber weniger für das Land, als für die Bedürfnisse des Hofes. Der sollte auch die Diamanten für den Orden besorgen und übergab das Geschäft einem Stammgenossen, einem gewissen Ischerlein. Der Orden ging an den König ab. Es vergingen Monate, ohne daß eine Danksagung des Königs erfolgte. Da man mit Curialien im vorigen Jahrhundert noch mehr als in unserer Zeit es genau zu nehmen pflegte, so schöpfte der Markgraf Verdacht. Durch seinen Residenten in London ließ er sich erkundigen und erfuhr denn auch, warum ihn sein königlicher Vetter keiner Antwort gewürdigt hatte. Die Diamanten waren falsch – Ischerlein hatte seinen Glaubensgenossen und den Markgrafen betrogen. Der Betrüger wurde auf das Schloß citirt, zugleich aber auch der Scharfrichter. In den Gemächern des Markgrafen wurde die Execution an dem Uebelthäter vollzogen. Als Ischerlein den Scharfrichter erblickt hatte, suchte er in seiner Todesangst von dem Stuhle aufzuspringen, aber an den Stuhl bereits angebunden, schleppte er denselben mit durch die Hälfte des Saales, bis er vom Scharfrichter erreicht wurde, der ihm den Kopf vom Rumpfe trennte.

Außer den betheiligten Personen waren nur der Markgraf und der Leibjäger bei der gräßlichen Scene zugegen. Das dumpfe Gerücht der Unthat verbreitete sich bald im ganzen Schlosse. Die Laute des Schreckens erstarben dem märkgräflichen Gesinde auf der Zunge. Wer konnte sich vor den wahnsinnigen Ausbrüchen des Wütherichs noch sicher glauben? Aus Angst wagte man nur noch, sich das Entsetzliche in’s Ohr zu flüstern.

Der Leibjäger lachte und noch auffallender, als je zuvor.

Der Markgraf glaubte Gerechtigkeit geübt zu haben, wenigstens schien ihm der Tod des Juden keine Gewissensbisse zu machen.

Unter dem Gesinde wie in der Stadt war die Sage im Schwange, Ischerlein ginge im Schlosse um.

Kurze Zeit darauf entließ der Markgraf eines Abends seinen Leibjäger mit folgendem Befehl: „Morgen früh um acht Uhr auf die Pirsche nach Herrieden zu! Vielleicht, daß einige feiste Hirsche unseres Herrn Nachbars, des Eichstädter Pfaffen, auf unserm Revier wechseln und wir sie ihm abschießen können.“

An der Thür wandte sich Martin Wendel mit der Frage an seinen Herrn:

„Und wen befehlen Ew. durchlauchtige Gnaden zur Begleitung?“

„Niemanden. Nur Du kommst mit – Du fährst mich.“

Es war ein schöner Herbstmorgen, als die Beiden in einem offenen Jagdwagen aus dem Schloßthore hinaus auf die Straße gegen Herrieden zu hinfuhren. Der Markgraf saß im Fond; der Leibjäger fuhr. Die Gewehre standen im Wagen. Sie mochten etwa zwei Stunden Wegs zurückgelegt haben, bis zum Anfange eines Forstes, der die Straße von beiden Seiten umfaßte. Es war eine Einöde, rings nur Wald, keine von Menschen bewohnte Stätte zu sehen, nur wüstes Bruchland nach der Richtung hin, wo der Wald einen Ausblick eröffnete, nach dem Grenzsteine, der ansbachisches und eichstädtisches Gebiet schied. Der Lenker des Jagdwagens hielt an.

„Ist den Pferden was?“ rief der Markgraf.

Der Leibjäger gab keine Antwort und stieg ab.

„So fahr’ doch in drei Teufelsnamen zu! Wir sind noch nicht zur Stelle. Dort, hart an dem Grenzsteine will ich die Jagd machen, den Pfaffenjägern vor der Nase.“

„Es geht nicht weiter,“ sagte der Leibjäger mit düsterem Blicke.

„Kerl, so sag doch an, was nur ist!“

Da erhob sich die Stimme des bisher so unterwürfigen Dieners befehlend; gebieterisch und dämonisch wie ein Schicksal stand er vor dem Gewaltigen.

„Es geht überhaupt nicht weiter mit Euch, Markgraf. Hier ist die Grenze Eures Gebietes und Eurer Thaten. Steigt aus.“

So gewaltig und so lähmend war der Eindruck dieser Worte und der Person des Sprechers, daß der Markgraf fast willenlos dem Befehle gehorchte.

„Kniet nieder, Markgraf!“

Bei diesem Befehle kam das Bewußtsein seiner Persönlichkeit und der Stellung, die dieser Knecht zu ihm einnahm, wieder in voller Klarheit über den Fürsten.

„Ha, elender Hund, was muthest Du Deinem Herrn zu? Dein Mund soll Niemandem verkünden, wozu Du Dich gegen mich vergangen hast. Schon die Kunde davon wäre eine ewige Schmach für einen Fürsten.“

Er griff nach einem der Gewehre, die im Wagen standen, und legte auf den Jäger an. Der aber lachte und rief:

„Dafür ist gesorgt – die Gewehre geben keinen Funken. Das hättet Ihr eher thun müssen, um Euch zu vergewissern, ob sie geladen sind.“

Dem Markgrafen trat der Angstschweiß auf die Stirn. Sprachlos starrte er den Leibjäger an, und dann stammelte er:

„Aber ich war immer so gnädig gegen Dich.“

„Ja, so gnädig,“ sagte der junge Mensch, „daß Ihr mir den Vater erschossen habt.“

„Leubinger?!“ schrie der zum Tode geängstigte Fürst. „Ja, Du bist’s – jetzt erkenne ich Dich wieder. Ist es Dein Gespenst?“

„Nein, aber ich bin Leubinger’s Sohn, und meinen Vater, den Jammer und das Elend meiner Mutter an Euch zu rächen, das habe ich mir geschworen. Darum bin ich in Euren Dienst getreten; darum habe ich meinen Namen geändert; darum habe ich Eure Gunst gesucht, darum Eure wahnwitzigen Ausbrüche ertragen und nur zu Allem gelacht, Alles nur für diesen Augenblick. Es ist Euer letzter, Markgraf.“

„Hülfe, Hülfe!“

„Sehet doch, ob Euch die Raben, die da oben fliegen, noch helfen können! Nicht doch. Die sind lüstern nach Eurem Aase. Kniet nieder und betet ein Vaterunser!“

Der Markgraf sah in der Hand seines Gegenübers den Lauf einer Pistole blitzen, welche dieser bisher verborgen hatte.

„Gnade, Gnade – sei gut!“ stammelte der Fürst von Neuem. „Ich will Dir ja Alles geben, was Du willst; ich will Dir’s nicht nachtragen, nur schone mein Leben!“

„Wie Ihr das meines Vaters geschont habt. Kniet nieder!“

Und der Fürst kniete nieder, den Todesmoment erwartend. Er sah die Mündung der Pistole vor sich, fünf Schritte vor sich, nach seinem Herzen zielend – aber der sie in der Hand hielt, drückte das Geschoß nicht ab.

„Macht es kurz, kurz!“ stöhnte der Markgraf. „Zielt gut!“

Unbeweglich stand der junge Mann vor ihm, die dunklen blitzenden Augen unverwandt auf ihn gerichtet, zu prüfen, ob er auch die rechte Stelle träfe und sein Opfer nicht fehlte. Dem Markgrafen verging das Bewußtsein.

„Nein, nein!“ rief der junge Mensch, „ich will Euer Blut nicht – das würde vor dem da droben mich nur belasten und Euch von Euren Missethaten entsühnen. Tragt selbst Eure Sündenschuld! Euer Leben sei Eure Strafe! Den Tod habt Ihr schon gehabt in der Angst um das Leben, und ich habe meine Rache, daß ich Euch bittend zu meinen Füßen gesehen habe. Wir haben uns zum letzten Male gesehen, Herr Markgraf.“

Er steckte die Pistole zu sich und schlug die Richtung ein, die über die Grenze in das Eichstädtische führt. – Man war im Ansbacher Schlosse sehr erstaunt, als der Markgraf allein mit seinem Wagen. zurückkam. „Wo war der Leibjäger geblieben?“ fragte man sich. „Der wird schon einmal draußen im Grase gefunden werden,“ lautete die Antwort. Diesmal aber that man dem Markgrafen Unrecht. Kurz darauf starb er. Man sagt, vor Aerger über die preußischen Soldaten, die ihm, dem gut österreichisch Gesinnten, sein Schwager, der König von Preußen, in’s Land geschickt hatte. Hier, in dem nach einer Thatsache Erzählten, ist eine bessere Erklärung. Der Markgraf hatte den Vorfall kurz vor seinem Tode seinem Beichtvater erzählt.

Georg Horn.     



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