Seite:Die Gartenlaube (1876) 758.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


darnach zu leben, in Gehorsam gegen ihn und Liebe gegen ihre Nächsten, das ist alles, was ihnen Noth thut –“ so sagte der Lehrer zu einem Fremden.

Die Kleidung der Amaniten ist einfach, aus selbstgewobenem, dunkelfarbigem Zeuge gemacht und ähnelt der Tracht der Bauern im badischen Oberlande.

Die Leitung der municipalen und geschäftlichen Angelegenheiten liegt in den Händen von dreizehn Vertrauensmännern, welche jährlich von allen männlichen Mitgliedern der Commune gewählt werden. Dieselben wohnen in den verschiedenen Dörfern und haben nur als Körperschaft Autorität. Jedes Dorf hat seine eigenen Bücher und regelt selbstständig seine Geschäfte. Am Ende des Jahres werden die Bücher nach Mittel-Amana gebracht und durch die Vertrauensmänner geprüft; in dieser Weise wird der Gewinn oder Verlust der einzelnen Gemeinden festgestellt. Die Aeltesten sind Männer, ausgezeichnet durch Einsicht und makellosen Lebenswandel; sie werden nicht gewählt, sondern nach der Eingebung des Geistes von dem „Werkzeug“ ernannt. Sie berathen sich allabendlich mit den Vormännern über die Anordnung der Arbeit für den folgenden Tag, wie über die zweckmäßigste Verwendung der Arbeitskräfte.

Das schöne Geschlecht erfreut sich bei den Amaniten keiner besonderen Achtung und wird im Allgemeinen als ein zur Fortpflanzung der Gattung zwar nothwendiges, jedoch den Seelenfrieden störendes und der Erreichung höherer geistlicher Vollkommenheit hinderliches Element betrachtet. Gruber warnt die Männer vor der Gesellschaft der Frauen als „einem gefährlichen Magneten und magischen Feuer“. Die Ehe ist erlaubt, wird jedoch den jungen Leuten auf alle mögliche Weise erschwert. Der Hochzeitsfeier selbst gehen so viele innere Erweckungen, kräftige Ermahnungen und endlose Andachtsübungen voraus, daß ein liebendes Paar des Heldenmuthes und der Lammesgeduld eines Amaniten bedarf, um durch die Fegefeuerqualen der Vorbereitung begehrend nach den Freuden des Ehehimmels zu schauen. Die echten Frommen schließen nur dann Heirathen, wenn der Geist durch den Mund eines Werkzeuges ein solches Opfer von ihnen heischt; denn das Cölibat ist nach den Worten des großen Apostels Paulus heiliger und dem Herrn wohlgefälliger als das Leben in der Ehe und ermöglicht die Erreichung höchster geistlicher Vollkommenheit. War ein Mann vor seiner Vermählung in der ersten Classe der Gläubigen, so degradirt er sich durch diesen Act zu einem Mitgliede des dritten Grades. Diese Geringschätzung der Frauen leitet zu deren gänzlicher Ausschließung von allen weltlichen und geistlichen Aemtern und zur vollkommenen Absonderung der Geschlechter bei allen Zusammenkünften; selbst den Knaben und Mädchen ist es verboten, mit einander zu sprechen und zu spielen. Aber die Rechte der Natur sind stärker, als die Gebote des Glaubens, als die Macht der öffentlichen Meinung und tiefgewurzelter Gewohnheit; der junge Amanite hat Augenblicke, wo sein Herz für die Reize einer Schwester besonders empfänglich ist und deren Besitz ihm süßer erscheint, als ein Anrecht auf die Himmelsfreuden eines Gläubigen ersten Grades, und so führt er sich oft trotz des heiligen Paulus ein Weibchen heim.

Die Kleidungsstücke werden nach einem eben so einfachen wie zweckmäßigen Plane vertheilt. Jedem Mitgliede wird eine Summe bestimmt, deren Werth es in Anzügen, Stoffen, Uhren und ähnlichen Artikeln in den entsprechenden Läden erhält. Dieses Maß wird nie überschritten; im Gegentheil ergiebt sich oft für die Sparsamen am Ende des Jahres ein Guthaben, das ihnen für das nächste Jahr angerechnet wird. Auf diese Weise vermochte die Commune während des letzten Krieges zwanzigtausend Dollars zu verschiedenen wohlthätigen Unternehmungen beizusteuern, ohne das Budget der Gemeinde mit einem Cent zu belasten.

Die jungen unverheiratheten Amaniten beiderlei Geschlechts werden von der Aeltesten unter die Familien vertheilt. Die Bibliothek enthält nur die Bibel, die Jahresbücher der Gemeinde, sowie verschiedene Gesang- und Erbauungsbücher. Zeitungen sieht man nur selten in Amana, dessen Bewohner nur ihren eigenen Interessen leben und um so zufriedener und glücklicher sind, je weniger sich die Welt um sie kümmert. Die Gemeinde erhält ihren Zuwachs durch deutsche Einwanderer, denen sie oft die Reise aus dem alten Vaterlande durch Vorstreckung der nothwendigen Mittel möglich macht. Diese neuen Ankömmlinge werden gewöhnlich nach zweijähriger Prüfungszeit, manchmal jedoch auf eine Offenbarung hin sogleich nach ihrer Ankunft, unter die Gläubigen aufgenommen.

Unter Nachbarn und bei Geschäftsfreunden genießen die Amaniten die höchste Achtung. Sie gelten allgemein als tüchtige Farmer, erfolgreiche Viehzüchter und äußerst redliche Geschäftsleute, als etwas sonderbare, aber friedliche und nützliche Bürger. Ihre Felder und Gärten sind im besten Stande; sie haben die schönsten Schafe und das kräftigste und wohlgenährteste Rindvieh weit und breit; die Erzeugnisse ihrer Fabriken werden ihrer Güte und Dauerhaftigkeit halber allenthalben gern gekauft und mit dem besten Preise bezahlt. Die meisten Bewohner Amanas erfreuen sich ausgezeichneter Gesundheit und erreichen ein hohes Alter. Die Männer wie die Frauen sind kräftige Gestalten, etwas langsam und abgemessen in allen Bewegungen. Auf den Gesichtern der Amaniten drücken sich heitere Sorglosigkeit, ungetrübter Gleichmuth und ein Hang zur Selbstbeschaulichkeit, daneben aber auch Gleichgültigkeit gegen ihre Umgebung und Stumpfheit des Gefühls- und Gedankenlebens aus. Die Streitigkeiten der Mitglieder untereinander werden durch die Aeltesten geschlichtet. Der Friede der Colonie wurde noch niemals gestört. Sie bedarf weder der Polizei zum Schutze der Person und des Eigenthums, noch eines Gefängnisses zur Bestrafung der Verbrecher, und ihre Bewohner führen zweifelsohne einen tadellosen Lebenswandel.

In der raschen Entwickelung und der bewundernswerthen Blüthe Amanas und anderer Communisten-Colonien in Amerika liegt die praktische Lösung eines socialen Problems. Die Etablirung eines Gemeinwesens auf communistischer Grundlage erweist sich nur da als möglich, wo eine kleinere Anzahl von Menschen mit geringen Bedürfnissen und beschränkten Anschauungen, derselben Gesellschaftsclasse angehörend und auf ähnlicher Bildungsstufe stehend, ihre Energie auf die Erreichung nahe gelegener und bestimmter Ziele richtet und dabei unter dem Einflusse einer mächtigen religiösen Stimmung die Autorität eines überlegenen Führers anerkennt. Der französische Socialist Cabet und der schottische Menschenfreund Owen suchten ihre philanthropischen Ideen zu verkörpern, indem sie Niederlassungen gründeten, in welchen das Zusammenleben der Mitglieder auf der Grundlage brüderlicher Gleichheit und Freiheit durch Vernunftgesetze geregelt, durch Bildung und Duldsamkeit veredelt und durch Kunst, Wissenschaft und schöne Geselligkeit verklärt werden sollte. Diese Experimente endeten mit dem gänzlichen Ruine der Unternehmer und der Demoralisation der Commune. Nur der geistig träge und religiös beschränkte oder der an seinem Glücke verzweifelnde Mensch vermag seine Freiheit und Selbstständigkeit als Preis für ein friedliches Dasein ohne Sorge, aber auch ohne Streben einzusetzen; das denkende Individuum wird durch das Bedürfniß der Entwickelung seiner Eigenthümlichkeiten und den Trieb, den Fortschritt der Gattung zu fördern, auf weitere und freiere Bahnen hingewiesen.




Land und Leute.
Nr. 38. Das Marollenviertel in Brüssel. (Mit Abbildung.)


Zur Zeit als Leopold der Zweite Thronerbe war und den Titel Herzog von Brabant führte, brachte er hier und da einen Abend im Cercle artistique et littéraire zu. Geschah es, so verfehlte er selten, Victor Capellmans, damals Mitarbeiter der „Independance belge“, zu bitten, eine populäre Volksscene im Marollendialekt zum Besten zu geben. Der Fürst amüsirte sich dann wie ein Kind. Er lachte und kicherte nach Herzenslust, ein Genuß, der nachgerade den Fürsten seltener als gewöhnlichen Menschenkindern zu Theil wird. Heute noch, obgleich mehr als ein Jahrzehnt seitdem vergangen ist, gedenkt der König gern jener

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_758.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)