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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


diesem Mineralwasser gefährlich sein? Kennen wir etwa noch nicht die mineralischen Bestandtheile desselben? Sollte die Chemie in der That noch auf einem so niedrigen Standpunkte stehen, daß sie nicht im Stande wäre, bis jetzt uns den chemischen Charakter des Mineralwassers aufzuschließen? Ich könnte leider einen sehr namhaften belletristischen Schriftsteller nennen, der dieses in Wahrheit noch glaubt. Dabei kann man indeß nur mit den Achseln zucken, wenn das Vorzeigen der schon so oft gemachten chemischen Analysen nicht überzeugend wirkt. Den Belehrungsfähigen aber fragen wir: Welcher der in der Analyse aufgezählten chemischen Bestandtheile ist denn beim Einzelgenuß etwa gefährlich? Ist es das schwefelsaure Natron (Glaubersalz), das in größter Menge vorhanden? Ist es das kohlensaure Natron, welches der Menge nach die zweite Stelle einnimmt und bekanntlich den Hauptbestandtheil der Brausepulver bildet? Oder ist es etwa das Kochsalz, der der Menge nach dritte Bestandtheil? Oder der kohlensaure Kalk und die kohlensaure Magnesia, welche wir täglich mit jedem Trinkwasser in vielleicht ebenso großer Menge genießen? Oder einer der in nur äußerst geringen Mengen vorhandenen übrigen mineralischen Bestandtheile, als da sind: das Eisen, die Kieselerde, Thonerde, Strontian, Mangan? Oder endlich einer der in fast homöopathischer Verdünnung vorhandenen Stoffe, wie Iod, Brom, Lithion, Borsäure, Rubidium und Cäsium? Oder ist es etwa das darin vorhandene kohlensaure Gas, das uns im Champagner und den Sodawässern so trefflich mundet?

Möglich ist es ja, daß durch den übermäßigen Gebrauch einzelner der genannten mineralischen Bestandtheile, wie z. B. des kohlensauren Natrons, mit welchem in der That häufig Mißbrauch getrieben wird, nachtheilige Wirkungen entstehen können, aber diese genannten Bestandtheile werden nicht nur mit der täglich gewöhnlich getrunkenen Menge des Karlsbader Mineralwassers, sondern selbst für den Verlauf einer vierwöchentlichen Cur berechnet, in relativ so geringer Mengen genossen, daß sie dadurch unmöglich nachtheilig wirken können, abgesehen davon, daß ein großer Theil derselben, ohne in die Säftemasse aufgenommen worden zu sein, täglich mit den Excrementen wieder ausgeschieden wird. – Berechnen wir die Wassermenge, die ein Curgast täglich trinkt, zu acht Bechern (die meisten trinken jetzt sogar nur vier bis sechs Becher) und den Becher gleich sechs Unzen[1], so beträgt die Menge der in einem Tage consumirten festen Bestandtheile (d. i. drei Pfund Mineralwasser, wovon ein Pfund zweiundvierzig Gran feste Bestandtheile enthält) zwei Drachmen und sechs Gran, mithin in dreißig Tagen (d. i. die gewöhnliche Curzeit) sieben Unzen und sieben Drachmen. – Davon vertheilen sich die einzelnen Bestandtheile (in runder Zahl berechnet) nahezu in folgender Weise. Man consumirt

schwefels. Kali in 1 Tag 4½ Gr., in 30 Tg. – Unz. 2 Dr. 15 Gr.
schwefels. Natron „ 1 „ 54 „ „ 30 „ 3 „ 3 „ – „
kohlens. Natron „ 1 „ 30 „ „ 30 „ 1 „ 7 „ – „
salzs. Natron „ 1 „ 24 „ „ 30 „ 1 „ 4 „ – „
kohlens. Kali „ 1 „ 7½ „ „ 30 „ – „ 3 „ 45 „
Kieselerde „ 1 „ 2¼ „ „ 30 „ – „ 1 „ 7½ „
kohlens. Magnesia „ 1 „ 1½ „ „ 30 „ – „ – „ 45 „
Eisenoydul „ 1 „ 3/40 „ 30 „ – „ – „ 2½ „

Der Rest von einer Drachme und sechs Gran vertheilt sich auf die übrigen minimalen Bestandtheile, wovon wieder der bei weitem größere Theil auf kohlensaures Strontian und Manganoxydul, phosphorsaure Thonerde und Kalk, Fluorkalium kommt; die übrigen noch entdeckten Bestandtheile: Iodkalium, Bromnatrium, Borsäure, Rubidium, Cäsium etc. sind nur in fast homöopathischer Menge vertheilt.

Jeder Unbefangene wird sonach wohl zugeben müssen, daß das Karlsbader Mineralwasser durch die Art und Menge seiner mineralischen Bestandtheile unmöglich gefährlich sein kann, und daß es nicht etwa gewisse, gewöhnlich beim Curgebrauche verbotene Speisen, wozu ganz besonders die berüchtigte Dreizahl: Butter, rohes Obst und Salat gehört, in gefährliche Gifte verwandelt.

Obwohl nun das Karlsbader Wasser durch seine mineralischen und flüchtigen Bestandtheile entschieden nicht gefährlich ist, und zwar unter keinen Umständen, so muß doch zugegeben werden, daß es durch eine seiner Eigenschaften bei unvorsichtigem Gebrauche gefährlich werden könnte, und diese Eigenschaft ist sein ziemlich hoher Wärmegrad. Aber diese Gefährlichkeit liegt wieder nicht in einer specifischen Eigenthümlichkeit dieser Wärme, sondern einzig und allein in dem unvorsichtigen Gebrauche.

Es kann daher wohl geschehen, daß, wenn Jemand mit leicht beweglichem Blutgefäßsysteme sechs bis acht Becher Sprudel in viertelstündigen Zwischenräumen trinkt, er dadurch Blutwallung, Blutandrang nach dem Kopfe, Herzklopfen mit Beängstigung und dergleichen bekommen kann, aber ganz dieselben Erscheinungen werden eintreten, wenn ein so beschaffener Kranker oder Gesunder eben so viele Becher ganz gewöhnliches Trinkwasser, bis zur Temperatur des Sprudels künstlich erwärmt, trinkt. So sagt schon Dr. Tralles (in seinem 1756 erschienenen Werke über Karlsbad, in welchem er in mehreren Capiteln zu beweisen sucht, daß „der Brudel kein stark wirkendes, sondern ein sehr gelindes Hülfsmittel sei“) sehr naiv und treffend: „Was die Hitze anbelangt, so getraue ich mich schier allen Menschen, wenn sie Lust haben, hinter einander eine eben so große Menge Theewassers in einem warmen Sommertage und in eben dem Grade der Wärme, als man den Brudel zu trinken gewohnt ist, zu sich zu nehmen, eben so viel Wärme zu verschaffen.“

Gewiß ist es, daß man Karlsbad wie jedes andere Heilmittel mit einer gewissen Vorsicht und streng methodisch gebrauchen muß, aber ebenso gewiß ist es, daß es dann nicht nur eines der mildesten und ein völlig unschädliches Mittel ist, sondern daß es sogar bei Neigung zu gefährlichen Kopfcongestionen, wenn diese in Unterleibsvollblütigkeit ihren Grund haben, mit bestem Erfolge gebraucht werden kann, und ist denn etwa ein kategorischer Imperativ vorhanden, bei jedem Kranken sogleich den Sprudel in Gebrauch zu ziehen? Giebt es denn hier nicht Quellen in fast allen Abstufungen der Temperatur, und zwar von 34 Grad R. (das ist die Karlsquelle) bis zu 59 Grad (das ist eben die Temperatur des Sprudels)? Ferner (und das muß ganz besonders betont werden, weil es noch viel zu wenig bekannt, ja selbst von Aerzten in Karlsbad noch nicht hinlänglich genug berücksichtigt wird), ferner also: kann denn das Karlsbader Mineralwasser bei Kranken, deren Blutgefäßsystem durch unsere selbst mindest warmen Quellen leicht in Aufregung gebracht wird, nicht ebenso gut bedeutend abgekühlt oder völlig bis zur Lufttemperatur erkaltet in Gebrauch gezogen werden? Dadurch geht dem Wasser ja gar nichts Anderes als eben nur die Wärme verloren, nicht einmal sein flüchtiger Bestandtheil, nämlich das kohlensaure Gas, denn bekanntlich bleibt dieses Gas um so fester und in um so größerer Menge an das Getränk gebunden, je kühler dieses ist, und das ist, nebenbei bemerkt, ja auch der Grund, warum man den Champagner in’s Eis setzt.

Um so weniger aber gehen die festen Bestandtheile verloren durch die Erkaltung, und das eigentlich Wirksame dieses Mineralwassers sind schließlich doch seine mineralischen Bestandtheile. Daraus geht aber nicht hervor, daß man das Karlsbader Mineralwasser stets nur ganz abgekühlt in Anwendung bringen sollte, denn auch dessen verschiedene Wärmegrade haben ihre wohlberechtigte Anzeige, und – was wohl zu bemerken –: die Karlsbader Mineralquellen sind nur durch den Wärmegrad, nicht aber durch die mineralischen Bestandtheile verschieden. Letztere sind in allen Quellen, von der Karlsquelle bis zum Sprudel, der Art und Menge nach ganz gleich. Daher ist es auch ganz gleichgültig, von welcher der kühleren Quellen man trinkt, wenn deren Wasser einmal ganz erkaltet ist. Ich sage ausdrücklich: der „kühleren“ Quellen und nicht auch des Sprudels, denn das Sprudelwasser ist so heiß, daß es allsobald beim Zutritte der atmosphärischer Luft nicht nur seine ganze sogenannte freie Kohlensäure verliert, sondern auch einen Theil der an die mineralischen Bestandtheile gebundenen Kohlensäure, sodaß diese (dem technischen Ausdrucke nach) zu anderthalbkohlensauren Salzen werden. Aus diesem Umstande aber ergeben sich mehrere wichtige Folgerungen. Für’s Erste liegt darin der Grund, warum das in einer Badewanne erkaltete Sprudelwasser an der Oberfläche ein schillerndes, fettig aussehendes Häutchen absetzt und eine feine weiße Erde zu Boden fallen läßt; es sind dies nämlich die der Kohlensäure beraubten mineralischen Bestandtheile, diese aber werden bekanntlich nur durch die Kohlensäure in aufgelöstem

  1. Da noch keine Analyse nach dem neuen Gewichte existirt, so müssen wir die Quantitätsverhältnisse noch nach dem alten Apothekergewichte (wonach 1 Pfund = 16 Unzen, 1 Unze = 8 Drachmen, 1 Drachme = 60 Gran ist) berechnen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 803. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_803.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)