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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Die Bouquetbinderei in Erfurt.

Es ist für das sinnige Gemüth ein großes Vergnügen, zu beobachten, wie ein erster unvollkommener Versuch, dem Bedürfnisse oder dem Luxus einen neuen Gegenstand des Verlangens zu bieten, die Mutter immer größerer Erfolge und immer höherer Ziele wird, wie dieser Gegenstand, einmal von der Speculation erfaßt und folgerichtig entwickelt, seiner Bestimmung mit jedem Tage mehr entspricht, und wie endlich der feine Geschmack die letzte Hand an ihn legt, um ihn in seiner Art zu etwas Vollkommenem zu machen. Aus den ersten schwachen Anfängen bildet sich eine neue Industrie heraus, wie der schatten- und fruchtreiche Baum aus dem winzigen Samenkorne.

Dieses Vergnügen, der allmählichen Entwickelung einer Industrie nachzugehen, ist natürlich um so größer, je näher der Beobachter ihren Ausgangspunkten gestanden. So wird derjenige Blumenfreund, der sich der ersten unbedeutenden Anfänge der Bouquetfabrikation erinnert und im September dieses Jahres in der Erfurter Ausstellung die Fülle und ästhetische Vollendung der Erzeugnisse derselben zu bewundern Gelegenheit hatte, in den zu beiden Seiten des Portals gelegenen Hallen ein doppeltes Interesse an diesem Industriezweige gewonnen haben.

Blumen bildeten wahrscheinlich den ersten und zugleich den natürlichsten Schmuck der Töchter Evas. Im Alterthume bekränzten sich die Gäste beim fröhlichen Mahle, ebenso die Opfernden; auch die Todten, die Mischkessel und die Becher bei Trinkgelagen wurden bekränzt, sowie bei besonderen Gelegenheiten Götterbilder, Häuser, Schiffe etc. In blüthenarmen Monaten wurden aus der Ferne Blumen, insbesondere Rosen, oft zu ungeheuren Preisen bezogen, und im alten Rom waren die Blumenmädchen für das Colorit des Straßenverkehrs ebenso charakteristisch, wie im modernen Paris.

Die Vergänglichkeit der Blumen führte wahrscheinlich schon früh zu dem Gedanken, dieselben bei der Bereitung von Kränzen und ähnlichen Gegenständen, denen man eine längere Dauer zu geben wünschte, durch Kunstblumen zu ersetzen, wie solche noch heute auf Damenhüten prangen. Dergleichen aus Seide, Papyrus oder aus anderen Stoffen gefertigte Blumen hat man nicht selten in Mumiensärgen aufgefunden.

Nicht minder wahrscheinlich ist es, daß schon in früheren Jahrhunderten die Aufmerksamkeit der Kranzbinder auf gewisse Blumen gelenkt wurde, die wegen der trockenen Beschaffenheit ihrer Blätter eine längere Dauer verhießen. Da aber bei der geringen Zahl von Arten der Formen- und Farbenkreis, in dem sie sich bewegen, ein sehr enger ist, so machte man von ihnen wohl nur einen beschränkten Gebrauch. Erst in neuerer Zeit kam man darauf, diesen Trockenblumen auf künstlichem Wege mannigfaltigere und lebhaftere Farben zu verleihen, und dadurch wurden sie und die aus ihnen bereiteten Kunstgebilde zum Gegenstande einer lebhaften Industrie und eines gewinnreichen Handels erhoben.

Wir geben gern zu, daß ein Strauß ausgetrockneter Blumen nichts anderes bedeuten kann, als ein Ersatzmittel für die frisch gepflückten duftigen Kinder des Frühlings. Aber jedes Surrogat, das für den von ihm vertretenen Artikel in Zeiten eintritt, in denen man diesen selbst nicht haben kann, ist zur Existenz vollberechtigt, und den Werth eingemachter Pfirsichen und getrockneter Kirschen lernt man erst in denjenigen Monaten schätzen, in denen die Natur uns frische Früchte versagt.

Als die wichtigsten unter den Materialien, mit denen die Bouquetbinderei arbeitet (wenn wir von frischen Blumen absehen), sind die Immortellen zu bezeichnen. Hierunter versteht man die schon erwähnten, der natürlichen Pflanzenfamilie der Compositen angehörigen Blumen, bei denen die Hüllkelchblätter des Blüthenköpfchens von trockenhäutiger und selbst rasseldürrer Beschaffenheit sind. Durch letztere ist ihnen, wenn sie kurze Zeit vor ihrer vollkommenen Ausbildung sammt den Stielen abgeschnitten und im Schatten getrocknet werden, eine mehr oder weniger lange Dauer gesichert; jener Name charakterisirt sie als Unverwelkliche, Unsterbliche.

Eine in unseren Gärten sehr häufig cultivirte Pflanze ist die Strohblume. Die Blumen der Stammform sind goldgelb, bei einigen ihrer Varietäten goldbraun, rosa oder purpurroth, und je intensiver diese Färbung ist, desto höher werden sie geschätzt, besonders wenn sie gefüllt, das heißt wenn mehrere Reihen der Hüllkelchblätter kräftig entwickelt sind. Durch Behandlung mit Säuren wird die Lebhaftigkeit der natürlichen Farben bedeutend erhöht. Die Blumen der weißblühenden Varietät aber werden verschiedenartig gefärbt.

In derselben Weise verfährt man mit der Papierblume, die für diesen Zweck gleich der Strohblume in vielen zum Theil dicht gefüllten Spielarten in Menge erzogen wird. Auch der ursprünglich weißen Blume der sogenannten Sand-Immortelle, einer neuholländischen Composite, versteht man die mannigfaltigsten Färbungen zu geben, wozu man sich meistens der Anilinfarben bedient; wir wollen jedoch nicht behaupten, daß diese Art von Schönfärberei immer ein angenehm in das Auge fallendes Product zu Tage fördert.

Eine andere für die Bouquetbinderei gern verwendete, jedoch nicht zu den Compositen gehörige Blume ist der Kugelamaranth. Hier ist es jedoch nicht die Blumenkrone, welche seine Schönheit ausmacht, ebenso wenig der winzige Kelch, sondern es sind die trockenhäutigen Deckschüppchen, welche den Kelch einhüllen und dem Blüthenköpfchen eine glänzend violette Farbe verleihen.

Zwei ausgezeichnet charakterisirte immortellenartige Blumen sind in Anbetracht ihres frischen Rosacolorits die nur in Haideboden gedeihende Rhodante Manglesii und das robustere Acroclinium roseum mit ihren zum Theil dicht gefüllten Formen, jene in Australien, diese in Texas einheimisch, beide aber außer einigen anderen Arten in den Blumistengärten und für die Zwecke der Bouquetbinderei häufig und in großer Menge gezogen.

Das wichtigste aber aller Materialien dieser Art ist ohne Zweifel die eigentliche Bouquet-Immortelle, welche im südlichen Frankreich, nicht fern von der Seeküste, in Massen gezogen wird und fast verwildert ist. Sie ist für die Bouquetbinderei um so werthvoller, als die Blumen kleiner und zierlicher gebaut sind, als die meisten übrigen Blumen dieser Kategorie, und deshalb ist sie zur Verwendung für Bouquets von kleineren Dimensionen wohl geeignet. Doch hat sie keine strahlenartig ausgebreiteten Kelchschuppen, wie die Strohblume. Diese Immortellenart wird jährlich in vielen Tausenden von Bunden in Deutschland eingeführt. Man bereitet sie für die Färberei vor, indem man sie mit kochendem Wasser überbrüht und sie dadurch eines Theiles ihres gelben Farbstoffes beraubt, oder man giebt ihr durch ein Chlorbad eine klare, weiße Farbe, wenn sie nicht gefärbt werden soll.

So ist nun in diesen und anderen immortellenartigen Blumen für die nöthige Mannigfaltigkeit der Farben ausreichend gesorgt, dagegen leiden sie an einer nur zu sehr in die Augen fallenden Übereinstimmung der Form, denn fast alle sind sie Compositen mit oder ohne Strahl.

Man sah sich deshalb bald genöthigt, das Material durch abweichende Blüthenformen zu vervollständigen. Es konnte dies aber nur dann geschehen, wenn es gelang, die Blumen dergestalt zu trocknen, daß allen ihren Theilen nicht nur mehr oder weniger ihr natürliches Colorit, sondern auch, zumal den Blumenblättern, die ihrem Gewebe eigenthümliche Spannung erhalten blieb.

Durch das Verfahren, nach welchem Pflanzen zur Aufbewahrung in Herbarien vorbereitet werden, war dieses Ziel nicht wohl zu erreichen, wohl aber dadurch, daß man die Blumen unter naturgemäßer Ausbreitung ihrer Theile in staubfreien Quarzsand (in einzelnen Fällen auch in Sägemehl) einschichtete und unter Glas und unter der Einwirkung der Sonnenwärme oder in einem mäßig erwärmten Raume langsam trocken werden ließ. – Nach vielen erfolglosen Versuchen fand man endlich auch die Mittel, die natürlichen Blüthenfarben zu befestigen oder unscheinbar gewordene wieder zu beleben. Aber es ist natürlich, daß das zu erzielende Product um so schöner ausfällt, je sorgfältiger die Blumen beim Trocknen, Schwefeln, Beizen etc. behandelt werden, Operationen, bei welchen, wie es scheint, jede Bouquetbinderei besondere Vortheile in Anwendung zu bringen weiß. Wir haben getrocknete Blumen gesehen, welche an Lebhaftigkeit des Colorits wie an natürlicher Haltung frisch abgeschnittenen Blumen in keiner Weise nachstanden, freilich auch andere, welche an eingeschrumpfte, mißfarbige Mumien erinnerten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_854.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)