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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

ebenso hart treffen, als wenn er selbst vor dir läge, während er doch oft viele Meilen von dem Orte weg ist.“

Wo man das Original nicht haben kann, da thut es das Abbild. Der Mond ist, wie bemerkt, gegen Allerlei gut, gegen Gicht und Kopfschmerz, Sommersprossen und Warzen, Kröpfe und Zahnweh. Warum sollte er nicht auch gegen bösen Zauber, gegen Behexung und gegen den neidischen Blick schützen, der schon so viel Schaden angerichtet hat? Gewiß wird das so sein, sagten sich schon die alten Griechen, und da sie den Mond nicht immer sahen und ihn auch nicht bei sich tragen konnten, so machten sie sich kleine Mondchen von Metall, „Meniskoi“, die sie ihren Kindern umhingen, um sie gegen das Beschreien und namentlich gegen das „zauberhafte Auge“ zu sichern. Die Römer bedienten sich dieses Amulets ebenfalls, und zwar trugen, wie Otto Jahn berichtet, bei ihnen auch Frauen und Pferde diese „Lunulae“ an einer Schnur oder einem Bande um den Hals. Die Sitte aber ist in Italien und im Morgenlande noch heute nicht ausgestorben; denn noch jetzt glänzt der Talisman des Halbmondes auf den Minarets und den Feldzeichen der Türken, und noch vor wenigen Jahren trugen neapolitanische Damen silberne Mondchen am Arme, um gegen die Epilepsie geschützt zu sein, die allenthalben vom Volke als etwas „Angethanes“ angesehen wird.




Der letzte Blick dem liebsten Grab.

Mit Abbildung.

Der letzte Blick dem liebsten Grab!
Das ist mein schwerstes Scheiden.
Im Arme all mein Gut und Hab,
Im Herzen Lieb’ und Leiden,

5
So folg’ ich Arme dem Geschick,

Auf’s liebste Grab den letzten Blick.

Dort liegt mein Alles in der Welt,
Mein Leben und mein Lieben.
Ich hab’ kein Herz mehr, das mich hält;

10
Kein Heim ist mir geblieben,

Es weinet Niemand, daß ich geh’ –
Und doch thut mir das Scheiden weh’.

Dir bleibt mein Sehnen zugewandt,
Wo auch ich wandeln werde, –

15
Ade, du einzig Fleckchen Land,

Das mein ist auf der Erde!
Nimm’ hin, was ich für dich noch hab’:
Den letzten Blick dem liebsten Grab.

Fr. Hfm.


Ferienstudien am Seestrande.

Von Carl Vogt.
3. Gäste oder Schmarotzer?

Man kann kaum einen größeren Stein an dem Strande von Roscoff umwälzen, ohne auf seiner Unterfläche eine zahlreiche Bevölkerung seßhafter Wesen zu finden, unter welchen sich die Seescheiden (Ascidiae) vor allen auszeichnen.

Warum, aus welchem Grunde und zu welchem Zwecke die Natur, die nach der allgemeinen Anschauungsweise ein Bild der größten Zweckmäßigkeit bietet, die Seescheiden erschuf, ist mir bis jetzt nicht völlig klar geworden. Ich habe vergebens um Belehrung darüber in den Büchern nachgeforscht, und aus dem eigenen Gehirne einen vernünftigen Gedanken zur Beantwortung dieser Fragen herauszudestilliren, ist mir bis zur Stunde nicht gelungen. Welchen Zweck kann eine Bestie haben, die am Steine festsitzt, in einen Holzmantel gehüllt ist und in deren Inneres zwei Oeffnungen führen, durch deren eine Wasser hinein strömt, um durch die andere wieder ausgespritzt zu werden?

„Das soll ein Thier sein?“ fragt der Laie, dem man an der Unterseite eines Steines einen fleischrothen, knorpelharten Körper zeigt, der nicht die mindeste Bewegung gewahren läßt und zuweilen über und über mit kleinen Meerthieren aller Art besetzt ist, Polypen, Schnecken, Moosthieren, Wurmgehäusen und ähnlichem Zeuge, wie es auch auf dem Steine selbst angewachsen ist – „das soll ein Thier sein? Dann bin ich eine Pflanze oder ein Stein.“ „Gewiß ist es ein Thier,“ antworte ich, „und zwar die blutige Seescheide (Ascidia sanguinea). Sie sollen sofort sehen, daß ich Recht habe.“ Das Breitmesser wird hervorgeholt, zwischen den Körper und den Stein eingeschoben und mit raschem Stoße hart an dem Felsen hingeführt. Das glatte Ding ist losgelöst, ohne daß sich eine Regung gezeigt hätte, und wird in das Gefäß mit Seewasser geworfen. Wir sammeln etwa ein Dutzend, treten damit den Heimweg an, und zu Hause angekommen, werden die bewegungslosen Körper in ein flaches Aquarium gelegt, in welchem sie gerade vom Wasser bedeckt sind, das in lebhaftester Strömung erhalten wird.

Nach einigen Stunden treten wir zu dem Becken. Auf jedem der beinahe handlangen, drei Finger breiten Körper gähnen zwei Oeffnungen, die in einen tiefen Abgrund zu führen scheinen. Der Freund beugt sich darüber hin, um genauer in das Loch hinein zu schauen. In demselben Augenblicke berühre ich dasselbe mit einem Glasstabe. Der Körper zieht sich mit Energie zusammen; ein Wasserstrahl schießt, wie aus einer Spritze, heftig hervor und trifft den Freund in das Gesicht, der erschrocken zurücktaumelt. „Glauben Sie noch immer, es sei kein Thier?“ Er wischt sich die Augen, die vom prickelnden Seewasser thränen, und besteht darauf, daß ich ihm die Organisation der räthselhaften Bestie näher auseinandersetze. Wir nehmen einen der Spritzer heraus, führen ein Scheerenblatt in die vordere Oeffnung, trotz des lebhaften Widerstandes, mit welchem das Thier dieselbe zusammenkneift, und spalten den Körper der Länge nach auf.

Die äußere Hülle, der sogenannte Mantel, ist bei dieser Art knorpelhart, halb durchscheinend, röthlich gefärbt und von carminrothen Aederchen durchzogen. Zugleich mit dem Mantel, der aus einem der Holzsubstanz (Cellulose) ähnlichen Stoffe zusammengesetzt ist, habe ich durch den Schnitt, der von der Einführungsöffnung ausgeht, einen dem Mantel innen anliegenden, weiten häutigen Sack aufgeschlitzt, der eine gelbliche Farbe hat und von einem Gitterwerke durchzogen ist, das einem feinen, aus parallelen Fäden gebildeten Siebe ähnlich ist, welches hie und da durch stärkere Längsfäden und Falten gestützt wird. Es ist der Kiemensack – die Gitterspalten sind feine Oeffnungen, mit Flimmerhaaren besetzt, welche einen beständigen Wasserstrom unterhalten, der durch die Oeffnungen hindurch in einen zweiten Raum, den Cloakenraum, streicht und dann durch die zweite äußere Oeffnung, die Cloakenöffnung, nach außen befördert wird. Der Kiemensack nimmt wenigstens vier Fünftel des ganzen inneren Körperraumes ein – unter und hinter ihm sind die übrigen Eingeweide zusammengedrängt. Ich zeige dem Freunde den schlingenförmig gewundenen, braun gefärbten Darmcanal, der tief im Grunde des Kiemensackes mit einem schlitzförmigen Maule beginnt, sich zu einem mandelförmigen Magen erweitert und schließlich in die Cloakenhöhle öffnet; ich zeige ihm hinter und unter dem Darme das schlauchförmige Herz, das, mit farbloser Flüssigkeit gefüllt, seine wellenförmigen Zusammenziehungen bald von rechts nach links, bald, nach kürzerem Stillstande, von links nach rechts umtreibt; ich zeige ihm, um den Darm herum, den Knäuel, in welchem die Fortpflanzungsorgane mit der Leber zusammengewickelt sind, und führe ihm endlich unter dem Mikroskope die Eier vor, welche in dem Eileiter nach dem Cloakenraume geführt werden, um später als Larven mit beweglichen Schwimmschwänzen ausgestoßen zu werden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_810.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)