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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Lippen bei der Gebieterin und wußte, daß sie nichts Gutes verkündeten. Selbst Waldemar zeigte nicht die gewohnte kalte Ruhe, die er gerade dann nach außen hin zu bewahren wußte, wenn es in seinen Innern am heftigsten stürmte. Es lag heute etwas Finsteres, Gereiztes in seinem Wesen. Vielleicht trug die zweimalige Abweisung die Schuld daran, welche er im Laufe des Tages von Wanda hatte erfahren müssen. Es war ihm nicht gelungen, sie wieder zu sehen seit der Minute, wo er sie, erschöpft von der Aufregung und dem Blutverlust, halb ohnmächtig in die Arme seiner Mutter gelegt. Sie weigerte sich, ihn zu sehen, und doch wußte er, daß sie nicht ernstlich krank war. Der Arzt hatte ihm wiederholt versichert, die Wunde der Gräfin sei in der That gefahrlos und werde ihr morgen schon gestatten, nach Rakowicz zurückzukehren, wenn er sich ihrem Verlangen, dies auf der Stelle zu thun, auch habe widersetzen müssen.

Es blieb dem jungen Gutsherrn freilich nicht viel Zeit, sich mit seinen eigenen Angelegenheiten zu beschäftigen, denn von außen her stürmte alles Mögliche auf ihn ein. Die Leiche des Försters wurde nach Wilicza gebracht, bei welcher Gelegenheit man erst das Entweichen des gesammten Forstpersonals entdeckte. Die Försterei mußte unter andere Aufsicht gestellt und die nöthigen Maßregeln zur Sicherheit und zum Schutze des einstweilen dorthin gesendeter Inspectors Fellner getroffen werden. Alles hatte Waldemar selbst zu leiten und anzuordnen. Schließlich kam noch Assessor Hubert und quälte ihn mit Vernehmungen, Protocollen und Rathschlägen so lange, bis er die Geduld verlor und zu dem bewährten Mittel seiner Mutter griff, um sich den unbequemen Beamten abzuschütteln, aber kaum war er den Assessor und seine Verschwörungsgeschichten los, so kamen andere Anforderungen. Man hatte jetzt auch in L. erfahren, wie es drüben bei den Insurgenten stand und daß die nächsten Tage aller Wahrscheinlichkeit nach Kämpfe in unmittelbarer Nähe der Grenze bringen würden. In Folge dessen war der Befehl ergangen, die Grenzbesatzung bedeutend zu verstärken, um auf alle Fälle das diesseitige Gebiet zu schützen und vor Verletzungen zu bewahren.

Eine starke Militärabtheilung zog durch Wilicza, und während die Mannschaften auf einige Stunden im Dorfe Halt machten, sprachen die Officiere, die den Gutsherrn persönlich kannten, im Schlosse ein. Die Fürstin blieb natürlich unsichtbar, wie sie es stets den Gästen ihres Sohnes gegenüber war, seit dieser sich offen gegen sie und die Ihrigen erklärt hatte, und so mußte Waldemar denn allein die Ankömmlinge empfangen; ob er in der Stimmung dazu war, danach fragte Niemand. Es galt, den Fremden eine ruhige, unbewegte Stirn zu zeigen, damit sie nicht noch mehr von der Familientragödie erfuhren, als sie ohnedies schon wußten. Sie kannten ja die Rolle, welche der Bruder und der Oheim des Schloßherrin in dem Aufstande spielten, die Stellung des Sohnes der Mutter gegenüber; das Alles war ja Tagesgespräch in L., und Waldemar empfand schwer genug die Rücksicht, mit der man sich bemühte, in seiner Gegenwart jede Hindeutung darauf zu vermeiden und den ganzen Aufstand nur in so fern zu berühren, als man eben nur die neuesten militärischen Maßregeln auf deutscher Seite besprach, die dadurch hervorgerufen wurden. Endlich, spät am Nachmittage zog das Detachement ab, um noch vor Einbruch der Dunkelheit die angewiesenen Posten an der Grenze zu erreichen. Und nun kam zuletzt noch Doctor Fabian, der nunmehrige Bräutigam und künftige Professor, mit seiner doppelten Neuigkeit, für die er doch auch bei seinem ehemaligen Zöglinge Theilnahme und Interesse beanspruchte, und zwang diesen, sich um fremdes Glück zu kümmern, wo er das seinige rettungslos in Trümmer gehen sah – es gehörte in der That eine so stählerne Natur wie die Nordeck’s dazu, um dem Allen mit dem Anscheine äußerer Ruhe Stand zu halten.

Es war am zweiten Tage nach jenem Ereignisse auf der Försterei, zu noch sehr früher Stunde. Die Fürstin war allein in ihrem Salon; man sah es ihrem Gesichte an, daß von einer Nachtruhe bei ihr nicht viel die Rede gewesen war. Der graue Nebelmorgen draußen vermochte es nicht, das hohe düstere Gemach vollständig zu erhellen; der größte Theil desselben blieb in Schatten gehüllt, nur das Kaminfeuer warf seinen unruhig flackernder Schein auf den Teppich und auf die Gestalt der Fürstin, die in unmittelbarer Nähe saß.

In finsteres Nachsinnen verloren, stützte sie den Kopf in die Hand. Was sie von gestern Abend erfahren hatte, das wühlte und arbeitete immer noch in ihrem Innern; die Frau, die es sonst so ausgezeichnet verstand, sich auf den Boden der Thatsachen zu stellen und mit denselben zu rechnen, konnte diesmal nicht damit fertig werden. Also war es umsonst gewesen. Die Schonungslosigkeit, mit der sie ihrer Nichte damals das eigene Innere enthüllte, um ihr eine Waffe gegen die entstehende Leidenschaft in die Hand zu geben, die monatelang so streng und unverbrüchlich festgehaltene Trennung, die letzte Unterredung in Rakowicz – Alles umsonst! Vor einem einzigen Momente, vor einer Gefahr, die Waldemar bedrohte, sank das Alles zusammen. Wanda hatte ihrer Tante noch an demselben Abende das Geschehene mitgetheilt. Die junge Gräfin war viel zu stolz, viel zu sehr in ihren nationalen Vorurtheilen befangen, um sich nicht mit aller Energie von dem Verdachte zu reinigen, sie habe wirklich das gethan, was die Fürstin „Verrath“ nannte. Sie erklärte der Tante, daß sie keine Warnung gesandt, keinen Argwohn erweckt habe, daß sie erst im letzten Augenblicke, als es hinsichtlich der Försterei nichts mehr zu verbergen und zu retten gab, dazwischen getreten sei. Wie das geschehen war, und was sie gethan hatte, um Waldemar zu retten, konnte sie freilich auch nicht verbergen – die Wunde an ihrem Arme sprach deutlich genug.

Der Eintritt ihres Sohnes weckte die Fürstin aus den quälenden Gedanken, die in ihrem Innern auf- und niederwogten. Sie wußte es, woher es kam. Pawlick hatte ihr gemeldet, Herr Nordeck habe es heute Morgen zum dritten Male versucht, Einlaß bei der Gräfin Morynska zu erlangen, und diesmal auch wirklich seinen Willen durchgesetzt. Er kam langsam näher und blieb seiner Mutter gegenüber stehen.

„Du kommst von Wanda?“ fragte sie.

„Ja.“

Die Fürstin sah in sein Gesicht, das in diesem Momente von dem aufflackernden Feuer hell beleuchtet wurde. Es stand ein Zug herben, aber verbissenen Schmerzes darin.

„Also hast Du es wirklich erzwungen, trotz ihrer wiederholten Weigerung. Freilich, was erzwängst Du nicht! Wenigstens wird die Unterredung Dich überzeugt haben, daß es nicht mein Verbot war, das Dir Wanda’s Thür verschloß, wie Du mit solcher Bestimmtheit annahmst. Es war ihr eigener Wille, Dich nicht zu sehen, Du hast ihn wenig genug geachtet.“

„Ich werde nach dem, was Wanda gestern um meinetwillen gewagt hat, doch wenigstens das Recht haben, sie zu sehen und zu sprechen; sprechen mußte ich sie. O, sei ganz ruhig!“ fuhr er mit ausbrechender Bitterkeit fort, als die Fürstin etwas erwidern wollte. „Deine Nichte hat vollständig Deinen Erwartungen entsprochen und das Möglichste gethan, mir jede Hoffnung zu rauben. Sie glaubt allerdings, nur ihrem eigenen Willen zu folgen, wo sie sich blindlings dem Deinigen unterwirft. Es waren Deine Worte, Deine Anschauungen, die ich aus ihrem Munde hören mußte. Ich allein hätte es vielleicht von ihr erreicht, erzwungen, wie ich diese Unterredung erzwang, aber ich vergaß, daß sie seit vorgestern Abend unausgesetzt Deinem Einflusse preisgegeben war. Du hast ihr das Wort, das sie noch als ein halbes Kind, von Euch überredet und gedrängt, meinem Bruder gab, als ein unwiderrufliches Gelübde hingestellt, das zu brechen Todsünde wäre, hast sie so in Eure nationalen Vorurtheile hineingehetzt –“

„Waldemar!“ unterbrach ihn die Mutter drohend.

„In das Vorurtheil,“ wiederholte er mit Nachdruck, „daß es ein Verrath an ihrer Familie und ihrem Volke wäre, wenn sie einwilligte, mir anzugehören, weil ich zufällig ein Deutscher bin und die Verhältnisse mich zwangen, feindselig gegen Euch aufzutreten. Nun, Du hast es erreicht; sie würde jetzt eher sterben, als auch nur die Hand zu ihrer Befreiung rühren, oder mir Erlaubniß geben, das zu thun, und das danke ich Dir allein.“

„Ich habe Wanda allerdings an ihre Pflicht erinnert,“ entgegnete die Fürstin kalt. „Es bedurfte dessen kaum mehr; sie war schon allein zur Besinnung gekommen, und ich hoffe, das ist jetzt auch bei Dir der Fall. Daß Deine einstige Knabenneigung nicht erloschen, daß sie im Gegentheil zur Leidenschaft herangewachsen war, wußte ich seit dem Tage, wo Du Dich hier mir gegenüber als Feind erklärtest. In welchem Maße diese

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