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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 46.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.


Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Vineta.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Das Ereigniß auf der Grenzförsterei, das nicht verschwiegen bleiben konnte, da es mit dem Tode des Försters einen so ernsten Ausgang genommen hatte, rief begreiflicher Weise eine große Aufregung in Wilicza hervor. Der Fürstin konnte nichts unerwünschter sein, als dieser offene und blutige Conflict. Doctor Fabian und der Administrator geriethen in Bestürzung, und die Untergebenen, je nachdem sie nun zu dem Gutsherrn oder der Fürstin hielten, theilten sich in zwei Lager, die leidenschaftlich für oder gegen die Sache Partei nahmen. Nur einen einzigen Menschen gab es, den sie trotz ihres tragischen Ausganges glücklich machte – den Assessor Hubert. Er befand sich, wie schon erwähnt, gerade im Hause des Administrators; jener Vorfall hob ihn sofort auf die Höhe der Situation, führte ihn in amtlicher Eigenschaft nach dem Schlosse, zwang Herrn Nordeck, in unmittelbaren Verkehr mit ihm zu treten – alles Dinge, die Hubert längst ersehnt hatte, ohne sie bisher erreichen zu können.

Waldemar hatte ihm in aller Kürze angezeigt, daß er, zur äußersten Nothwehr gedrängt, den Förster Osiecki erschossen habe, nachdem dieser einen Mordversuch auf ihn gemacht. Er hatte gleichzeitig den Beamten ersucht, die nöthigen Schritte zur Klarstellung der Sache in L. zu veranlassen, und sich zu jeder Vernehmung bereit erklärt, und der Vertreter des Polizeidepartements von L. war groß gewesen in der Entfaltung seiner Thätigkeit. Er stürzte sich mit wüthendem Eifer auf die Untersuchung, die ihm anheim fiel, und machte die unglaublichsten Vorbereitungen dazu, aber leider vergebens. Er wollte natürlich vor allen anderen Dingen das Personal der Försterei als Zeugen des Vorfalls vernehmen, aber man fand das Forsthaus am nächsten Tage leer und verlassen. Die Leute hatten es vorgezogen, sich allen gerichtlichen Weitläufigkeiten zu entziehen, indem sie einen längst geplanten Entschluß ausführten und während der Nacht über die Grenze gingen. Ihre genaue Bekanntschaft mit der Gegend machte ihnen das leicht, trotz der scharfen Bewachung von beiden Seiten. Sie waren unzweifelhaft drüben zu den Insurgenten gestoßen, deren Stellungen sie genau kannten, und unerreichbar für den Arm der Gerechtigkeit, der sich vermittelst des Assessors so verlangend nach ihnen ausstreckte. Hubert war untröstlich.

„Sie sind fort,“ sagte er niedergeschlagen zu dem Administrator. „Sie sind sämmtlich auf und davon. Auch nicht ein Einziger ist zurückgeblieben –“

„Das hätte ich Ihnen vorher sagen können,“ meinte Frank. „Es war unter diesen Umständen das Klügste, was die Leute thun konnten. Drüben sind sie sicher vor einer Untersuchung, die sie wahrscheinlich als Mitschuldige entlarvt hätte.“

„Aber ich wollte sie vernehmen,“ rief der Assessor empört. „Ich wollte sie sämmtlich verhaften lassen.“

„Eben deshalb zogen sie es vor, sich unsichtbar zu machen, und offen gestanden, ich bin froh, daß es so gekommen ist. Die wilde Gesellschaft da hinten auf der Grenzförsterei war stets eine Gefahr für uns, jetzt sind wir sie los, ohne weiteren Lärm; wiederkommen wird sie schwerlich – also lassen wir sie laufen! Herr Nordeck will nicht, daß viel Aufhebens davon gemacht wird.“

„Herr Nordeck hat in diesem Falle gar nichts zu wollen,“ erklärte Hubert in seinem feierlichsten Amtstone. „Er hat sich der Majestät des Gesetzes zu beugen, das die strengste, rücksichtsloseste Untersuchung fordert. Zwar so weit die Sache ihn betrifft, ist sie zweifellos. Er hat nur sein Leben vertheidigt und erst abgedrückt, nachdem der Förster auf ihn geschossen. Sein Wort in dieser Hinsicht wird durch das Zeugniß des Kutschers, durch das Entweichen des Forstpersonals, überhaupt durch die ganze Sachlage bestätigt. Ihn wird man höchstens mit einigen Vernehmungen behelligen und dann unbedingt freisprechen. Es handelt sich aber hier noch um ganz andere Dinge, wir haben es mit einem Aufruhr, mit einer zweifellosen Verschwörung –“

Der Administrator sprang auf: „Um Gotteswillen! Fangen Sie schon wieder damit an?“

„Mit einer Verschwörung zu thun,“ vollendete Hubert, ohne sich stören zu lassen. „Ja, Herr Frank, es war eine solche – alle Thatsachen sprechen dafür.“

„Unsinn!“ sagte der Administrator derb. „Es war eine Revolte gegen den Gutsherrn persönlich und nichts weiter. Bei Osiecki und seinen Leuten waren die Gewaltthätigkeiten an der Tagesordnung, und die Fürstin ließ ihnen Alles hingehen, weil sie und ihre Befehle unbedingt respectirt wurden. Gehorsam gegen einen Anderen kannte die wilde Bande nicht, und als sie der Herr das lehren und ihr den Gebieter zeigen wollte, griff sie zur Büchse. Ein Anderer an seiner Stelle wäre verloren gewesen, ihn aber hat seine Energie und Kaltblütigkeit gerettet. Er schoß den Mordbuben, den Osiecki, ohne Weiteres nieder, und das imponirte den Anderen dermaßen, daß sich Keiner mehr zu rühren wagte. Die Sache ist so klar und einfach wie nur möglich, und ich begreife nicht, wie Sie darin schon wieder eine Verschwörung finden wollen.“

„Und wie erklären Sie denn die Anwesenheit der Gräfin

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 765. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_765.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)