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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 47.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.   Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Vineta.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)

„Sie werden dem Herrn Doctor wohl bald einen anderen Titel geben müssen,“ sagte sie nachdrücklichst. „Er steht im Begriffe, eine Professur in J. anzunehmen, die man ihm wegen seiner außerordenlichen wissenschaftlichen und literarischen Verdienste angeboten hat.“

„Wa – was?“ rief der Assessor zurückprallend, aber noch mit dem Ausdrucke des vollsten Unglaubens. Er konnte sich in diese plötzliche Verwandlung des stets übersehenen Fabian in einen Universitätsprofessor unmöglich so schnell finden.

Bei dem Letzteren hatte die Gutmüthigkeit schon wieder die Oberhand gewonnen, und der Gedanke an die doppelte Kränkung, die er dem Neffen seines Gegners und dem unglücklichen Bewerber seiner Braut nothgedrungen zufügen mußte, regte seine ganze Gewissenhaftigkeit auf.

„Herr Assessor,“ begann er, in der Voraussetzung, Hubert sei bereits von den letzten Vorgängen auf der Universität unterrichtet, was aber noch keineswegs der Fall war, „es ist mir sehr peinlich, von Ihrem Herrn Onkel so verkannt zu werden, wie es leider den Anschein hat. Niemand kann aufrichtiger als ich seine großen Verdienste schätzen und anerkennen. Seien Sie überzeugt, daß ich nicht den mindesten Antheil an dem Streite habe, den meine ‚Geschichte des Germanenthums‘ hervorrief. Professor Schwarz scheint zu glauben, daß ich aus eigensüchtigen Motiven jenen Streit geschürt und auf die Spitze getrieben hätte.“

Jetzt begann dem Assessor ein Licht aufzugehen, aber ein schreckliches. Er kannte nicht den Namen jenes „obscuren Menschen“, den die Gegenpartei auf den Schild gehoben hatte, indem sie sich unterfing, sein Werk neben, ja über die Schwarz’schen Schriften zu stellen, aber er wußte, daß es sich dabei um eine „Geschichte des Germanenthums“ handelte, und die Worte Fabian’s ließen ihm keinen Zweifel mehr, daß der Verfasser dieses Buches, dieser Intriguant, dieser Attenthäter auf die Familienberühmtheit, leibhaftig vor ihm stehe. Er wollte seinem Erstaunen, seiner Entrüstung Worte leihen, als Gretchen, die sich schon berufen fühlte, die künftige Frau Professorin zu vertreten, von Neuem dazwischen fuhr.

„Jawohl, Professor Schwarz könnte das glauben,“ wiederholte sie, „und dies um so mehr, da Doctor Fabian ausdrücklich berufen ist, ihn zu ersetzen und seinen Lehrstuhl in J. einzunehmen. Sie wissen doch bereits, daß Ihr Onkel seine Entlassung genommen hat?“

Der Assessor rang in einer so beängstigenden Weise nach Athem, daß Fabian einen bittenden Blick zu seiner Braut hinüber sandte, aber diese blieb mitleidlos. Sie konnte es nicht vergessen, daß Hubert schon vor Monaten sich ihres Jawortes gerühmt hatte, und wollte ihm eine Lehre dafür geben; deshalb spielte sie ihren letzten Trumpf aus und ergriff sehr förmlich die Hand des Doctors.

„Und gleichzeitig, Herr Assessor, habe ich das Vergnügen, Ihnen in dem künftigen Professor Fabian, dem Nachfolger Ihres berühmten Onkels, meinen Bräutigam vorzustellen.“ – – –

„Ich glaube, der Assessor ist übergeschnappt,“ sagte Frank, der draußen auf dem Hofe stand, mit besorgter Miene zu seinem Inspector. „Er kommt wie ein Tollhäusler aus dem Hause gestürzt, rennt mich fast über den Haufen, ohne zu grüßen, ohne mir Rede zu stehen, und schreit nach seinem Wagen. Er war schon den ganzen Morgen so exaltirt. Wenn ihm nur die Verschwörungsgeschichten nicht zu Kopfe gestiegen sind! Gehen Sie ihm doch einmal nach und sehen Sie, was er macht und ob er nicht etwa ein Unglück anrichtet!“

Der Inspector zuckte die Achseln und deutete auf den Wagen, der soeben in vollem Trabe abfuhr. „Es ist zu spät, Herr Administrator – da fährt er eben hin.“

Frank schüttelte sehr bedenklich den Kopf und trat in das Haus, wo ihm nun allerdings die Erklärung für den Sturmlauf des Assessors zu Theil wurde und seine ernstlichen Zweifel an dessen Verstand beseitigte. Der Kutscher vom Schlosse aber, der gleichfalls auf dem Hofe stand, faltete die Hände und sagte aufathmend:

„Er ist fort. Gott sei Dank – nun kann er mich nicht mehr vernehmen.“


In Wilicza selbst herrschte inzwischen eine dumpfe gewitterschwüle Atmosphäre, die sogar von der Dienerschaft empfunden wurde. Seit Herr Nordeck gestern Abend in Begleitung der Gräfin Morynska von der Grenzförsterei zurückgekehrt war, herrschte Sturm in den oberen Regionen des Schlosses – die Anzeichen verriethen es nur zu deutlich. Die junge Gräfin hatte noch an demselben Abende eine Unterredung mit ihrer Tante gehabt, seitdem aber ihr Zimmer noch nicht wieder verlassen. Auch die Fürstin wurde wenig sichtbar, und wenn es geschah, so war ihr Aussehen der Art, daß die Dienerschaft es für gut hielt, so wenig wie möglich in ihre Nähe zu kommen; sie kannte die gerunzelte Stirn und diese fest zusammengepreßten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 781. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_781.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)