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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 51.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.   Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Vineta.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)

Nach Tische befand sich das Ehepaar allein im Wohnzimmer; der Professor ging ganz gegen seine Gewohnheit auf und nieder. Er bemühte sich vergebens, eine innere Unruhe zu verbergen, und war so tief in Gedanken versunken, daß er gar nicht die Schweigsamkeit seiner sonst so lebhaften Frau bemerkte. Gretchen saß auf dem Sopha und beobachtete ihn eine ganze Weile. Endlich schritt sie zum Angriff.

„Emil,“ begann sie mit einer Feierlichkeit, die der Hubert’s nichts nachgab. „Ich werde hier empörend behandelt.“

Fabian sah erschrocken auf. „Du? Mein Gott, von wem?“

„Von meinem Papa, und was das Allerschlimmste ist, auch von meinem eigenen Manne.“

Der Professor stand bereits neben seiner Frau und ergriff ihre Hand, die sie ihm mit sehr ungnädiger Miene entzog.

„Geradezu empörend!“ wiederholte sie. „Ihr zeigt mir kein Vertrauen; Ihr habt Geheimnisse vor mir; Ihr behandelt mich wie ein unmündiges Kind, mich, eine verheirathete Frau, die Gattin eines Professors der Universität zu J. – es ist himmelschreiend.“

„Liebes Gretchen –“ sagte Fabian zaghaft und stockte dann plötzlich.

„Was hat Dir Papa vorhin gesagt, als Du in seinem Zimmer warst?“ inquirirte Gretchen. „Weshalb hast Du es mir nicht anvertraut? Was sind das überhaupt für Geheimnisse zwischen Euch beiden? Leugne nicht, Emil! Ihr habt Geheimnisse mit einander.“

Der Professor leugnete keineswegs; er blickte zu Boden und sah äußerst gedrückt aus – seine Gattin sandte ihm einen strafenden Blick zu.

„Nun, dann werde ich es Dir sagen. In Wilicza besteht wieder einmal ein Complot, eine Verschwörung, wie Hubert sagen würde, und Papa ist diesmal auch betheiligt, und Dich hat er gleichfalls mit hineingezogen. Die ganze Geschichte hängt mit der Befreiung des Grafen Morynski zusammen –“

„Kind, um Gotteswillen schweig’!“ rief Fabian erschrocken, aber Gretchen kehrte sich durchaus nicht an das Verbot; sie sprach ungestört weiter:

„Und Herr Nordeck ist schwerlich in Altenhof, sonst würdest Du Dich nicht so ängstigen. Was geht Dich Graf Morynski und seine Flucht an? Aber Dein geliebter Waldemar ist auch mit dabei, und deshalb zitterst Du so. Er wird es wohl gewesen sein, der den Grafen entführt hat – das sieht ihm ganz ähnlich.“

Der Professor war völlig starr vor Erstaunen über die Combinationsgabe seiner Frau; er fand, daß sie unglaublich klug sei, entsetzte sich aber doch einigermaßen, als sie ihm die Geheimnisse, die er undurchdringlich glaubte, an den Fingern herzählte.

„Und mir sagt man kein Wort davon,“ fuhr Gretchen in steigender Gereiztheit fort, „obgleich man doch weiß, daß ich ein Geheimniß bewahren kann, obgleich ich damals ganz allein das Schloß rettete, indem ich den Assessor nach Janowo schickte. Die Fürstin und Gräfin Wanda werden wohl Alles wissen; freilich die Polinnen wissen das immer – die sind die Vertrauten ihrer Väter und Gatten; die läßt man an der Politik, sogar an den Verschwörungen theilnehmen, aber wir armen deutschen Frauen werden von unsern Männern stets zurückgesetzt und unterdrückt; uns erniedrigt man durch beleidigendes Mißtrauen und behandelt uns wie Sclavinnen –“ und die Frau Professorin fing im Gefühl ihrer Sclaverei und Erniedrigung laut zu schluchzen an. Ihr Gatte gerieth fast außer sich.

„Gretehen, mein liebes Gretchen, so weine doch nicht! Du weißt ja, daß ich keine Geheimnisse vor Dir habe, sobald es sich um mich allein handelt, aber diesmal betrifft es Andere, und ich habe mein Wort gegeben, unbedingt zu schweigen, auch gegen Dich.“

„Wie kann man einem verheiratheten Manne das Wort abnehmen, seiner Frau etwas zu verschweigen!“ rief Gretchen immer noch schluchzend. „Das hat keine Geltung; das darf Niemand von ihm fordern.“

„Ich habe es doch aber nun einmal gegeben,“ sagte Fabian verzweiflungsvoll. „So beruhige Dich doch! Ich kann es nicht ertragen, Dich in Thränen zu sehen; ich –“

„Nun, das ist ja eine allerliebste Pantoffelwirthschaft!“ fuhr der Administrator dazwischen, der unbemerkt eingetreten war und die Scene mit angesehen hatte. „Meine Frau Tochter scheint sich hinsichtlich der Unterdrückung und Sclaverei doch in der Person geirrt zu haben. Und Du läßt Dir das gefallen, Emil? Nimm es mir nicht übel – Du magst ein tüchtiger Gelehrter sein, aber als Ehemann spielst Du eine traurige Rolle.“

Er hätte seinem Schwiegersohne nicht wirksamer zu Hülfe kommen können als durch diese Worte. Gretchen hörte sie kaum, als sie sich auch sofort auf die Seite ihres Mannes stellte.

„Emil ist ein ganz ausgezeichneter Ehemann,“ erklärte sie entrüstet, während ihre Thränen auf einmal versiechten. „Du brauchst ihm keinen Vorwurf zu machen, Papa; daß er seine Frau lieb hat, das ist nur in der Ordnung.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 849. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_849.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)