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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


bewähren, ist eine freudige Beruhigung für das öffentliche Bewußtsein, und um diese zu fördern, geben wir das erwähnte Urtheil kund.

In Nr. 22 des Jahrgangs 1874 brachte nämlich die „Gartenlaube“ unter der Ueberschrift, welche diese Zeilen führen, einige Nachrichten über die jammervollen Schicksale, von denen Landleute aus der Gegend von Stargardt in Westpreußen heimgesucht worden sind. Prospekte mit glänzenden Schilderungen und Verheißungen, die von einem Hamburger Hause (Louis Knorr u. Comp.) und einer Antwerpener Firma (L. Hermes) ausgingen, hatten dieselben mit Sehnsucht nach Brasilien erfüllt, wo ein glückliches Klima herrsche, die besten Früchte und Getreidearten in Ueberfluß vorhanden, dazu wohlversorgte Kirchen und Schulen und was noch Alles! Die brasilianische Regierung unterstütze die Einwanderer drei Vierteljahre lang und ertheile umsonst oder doch für wenige Silbergroschen bebautes und in unbeschränkter Menge unbebautes Land. „Und alle diese Herrlichkeiten sind zu haben, wenn man für den Kopf siebenzehn Thaler Passagiergeld zahlt.“ Ja, man erklärte sich mit fünf, selbst mit dritthalb Thaler für den Kopf oder fünf Thaler für die Familie zufrieden.

Was die bethörten Menschen dort finden, ist seitdem mehrfach zu haarsträubendem Entsetzen berichtet worden; jener Artikel der „Gartenlaube“ begnügte sich, das Elend, welches die Auswanderer unterwegs und in Brasilien heimsuchte, kurz anzudeuten, rein sachlich und ohne Erwähnung von Namen. „All dieses Elend“, hieß es zum Schlusse, „dem die Einwanderer schließlich“ (das heißt nachdem gegen hundertdreißig von etwa zweitausend Colonisten erlegen waren) „durch das Dazwischentreten des deutschen Consuls in Rio de Janeiro entronnen sind, haben jene Unglücklichen neben ihrer eigenen Leichtgläubigkeit zunächst dem speculativen Geschicke einiger deutschen Auswanderungsagenten zu verdanken. – Wollte man selbst den kaum denkbaren Fall annehmen, daß diese Expedienten von den eigentlichen Zuständen jener Colonien keine der Wahrheit gleichkommende Vorstellung gehabt hätten, so verdient wenigstens die Gewissenlosigkeit gebrandmarkt zu werden, mit der sie in’s Ungewisse hinein Versprechungen gaben, die zu erfüllen sie gar nicht versuchten.“

In diesen Worten wurde die Begründung einer strafgerichtlichen Verfolgung gesucht, welche Karl August Mathei, in Firma Louis Knorr und Comp., eines der Häuser, von denen die Auswanderungs-Prospecte ausgegangen waren, gegen den Verfasser des Artikels und gegen den Herausgeber der „Gartenlaube“ wegen Beleidigung und Geschäftsstörung erhob, indem er eine Entschädigungssumme von dreitausend Mark forderte.

Abgewiesen mit seiner Klage, betrat der Kläger den Weg der Berufung und, da auch das königliche Bezirksgericht zu Leipzig freisprechend entschied, den der Nichtigkeitsbeschwerde beim königlich sächsischen Oberappellationsgerichte, der für ihn gleichfalls erfolglos war.

Dieser höchsten Entscheidung, die wir im Hinblicke auf die große Bedeutung der Sache mittheilen, schicken wir einen kurzen Auszug der Gründe vorauf, aus denen das königliche Bezirksgericht die Berufung gegen das freisprechende Urtheil der ersten Instanz verwarf.

Das königliche Bezirksgericht tritt dem freisprechenden Erkenntnisse bei, weil sowohl dem Verfasser des Artikels wie dem Redacteur der „Gartenlaube“ es nur darum zu thun war, durch Veröffentlichung der gerügten Vorgänge eine Warnung vor Auswanderung nach Brasilien in weitesten Kreisen ergehen zu lassen. Wenn klägerischerseits bestritten wird, daß die Privatangeklagten aus irgend welchem Grunde zur Vertretung der Interessen unbekannter Mitmenschen berufen waren, so sei es allerdings in der Praxis anerkannt, daß eine allgemeine Befugniß, die Rechte Dritter zu beschützen, nicht existire, die Presse also nicht unbedingt unter dem Schutze des Paragraphen 193 des Reichsstrafgesetzbuches stehe; unter Umständen sei jedoch die Besprechung öffentlicher Angelegenheiten in der Presse als zur Wahrnehmung berechtigter Interessen geschehen zu betrachten. Der klägerische Einwand, daß die von einer größeren Anzahl von Auswanderern gemachten Aussagen den Wahrheitsbeweis, namentlich für den gesammten Inhalt des fraglichen Artikels nicht liefern können, sei hinfällig. Auch könne füglich dahingestellt bleiben, ob die beregten Zeugenaussagen den vollen Beweis für die in dem Artikel der „Gartenlaube“ erzählten Vorgänge liefern, denn sie reichen völlig aus, um den guten Glauben des Verfassers jenes Aufsatzes über jeden Zweifel zu erheben; insbesondere für den Herausgeber der „Gartenlaube“ sei dieser gute Glaube durch den Briefwechsel mit dem Verfasser erwiesen; endlich gehe aus der Form des Artikels und den begleitenden Umständen das Vorhandensein einer Beleidigung nicht hervor; der Verfasser hatte hinreichenden Grund, die gelegentlich amtlicher Handlungen gemachten Aussagen von Auswanderern für wahr zu halten, und sein Zweck war lediglich, durch Mittheilung der Schicksale jener Auswanderer vor der Auswanderung nach Brasilien zu warnen.

Auf die hiergegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nun das Erkenntniß ergangen, daß dieselbe zu verwerfen sei und der Privat-Ankläger auch die durch das Rechtsmittel verursachten Kosten zu erstatten habe.

Hier die Entscheidungsgründe, die wir im Auszuge mittheilen. „Wollte man auch die von dem Privat-Ankläger gegen das Erkenntniß erhobene Nichtigkeitsbeschwerde dem Verfasser des Artikels gegenüber durch den unangefochten gebliebenen Ausspruch der zweiten Instanz, daß bezüglich dieses Angeklagten eine Strafverfolgung wegen eingetretener Verjährung ausgeschlossen sei, nicht ohne Weiteres für erledigt ansehen, so erscheint doch das erwähnte Rechtsmittel beiden Angeklagten gegenüber unbegründet. Das angefochtene Erkenntniß stellt fest:

a) daß der Beweis der Wahrheit der in dem gerügten Aufsatze der „Gartenlaube“ behaupteten Thatsachen im Wesentlichen erbracht;
b) daß die Abfassung und Veröffentlichung des erwähnten Aufsatzes zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgt sei und
c) daß das Vorhandensein einer Beleidigung weder aus der Form des Aufsatzes, noch aus den Umständen, unter welchen derselbe veröffentlicht wurde, hervorgeht.

Alle diese Aussprüche, der unter c) wenigstens insoweit, als die Absicht, zu beleidigen, verneint wird, besitzen den Charakter thatsächlicher Feststellungen, und es bleibt unter den Voraussetzungen, auf welchen die erkannte Straffreisprechung beruht, für die Cassations-Instanz nur die Frage offen, ob das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form des gerügten Aufsatzes hervorgehe. Allein auch diese Frage ist zu verneinen, da keine der in dieser Richtung hervorgehoben Stellen Ausdrücke enthält, welche nach allgemeiner Auffassung schon an sich und unter allen Umständen, ohne daß es erst des Beweises beleidigender Absicht bedarf, als Beleidigung empfunden werden.

Hiernach und auf Grund der obenerwähnten bindenden Beweisannahmen erscheint die erkannte Straffreisprechung durchaus gerechtfertigt. Die eingewendete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen und in Folge dessen der Privat-Ankläger auch in Abstattung der durch dieselbe verursachten Gerichtskosten zu verurtheilen.“

Diese Urtheile, welche die Presse vor dem Knebel, der ihre Stimme zu ersticken drohte, glücklicher Weise bewahren, ergingen zu gelegener Zeit, denn ein durch zahlreiche belgische Journale bestätigtes Privatschreiben an die „Gartenlaube“ aus Antwerpen, 27. November 1876, erhebt die Warnung, daß wiederum eine Auswanderung nach Brasilien und Venezuela in Gang gesetzt worden ist, welche alle früheren an Bedeutung übertrifft, und fügt die Namen dreier Dampferlinien bei, welche in den Monaten Januar bis October dieses Jahres 3604 Auswanderer, meist deutsche und österreichische Polen neben wenigen Russen und Italienern, nach Südamerika beförderten. „Durch Circular,“ heißt es in dem Schreiben weiter, „wurde der Ueberfahrtspreis auf zweiundzwanzig Thaler bestimmt; in Antwerpen angekommen, sollen die Auswanderer fünfundfünfzig Thaler bezahlen. Oder die Leute treffen nicht zur Abfahrt des Dampfers ein, dann müssen sie liegen bleiben und gerathen in die bitterste Noth; augenblicklich liegen hier nicht weniger als siebenhundert preußische Polen, die am 20. November abfahren sollten; ein großer Theil ist ohne Mittel zum Leben und zur Ueberfahrt, sodaß die Antwerpener Behörden und die deutsche Gesandtschaft in Brüssel eingeschritten sind.“

Die Antwerpener „Gazette“ giebt nähere Mittheilungen darüber, welche von der dortigen „Opinion“ und anderen Blättern bestätigt werden. „Schon im vorigen Jahre,“ schreibt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 841. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_841.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)