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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Von künstlich getrockneten Blumen findet man mit Vorliebe verwendet: Pensées, Pelargonien, Rosen, Malven, Päonien, gefüllte Granaten, Rittersporn, Gartenwinden und Nelken, sodann wieder eine ganze Reihe der unvermeidlichen Compositen, wie gefüllte Zinnien, Astern, Marienblümchen, Kornblumen, Ringelblumen, Georginen, Wucherblumen, die niedliche Sanvitalia procumbens und viele andere.

Während in dem Bouquetmaterial mehrere Moosarten unserer Wälder, insbesondere das gemeine Astmoos, denen man verschiedene Nüancen zu geben versteht, die wichtige Rolle übernehmen, in den Gebilden der Bouquetbinderei an die Stelle des Laubes zu treten, Leerräume auszufüllen und die einzelnen Blumen auseinander zu halten, ist den Gräsern die nicht minder wichtige Aufgabe zugewiesen, zu lockern und die Contouren des Bouquets, des Kranzes etc. in angenehmer Weise zu unterbrechen, je lockerer aber, zierlicher und leichter ihre Aehren und Rispen gebildet sind, desto besser sind sie dieser Aufgabe gewachsen, und je geringer die Dimensionen eines solchen kleinen Kunstgebildes sind, desto luftiger muß die zur Lockerung gewählte Grasart sein. Diesem Zwecke entsprechen in ausgezeichneter Weise mehrere Straußgräser, wie Agrossis nebulosa und pulchella, deren niedliche, zu einer Rispe vereinigte, von haarfeinen Stielchen getragene Aehrchen wie leichter Nebel über der Blüthenfläche schweben, und die Rasenschmiele, deren Rispen an zierlichem Habitus und an Eleganz diesen Straußgräsern kaum nachstehen.

Diesem Material schließen sich die Blüthenrispen einiger nicht zu den Gräsern zählender Gewächse an, die der weißblühenden Hainsimse und des rispigen Gypskrautes, einer im Süden einheimischen, aber bei uns mit Erfolg cultivirten Staude.

Kaum minder elegant als die oben genannten Grasarten ist das Zittergras unserer Wiesen, dessen reizend gebildete Aehrchen gleich an Fäden ausgehängten Glöckchen durch den leichtesten Windhauch in Bewegung gesetzt werden, und das auch auf den Kalkhügeln Thüringens vorkommende Federgras, das in Ungarn Waisenhaar genannt wird und einen charakteristischen Zug der Pußtenpoesie bildet; dasselbe wird wegen der wehenden, zartfederigen, silberweißen Grannen der Blüthenspelzen für große Bouquets häufig benutzt und verleiht ihnen eine unnachahmliche Leichtigkeit und Grazie.

Dem Zittergrase in manchem Betracht ähnlich ist die Zittergras-Trespe, doch sind die rispig geordneten Aehrchen massiger und so schwer, daß sich die Rispenäste in graziösen Bogen abwärts neigen. Diese und viele andere Grasarten verschiedenen Charakters kommen entweder blos getrocknet und so, wie die Natur sie gegeben (naturell), oder gebleicht oder auch künstlich mit zarten oder lebhaften Farben ausgestattet zur Verwendung. Bisweilen werden diese Grasarten für sich, ohne Laub und Blumen, zur Ausstattung von Vasen benutzt.

Hiermit haben wir den Haupttheil des Materials zusammengestellt, aus welchem die verschiedenartigsten Kunstgebilde bereitet werden, welche Jahr für Jahr, hauptsächlich zur Herbstzeit, als wandernder Frühling in unglaublicher Menge nach allen Gauen Deutschlands, nach Oesterreich, Rußland, selbst nach Amerika an Händler versandt werden, Bouquets, Blumenkörbe, Blumenampeln, Blumentische, Tafelaufsätze, Geburtstags- und Trauerkränze, sowie Kreuze, Anker und Kronen als Symbole der Hoffnung, „die der Mensch noch am Grabe aufpflanzt“.

Wenngleich die Bouquetbinderei so wenig, wie die Anzucht und Bereitung des Materials sich auf Erfurt beschränkt, so giebt es doch keine andere Stadt Deutschlands, von welcher diese Artikel so massenhaft ausgeführt werden, wie von dieser. Dieser Industriezweig ist somit für jene Stadt in sofern von Wichtigkeit, als viele arbeitslustige Hände in ihm Beschäftigung finden beim Aufsuchen wildwachsender und beim Sammeln cultivirter Gräser, beim Schneiden und Trocknen der Blumen, beim Befestigen derselben an Draht und beim eigentlichen künstlerischen Arrangement, das schon eine mehrjährige Beschäftigung mit diesen Gegenständen, entwickelten Farbensinn und Geschmack voraussetzt.

Meistens sind es junge Mädchen, denen die verschiedenen Zweige der Bouquetbinderei anvertraut werden, und mit Recht, denn es bedingt ja die zartere Organisation des schönen Geschlechtes – und zu diesem rechnen sich ja auch wohl die Blumenmädchen – eine höhere Empfänglichkeit für sinnliche Eindrücke aus dem Gebiete des Schönen und darum ein feineres und unmittelbares Urtheil über Sachen des Geschmacks, während die meisten Männer erst auf dem Umwege der Reflexion zu einem solchen gelangen. Ueberdies ist das Gemüth des Weibes bei jenen Blumenarrangements unendlich mehr interessirt, als das des Mannes; Ballbouquet, Haarputz, Brautkranz – wie viel ahnungsvolles Herzklopfen, wie manche Paradieshoffnung, aber auch wie manche herbe Täuschung knüpft sich an diese kleinen Kunstgegenstände!

Die jungen Mädchen, welche in der Bouquetbinderei ihren Erwerb suchen, entstammen zwar fast ohne Ausnahme ärmeren Familien und entbehren daher selbstverständlich einer besonderen Bildung, dennoch eignen sie sich bald die nöthigen technischen Fertigkeiten, und die Begabteren durch mehrjährige Uebung meistens auch das an, was man feinen Geschmack nennt. Die geschmackvollsten Gegenstände dieser Art aber haben wir in der Hand von Damen mit echter Bildung entstehen sehen, von denen man annehmen durfte, daß ihr Herz noch im Vollgenusse des Jugendglückes und in poesievoller Weltanschauung schlüge. Ohne sich der Regeln der Kunst bewußt zu sein, schafft ihre Hand, gehoben durch ein sinniges Gemüth und ein fein organisirtes Auge, oft vollendet Schönes.

Der am meisten begehrte Artikel der Blumenbinderei ist ohne Zweifel das Bouquet. Man hat von demselben verschiedenartige Formen, je nachdem sie in Vasen gesteckt, in der Hand oder am Herzen getragen werden sollen. Leider aber sieht man in den Blumenläden nicht gar selten mißglückte, ja wahrhaft monströse Gebilde dieser Art. Die Kunst nimmt ihre Vorbilder aus der Natur; diese allein ist ihre erste und reinste Quelle. Es wird somit auch die Bouquetbinderei ihre Modelle in der Natur suchen müssen und findet sie in den zusammengesetzten Blüthenständen, den Cymen oder Doldensträußen, den Rispen, den wirklichen Dolden und anderen mehr oder weniger regelmäßigen Blüthenständen. Aber alle diese Blüthenstände bauen sich graziös und locker auf und lassen in ihren Zwischenräumen das Spiel des Lichtes und des Schattens zu. Betrachten wir dagegen die Bouquets, wie sie von manchen vermeinten Blumenkünstlern componirt werden, so finden wir in ihnen nichts weniger, als den Anschluß an die Natur, indem sie, abgesehen von den Contouren, eine festgeschlossene Blumenmasse darstellen, welche geradezu unschön und geschmacklos ist. Was aber die Zusammenstellung des Materials und seiner Farben anlangt, so leidet sie zu oft an Buntscheckigkeit und zu auffallender Regelmäßigkeit, die sich bisweilen sogar bis zur Darstellung concentrischer Ringe und sonstiger geometrischer Figuren, selbst bis zur Wiedergabe von Namenszügen. Wappen etc. versteigt. Letzteres allerdings auf Bestellung, wogegen sich ja selbstverständlich nichts einwenden läßt.

In neuerer Zeit verwendet man für Bouquets viele Kunstblumen und zur Anfertigung der letzteren bisweilen die heterogensten Dinge. Vor einer Reihe von Jahren waren in Paris in Folge des ungünstigen Sommers im darauf folgenden Winter Blumen selten und theuer. Zur Deckung des Bedarfes wurden unter Anderem Rüben zu Hülfe genommen, die sich unter geschickten Händen in reizende blumenartige Gebilde umwandelten. Kamellien wurden so täuschend aus dem weichen Material geschnitzt, Blättchen für Blättchen und so genau in Übereinstimmung mit der Natur, daß selbst ein im Anschauen solcher Blumenformm geübtes Auge getäuscht werden konnte. Diese Rübenblumen befestigte man an das Ende junger Zweige des Kirschlorbeers, welche in einiger Entfernung jungen Kamellienzweigen ähnlich sehen.

Welche Vollendung man aber in neuester Zeit Kunstblumen aus Seide oder ähnlichen Stoffen zu geben weiß, davon zeugten in der erwähnten Ausstellung zwei mit solchen Gebilden gefüllte Körbe, welche allgemeine Bewunderung hervorriefen.[1] – Wie hoch sich in Erfurt der Export von Erzeugnissen der Blumenbinderei beziffert, der hauptsächlich durch die Firmen N. L. Chrestensen, G. A. Schmerbitz und J. C. Schmidt repräsentirt wird, läßt sich auch nicht einmal annähernd angeben.

Die Unterhaltung eines solchen Ateliers erfordert aber nicht allein mancherlei Vorrichtungen zum Trocknen, Färben, Beizen und Schwefeln der betreffenden Pflanzentheile, sondern auch die Beschaffung der verschiedenartigsten Hülfsmittel, wie Kranzreifen, Gefäße und Gestelle für die zahlreichen Formen der Erzeugnisse der Binderei, Blumenkästchen und Körbchen aus allerlei Material,

  1. Aus dem Atelier von Wilhelm Boeck in Berlin.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 855. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_855.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)