Seite:Die Gartenlaube (1876) 830.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


spielen sollte. Mit einigen Abhandlungen erregt er bald darauf Aufmerksamkeit, und als er 1823 nach Prag übersiedelt, tritt er bereits als hervorragendes Mitglied in jenen Kreis czechischer Gelehrter, welcher es sich zur Aufgabe machte, durch literarisches Streben dafür Sorge zu tragen, daß der slavische Stamm in Böhmen nicht völlig aussterbe und in dem von allen Seiten andrängenden deutschen Culturelemente aufgehe. Diese Verbindung war keineswegs von imponirendem Eindrucke. An ihrer Spitze standen Jungmann, Schafarik, Hanka, Dobrowsky, Geistliche und kaiserlich-königliche Staatsbeamte, welche in scheinbar harmlosen linguistischen Spielereien, in unschuldigen Uebersetzungen oder höchstens Nachbildungen deutscher Richtung ihre schriftstellerische Aufgabe sahen. Die Regierung förderte das Streben. Sie, die in Frankfurt am deutschen Bundestisch mit ängstlicher Sorgfalt die deutsche Führerschaft bewachte, wollte in Oesterreich keine durchgängig deutsche Bevölkerung. Die deutsche Sprache sollte wohl die amtliche Sprache des Reiches sein, aber ein deutsches Volk, welches vom Riesengebirge bis zur Adria das Reich bewohnt hätte, schien den Machthabern jener Tage unbequem und gefährlich. Man sperrte die Grenze ängstlich ab, daß der deutsche Geist ja nicht eindringe, und man förderte die Stammesregungen der Nationen und Natiönchen, die inmitten der Deutschösterreicher die Bevölkerung der alten Erbländer bildeten. Die politischen Kämpfe unserer Tage, in welchen man so oft zu schwach gewesen, die nationalen Geister zu bannen, welche vor Jahren gerufen wurden, haben das Unglückselige dieser Politik in ernster Weise hervortreten lassen. In Prag legte sie zu Beginn der zwanziger Jahre den Grundstein zu Palazky’s Zukunft, denn auch er fand die Protection des Metternich’schen Regimes und fand sie selbst dann, als mit einem Male die czechische Literaturströmung eine andere Richtung nahm.

Der junge Historiker, der, um den Adel zu gewinnen, kleine Geschichtswerke über die Entwickelung böhmischer Adelsfamilien veröffentlichte, führte nämlich einen neuen Geist in die Kreise seiner slavischen Mitkämpfer. Dieser Geist war erfüllt vom Hasse gegen das Deutschthum. In Zukunft, so predigte Palazky, sollten die czechischen Werke getragen sein von dem Gedanken, daß die deutsche Cultur nur die Unterdrückung für das slavische Element in Oesterreich bedeute und daß es Rettung für den czechischen Stamm, der inmitten deutscher Erde gelegen sei und eine Art insularer Lage habe, nur dann gebe, wenn er sich selbstständig mache, statt in der Verbindung mit Deutschland eine Wechselbeziehung zu den übrigen slavischen Stämmen zu suchen. Daß diese minder cultivirt waren, schien Palazky nur von Vortheil. Die Czechen, erfüllt von deutscher Bildung, aber geistig tief unter den Deutschen stehend, hatten ja hierdurch Gelegenheit und Element zu einer Führerrolle. Die Keime des Panslavismus wurden gelegt. Unter den Augen der Wiener Machthaber ist dies geschehen. Ja mehr noch! Die Regierung schwieg, als Rußland die slavischen Geistesritter mit Orden und Hülfsgeldern lohnte; wie hätte auch der österreichische gefürstete Kanzler hierin einen Landesverrath erblicken können, er, welcher – allerdings nicht ohne kaiserliche Bewilligung – alljährlich eine Apanage von der Newa bezog!

Palazky’s Wirken blieb bei der Umwandlung der czechischen Literaturbestrebung nicht stehen. Sein deutschfeindliches Streben suchte weitere Erfolge. Das Museum, von einem Adeligen deutschen Geistes, vom Grafen Sternberg, dem Freunde Goethe’s, gegründet, wurde czechisirt; die Museumszeitung, deren Redaction man Palazky übertrug, wurde, gegen die Bestimmung ihrer Gründer, nur in czechischer Sprache publicirt und zum Mittelpunkte der Bestrebungen des rührigsten Agitators der Czechen gemacht. Die Stände, ohne Ahnung der Bedeutung derselben, bestellten Palazky zu ihrem Geschichtschreiber. Als solcher publicirte er 1836 den ersten Band seiner böhmischen Geschichte. In Deutschland, wo man, wie im böhmischen Ständesaale, nur das gelehrte Werk, nicht dessen Tendenz, beachtete, wurde das Buch des jungen Protestanten mit allen Ehren begrüßt. Ein evangelischer Historiker aus Oesterreich war eine neue, ja sympathische Erscheinung; war man doch nur zu sehr gewohnt, in diesem Lande nur eine clerikale Gilde von Geschichtsschreibern sich entwickeln zu sehen. Palazky dankt seinem Glauben, welcher ihn später nicht gehindert hat, sich bedingungslos dem clerikalen Heerbanne anzuschließen, ein gut Theil der Anerkennung, welche jene ersten geschichtlichen Veröffentlichungen in Deutschland gefunden. Zu lange hat dieselbe allerdings nicht gewährt. Schon in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre tönten warnende Stimmen vor dem fanatischen Geiste, welchen Palazky’s Schriften enthalten, und später enthüllte Hoffmann von Fallersleben die tendenziöse Weise, in welcher Palazky die Resultate seiner Forschung nützte. Waren sie den Deutschen günstig, so verschwieg er sie einfach. „Ein den Deutschen günstiges Actenstück existire einfach nicht für ihn,“ meinte er selbst.

Palazky, welcher anfangs ziemlich vorsichtig für seine Bestrebungen eintrat, konnte jetzt so muthig sein, dies deutlich auszusprechen. Der Kreis seiner Partei hatte sich nämlich im Laufe weniger Jahre mächtig erweitert. Das Literaturvölklein an der Moldau hat mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit ein Volk von Lesern geschaffen. Palazky’s agitatorisches Talent leistete Allen voran das Höchste. Ein Verein für Literaturzwecke, „matice“ (Bundeslade) benannt, wurde in’s Leben gerufen, um die Schriften der jungen czechischen Literaten zu ediren und zu verbreiten. Die Behörde verbot den Verein. Palazky’s Einfluß erwirkte Aufhebung des Verbotes. Von Haus zu Haus gingen Sammler, um Gelder für den Literaturverein zu fordern. In Dörfern und Städten wurden Concerte, Tanzkränzchen zu seinen Gunsten veranstaltet; in den Wirthshäusern predigten Sendboten, daß zum Vortheile der „matice“ ein „Bierkreuzer“ von jedem Tranke dem nationalen Zwecke geopfert werden solle. So verstand es ein für die Production wenig, für die Agitation desto reicher begabter Kopf binnen Kurzem, eine, wie es schien, todte Nation wieder zu erwecken und seinen politischer Plänen Tausende von Anhängern und Gläubigen zu sichern.

Nie wäre dies möglich gewesen, hätte Palazky nicht den niedrigsten nationalen Racenstandpunkt vertreten, hätte er nicht in Wort und Schrift dem Hasse gegen das den Besitz und die höhere Bildung Böhmens vertretende deutsche Element den entschiedensten Ausdruck gegeben. „Welch eine Nation!“ ruft er einmal aus, als er die Verbannung von Germanismen aus der Sprache seines Volkes empfiehlt, „sie hat für die zwei höchsten Begriffe keine selbstständige Bezeichnung. Der Deutsche muß Fremdwörter brauchen, wenn er von seiner Nation und seiner Religion sprechen will!“ Wie in dieser Bemerkung, hat es Palazky immer verstanden, dem gläubigen Sinne des Clerus zu schmeicheln. Als Lohn hierfür hat die Kirche von Pfarre zu Pfarre, von Kanzel zu Kanzel ein Heer von Agitatoren geschaffen, welche Mitstreiter bei dem nationalen Werke Palazky’s wurden. Aber auch den Adel wußte der rührige Volksbeleber für seine Zwecke zu gewinnen. Je kläglicher sich das nach den Schrecken der Schlacht am weißen Berge gewährte Ständerecht präsentirte, desto eindringlicher verstand es Palazky, den böhmischen Adelsgeschlechtern die Theorie mundgerecht zu machen, daß es doch ein Landesrecht gebe, ein Recht, welches dem Adel eine bevorzugte, ja, die erste Stelle sichere, falls er mitwirken wolle, daß die Selbstständigkeit Böhmens wiederhergestellt würde. Bis an sein Lebensende war Palazky bemüht, für dieses sogenannte Landesrecht zu kämpfen. Er hat ein Lügengewebe historischer Beweismittel ersonnen, um den Gedanken glaubhaft zu machen, daß die Armeen Bouquoi’s, des baierischen Maximilian und Tilly’s am weißen Berge die Selbstständigkeit Böhmens nicht in blutgetränkte Erde gestampft hätten, sondern daß jene Selbstständigkeit rechtmäßig in unseren Tagen wieder aufleben und die Herrschaft des czechischen Elementes über das deutsche im Lande ermöglichen müßte.

Als 1848 der „Völkerfrühling“ unter Wettern und Stürmen über Oesterreich kam, hatte Palazky erst nur einen Gedanken, daß die Selbstständigkeit Böhmens rechtlich neu begründet werden solle. Böhmen als Domäne seiner Stammesgenossen zu sehen, genügte ihm nicht mehr. Er wollte, daß aus dem Leibe des Reiches ein neuer Körper gerissen würde: die Länder der böhmischen Krone. Böhmen sollte mit Mähren und Schlesien vereint werden und in diesem neuen Gebiete sollten natürlich die Deutschen Amboß, die Czechen Hammer sein. Ein Stück nationalen Socialismus lag in dieser Politik, und die czechischen Massen theilten in ihren Träumen bereits Gut und Reichthum der vogelfrei gewordenen Deutschen. Um Palazky zu gewinnen und von seinen reichsgefährlichen Ideen abzubringen, bot man ihm ein Portefeuille in dem damaligen Ministerium Pillersdorf. Er ging nach Wien, um zu unterhandeln. Ein Aufschrei der Entrüstung empfing ihn. Er reiste bebend vor dem empörter Wiener Volksgeiste ab.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 830. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_830.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2021)