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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

als wären sie mit ihrem fernsten Ende stationär geblieben, während der Stamm ein wenig um seine Längsachse gedreht wurde. Die hohen Wipfel sind unerreichbar für die nach Licht ringenden, den übrigen Wald sich erobernden Lianen, deren Netzwerk von Fäden, vielgewundenen und verwachsenen Stricken und Tauen bis zu mannsdicken Kabeln, auf und ab, von Baum zu Baum, von Ast zu Ast sich spannt und schlingt, oder, verderblich geworden durch seine Last für die einstigen Träger und Erhalter, in wirren Massen niederhängt.

Eine Schicht trockenen Laubes lagert auf dem mit offenem Unterholze bestandenen Boden; eingebettet in dieselbe modern die niedergebrochenen Hölzer, welche dort zu einem wüsten Haufwerke vereint liegen, wo einer der Riesenstämme im gewaltigen Sturze den ganzen Wald unter sich niedergeschmettert hat. Sie bieten willkommene Ansiedelungspunkte für niedere Pflanzenformen und für geschäftige Insecten, deren fremdartige, oft kunstvolle Bauten uns zum Untersuchen und Skizziren einladen. Geheimnißvolle Dämmerung, nirgends zur Dunkelheit sich steigernd, herrscht unter dem dichten Blätterdome, nur unterbrochen, wo durch eine Lücke im Laubdache das Tageslicht hereinströmt und in wunderbaren Reflexen spielt.

An solchen Orten gaukeln mit Vorliebe die Tagfalter des Waldes, welche auf dunklem Grunde vorwiegend mit schönem Blau oder mattem Gelb gezeichnet sind. Feuchter Dunst, beängstigend für den Menschen, zieht über dem Boden entlang, Modergeruch mit sich tragend, oft vermischt mit betäubendem Blumendufte. Dann fesseln wohl den suchenden Blick große und farbenreiche, phantastisch gestaltete Blüthen, welche einzeln oder in Trauben an einem der unscheinbaren „Buschtaue“ hervorgebrochen sind. Von ihnen gleitet das Auge zu dem glänzenden Grün einer Familie behaglicher Blattpflanzen und wird dann vielleicht wieder angezogen durch eine Colonie bescheidener, zierlicher Blumen, die man inmitten solcher verwirrender und grandioser Formen freudig, wie eine Erinnerung an die Heimath, begrüßt.

Das ist der Gallerie-Wald des Kuilu, der gleichmäßig die Uferleisten des Stromes und seine Inseln schmückt und an seinen Nebengewässern sich hinzieht, nur an letzteren unterbrochen, wo auf Lichtungen Scitamineen und Farne üppig wuchern, oder trostlose Papyrus-Sümpfe mit ihren typischen Vegetationsformen sich dehnen.

Und dieser Hochwald ist nicht so undurchdringlich und arm an Thierleben wie die verfilzten Gehölze der Savanen und die Buschwälder in den feuchten Thalsohlen um Chinchoxo. Im Gegensatze zu diesen und auch zu den durch viel größere Fülle und Mannigfaltigkeit der Pflanzenarten ausgezeichneten Tropenwäldern Amerikas und der Südsee-Inseln, gesellt sich im Galerie-Walde des Kuilu das Gleichartige mit Vorliebe zu einander und giebt ihm durch Raumvertheilung der Stämme, durch lichtes Unterholz annähernd den Charakter des deutschen Forstes. Der Sammler findet Raum zum Hindurchschlüpfen, zwar nicht immer mühelos, doch genügend für seine Zwecke. Dichte Bestände einer rankenden Blattpflanze, welche üppig wuchernd hier und dort das Buschwerk durchzieht oder gänzlich verdrängt, zwingen ihn, sich mit dem Messer Bahn zu schneiden; nicht immer gelingt es ihm, das Rascheln der harten Blätter, das Zurückschnellen der zähen Ranken zu vermeiden, und so verscheucht er nur zu häufig das gesuchte Wild. Gleich hinderlich für seine Jagdlust ist das grüne Gewölbe über ihm, welches das beschlichene Thier, das deutlich genug zu hören ist, doch hartnäckig verbirgt und, wenn es endlich einen Durchblick gestattet, ihn dasselbe vielleicht hoch oben auf einem der Alles überragenden Wipfel entdecken läßt, erreichbar höchstens für die Kugel, nicht aber für den Schrotschuß, der für solche Höhen machtlos ist – eine Thatsache, welche der Schütze, durch die ungewöhnlichen Formen um sich in seiner Schätzung beirrt, nur ungern und erst nach längerer Erfahrung würdigen lernt. Und wie schwierig ist es, ein herabgeschossenes Thier zu erlangen! Wie oft fällt dasselbe in dichtes Gezweig und ist, unerreichbar hoch hängen bleibend, für den Jäger verloren oder es entschlüpft, zählebig, wie das afrikanische Wild ist, selbst wenn es glücklich zur Erde niederfiel, noch unter der zugreifenden Hand.

Lohnender und müheloser ist die Jagd vom Wasser aus, im leise am Waldrande hingleitenden Canoe. An den selten mehr als mannshohen unterwaschenen Uferstrecken bieten Wurzeln, umgestürzte Bäume, einen brauchbaren Ausstieg[WS 1]; an flachen Rändern dagegen haben die Hippopotamus mit ihren massigen Leibern niedrige Tunnel durch den allzu dichten Saum des hier heckenähnlich auftretenden Ufergebüsches gebrochen, und ihre mehr oder minder tief in den Boden eingestampften Fährten zeigen, wo trügerischer Schlamm, wo fester Grund sich findet.

Das Rauschen der Zweige, das Brechen eines dürren Astes, auch Töne des Wohlbehagens, oft unterbrochen von Gezänk, verrathen dem Eingeweihten die Nähe einer der häufigen Affenschaaren, deren Angehörige, lustig kletternd und springend, zuweilen in den gewagtesten Stellungen an den dünnsten Zweigen hängend, sich an leckern Früchten laben. Es verlangt viel Uebung, daß das Auge geschickt wird, zwischen den Laubmassen die schmausenden Langschwänze zu erkennen, und nur zu oft künden halb ängstliche, halb zornige Warnungsrufe an, daß die scheuen, sehr aufmerksamen Thiere ihren Feind schon entdeckt haben und sich mit hurtigen Sprüngen aus dem Bereiche der Feuerwaffe bringen, oder sich zwischen schützenden Blättern ganz still verbergen. Höchst drollig erscheint eine solche Flucht, wenn ein größerer Affenschwarm überrascht wird, welcher sich auf einem isolirt stehenden, gewöhnlich auch noch blätterlosen Baume zu irgend einem dem Menschen unverständlichen Zwecke versammelt hat. Pfeifend und zeternd springen die entsetzten Kletterer durcheinander; finden sie nicht genug rettende Zweige, von denen sie schnell zu benachbarten gelangen, auch keine Liane, an welcher sie in langer Reihe niedergleiten können, so werfen sie sich in höchster Noth, platt ausgestreckt, auf gut Glück von der Höhe hinunter. Die Fliehenden schauen, trotz ihrer Angst, von Ranken und Gezweig oft possierlich zurück und fallen, bei einem raschen Schützen, noch ihrer Neugier zum Opfer, eine willkommene Zugabe für die Speisekammer des Lagers bildend. Freudiger noch ist die Aufregung im Lager, wenn ein größeres Stück des selteneren Wildes, eine Antilope, ein Schwein, ein Büffel der sichern Kugel erlegen ist, und der Lärm wächst im directen Verhältniß zur Masse, wenn ein Hippopotamus eingebracht wird. Zwar ist die Aufgabe keine leichte, und es erfordert große Anstrengung, die riesige Beute, wie es meistens nothwedig ist, aus dem Wasser auf das Trockene zu schaffen, aber die Schwarzen arbeiten mit fröhlichem Eifer; häuft sich doch nun wieder für sie ein Fleischberg an, welcher, auf primitiven Holzrosten geräuchert, nicht nur für viele Tage ein unbeschränktes Kochen und Braten in Aussicht stellt, sondern auch durch klugen Tauschhandel mit aus oft entlegenen Dörfern herbeieilenden Negern das Erwerben vieler begehrter Dinge ermöglicht.

Wer die Hippopotamus, trotz aller Warnungen, trotz der allgemein verbürgten Gefährlichkeit eines solchen Beginnens, nach echter Jägerart ausnahmslos zu Wasser, und häufig nur in kleinen, morschen Canoes mit Erfolg angegriffen hat, wo immer er sie angetroffen, ohne umgeworfen und zerbissen zu werden, der erkennt wohl, daß sie nur selten so grimmig und böswillig sind, wie die phantastische Fama sie schildert. Er kann sich bald auf seine anfangs ängstlichen Leute verlassen. Diese haben Vertrauen und Zuversicht gewonnen, und vertrauter geworden mit der Führung des Canoes in Momenten der Gefahr, spähen sie scharf aus und rudern furchtlos hinan, wo immer die mächtigen Häupter der wasserliebenden riesigen Grasfresser sich emporheben. In ihrer ungeschlachten Form, auf der weiten Wasserfläche emportauchend, verschwindend, wieder erscheinend, immer kluge Umschau haltend, schnaufend und grunzend die kleinen Ohren schüttelnd, bilden letztere eine charakteristische, fast „fossil“ zu nennende Staffage vieler afrikanischer Gewässer. Wem das Glück geworden ist, am hellen Tage Gruppen dieser Thiere mit halbem Leibe über Wasser auf den Sandbänken des Stromes in ihren ungestümen Spielen und wüthenden Kämpfen zu beobachten, der muß glauben, eine Episode aus der Vorzeit der Erde geschaut zu haben. Mehr noch als der Wal, dem sie in ihren Bewegungen ähneln, als Elephant und Rhinoceros, erscheinen diese Kolosse als die auf wunderbare Weise lebend erhaltenen Reste einer längst vergangenen Periode, von deren Fauna und Flora nur der Schooß der Erde noch stille Zeugen birgt.

Ein anderes eigenartiges Thier, eine Seekuh (Manatus), hält sich fern der Mündung und vom Meere in den Nebengewässern

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Aussteig
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 839. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_839.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)