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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Zecher“ entfaltet. Doch auch die draußen im Reiche als particularistische Säuerlinge schnöde verschrieenen Weine von den Geländen des Neckars und der Tauber, an denen so viele schwäbische Heroen der deutschen Literaturgeschichte sich groß und unsterblich gesogen, hat er in sangesfröhlicher Dankbarkeit zu würdigen gewußt. Ganz besonders wohlig aber konnte sich Freiligrath angemuthet fühlen von der heimgebrauten („homebrewd“, wie die Engländer viel zu schön vom prosaisch dickblütigen Biere sagen), nach Frühling, Waldmeister und dem wunderholden Moselblümchen duftenden Maibowle, vorausgesetzt, daß er mittheilsam aus solcher mit seinem Herzen nahen Menschen „die Neige der köstlichen Zeit“ schlürfen konnte. Dieser seiner poetischen Vorliebe für den Maitrank, die sich von den seiner heimwehen Erinnerung unvergeßlichen, am Rhein gelebten Tagen datirte, hat ihn sein letzter ständiger Aufenthalt im Schwabenlande nicht zu entfremden vermocht. Die Schwaben „hassen dies Gebild aus Menschenhand“. Sie sind abgesagte Feinde aller Mischgetränke. Ich habe ihm noch während seiner Krankheit, im engsten Kreise seiner Angehörigen, manche Maibowle leeren helfen, die Frau Ida unter seiner sorgfältigen Anleitung gebraut hatte. Dieser flotte, fröhliche Zug seines Naturells ist nicht bedeutungslos für eine literaturgeschichtliche Charakteristik des Dichters.

Bei allem empfindungstiefen Ernste, in welchem der Grundton seines dichterischen Genies ausklingt, war Freiligrath reich mit jener „Frohnatur“ gesegnet, die Goethe vom „Mütterchen“ geerbt zu haben sich rühmt und die, wie mich dünkt, keinem Poeten von echtem Schrot und Korn fehlen soll. – Aus dem warm leuchtenden Goldgrunde einer dem fröhlichen, sonnigen Lichte offenen Poetenseele treten die ernsten Gebilde der schöpferischen Phantasie nur um so plastischer in greiflicher Wahrheit hervor. Mit dem Grubenlichte des Humors ausgerüstet, kann sich der Poet in dunkle Gedankentiefen wagen, in die ihm der Philosoph nicht zu folgen vermag. – Unsere Literaturgeschichte hat Goethe noch nicht als einen ihrer größten Humoristen gewürdigt. Ohne die ihm angeborene „Frohnatur“ würde Goethe nimmer seinen „Faust“, die gewaltigste seiner Schöpfungen, „fabulirt“ haben.

In den sechs Bänden von „Ferdinand Freiligrath’s gesammelten Dichtungen“ neuester Ausgabe findet sich nur eine einzige, die dem Humore unseres Dichters ein, nicht blos wie der Jurist das Wort versteht, „classisches Zeugniß“ ausstellt, sein im Exile, 1855, gedichtetes überaus ergötzliches Poem: „Auff Herrn Heinrich Köster’s und Jungfrau Käthen Bloem’s ihre Hochzeit. London. In Verlegung des Authoris.“ – Der zur Zeit unter den sorgsamen Händen der Gattin Freiligrath’s und seiner dichterisch hochbegabten Tochter Käthe Kroeker in London zu einem Supplementbande vorbereitete literarische Nachlaß unseres Dichters wird, unter vielem bisher Ungedrucktem oder als Manuscript Gedrucktem, eine Fülle von Humor sprudelnden, an seine Freunde, wie z. B. an denselben Herrn Heinrich Köster in Düsseldorf, Emil Rittershaus in Barmen, Richard Wehn in Melle und an viele Andere noch gerichteten poetischen Episteln enthalten, die den Namen Freiligrath’s auch unter den gefeierten Humoristen der Neuzeit zu verewigen genügen. – Was er in lachenden Wettgesängen mit Victor Scheffel gedichtet für die Festgelage bei ihrem gemeinsamen und überhaupt aller Poeten, Afrika- und Nordpolreisenden und sonstiger Unsterblichen Gastfreunde, dem originellen, um die Veredelung des schwäbischen Weinbaues hoch- und tiefverdienten Oberamtsrichter Ganzhorn von Neckarsulm, wird dem kritischen Schiedsrichter die Entscheidung nicht leicht machen, welchem von beiden Poeten die Palme zuzuerkennen sei.

Selbst als seine fortschreitende Krankheit bereits die Schatten schauernder Todesahnungen in seine Stimmung geworfen hatte – ach, er lebte gern und hatte allen Grund dazu! – konnte er in freundlich geselliger Unterhaltung, angeregt und anregend, körperliches Leid und trübselige Anwandlungen sich von Leib und Seele wegplaudern und weglachen.

Die rührend humoristische Dichtung, mit welcher er Scheffel zu dessen fünfzigjährigem Geburtsfeste am 16. Februar 1876 beglückwünschte, hat Freiligrath, einen Monat vor seinem Tode, auf seinem Krankenbette geschrieben, wenn ich den Lehnsessel so nennen darf, den er während der ganzen Dauer seiner Krankheit nur für die Nacht mit dem Bette vertauschte und in welchem er auch gestorben ist, ein früher gegen seine Gattin ausgesprochenes prophetisches Wort erfüllend, er werde, wie Goethe, einmal im Sessel sterben.

„Gern wär’ ich heut’ selbst Deines Reigens
Ein Zeuge flott und frank.
Doch meine Reime zeigen’s:
Der sie schickt, ist leider krank.

Hab’ Nachsicht d’rum mit dem Zitt’rer!
Sein Glas tönt voll und rein,
Ist auch sein Wein ein bitt’rer,
Ist’s auch nur Chinawein!“

schließt das Poem, sein letztes!

Ich weise bei dieser Gelegenheit auf einen bisher unbeachtet gebliebenen merkwürdigen, fast wunderbaren Zufall hin. Mit „Moosthee“ hat Freiligrath seine Laufbahn als deutscher Dichter eröffnet, mit „Chinawein“, dem letzten Worte seiner Dichtung, hat er sie geschlossen. Es waren die Stichworte für sein Auftreten auf die literargeschichtliche Bühne, auf welcher er eine so glorreiche Rolle zu spielen berufen gewesen, und für sein Abtreten von derselben – „the entrance and the exit“, wie es im „Shakespeare heißt. –

Zwischen „Moosthee“ und „Chinawein“ liegt indeß, zum Glück für die vaterländische Literaturgeschichte, der Zeitraum eines vollen halben Jahrhunderts, von 1826 bis 1876. – „Der Trank vom Hekla und vom Geiser“ hat an dem sechszehnjährigen Jüngling die wunderbare Heilkraft bewährt, die der Chinawein dem an einem unheilbaren Herzleiden erkrankten greisen Dichter leider versagte. – Der sterbende Poet, der mit wehmüthig heiteren Verse den gefeierten Collegen vom deutschen Parnaß zum fünfzigsten Geburtsfeste glückwünschend grüßte, war selbst ein Jubilar in weit eminenterer Bedeutung. Sein Todesjahr war das Ehren-Jubeljahr des Dichters; das fünfzigste, seitdem er mit jenem „Moosthee“-Gedichte vor seine Nation getreten! –

„Sechszehn Jahr – und wie ein greiser
Alter sitz’ ich matt und krank;
Sieh’, da sandten mir der Geiser
Und der Hekla diesen Trank.“

Aber der Jubelgreis ist nicht „wie“ – oder jetzt richtiger – als ein „greiser Alter“ gestorben, „matt und krank“. Der hellenische Ausspruch, daß die Götter den Menschen, den sie lieben, zu sich rufen, bevor er seine goldene Jugend ausgelebt, hat sich an Freiligrath glücklich erfüllt. Sein Genius hat sich die goldene Jugendfrische gewahrt; sein Herz war nur pathologisch erkrankt. Es hat bis zum letzten Schlage voll und warm geschlagen für alles Schöne, Gute, Hohe, für seine Ideale und seine Menschen. Und wie alle seine menschlich guten Eigenschaften ist ihm sein liebenswürdiger Humor treu geblieben bis zum letzten Athemzuge. Sein letztes Wort war ein an die geliebte Gattin gerichtetes scherzendes Wortspiel, ein Genre, im welchem unser Dichter in geselliger Unterhaltung sich immer schlagfertig erwiesen hat. Er hätte es darin mit dem seiner Zeit viel citirten Meister des witzigen Wortspieles, mit M. G. Saphir, dreist aufnehmen können. Ich werde an anderer Stelle auf diese, nur seinen näheren Freunden bekannte Eigenschaft unseres verewigten Dichters zurückkommen.

Mit seinem guten, mächtigen Löwenkopfe haben sie ihn in dem Sarg gelegt und auf dem idyllischen Uff-Friedhofe zu Cannstatt in sein kühles Grab gebettet unter schwarz-roth-golden bebänderten Lorbeerkränzen und einem ganzen duftigen Blumenfrühling, von der trauernden Verehrung und Liebe aus Nähe und Ferne gespendet. – Der Tod hat dem Charakterkopfe Ferdinand Freiligrath’s den Stempel der Wahrheit aufgedrückt. Die Signatur, die sein Dichtergenius und sein innerer Mensch auf dieses Angesicht geschrieben, war unlöschlich. – In unvergeßlicher Erinnerung schwebt mir das Bild unseres Dichters vor, wie ich ihn kurz nach seinem Tode in dem Lehnsessel sitzend gefunden, in welchem er mit dem bedeutungsvollen ersten Frühroth des 18. März seine Augen für immer geschlossen hatte. Die Leser der „Gartenlaube“ kennen aus Nr. 16, Jahrg. 1876 das nach einer photographischen Aufnahme in Holz geschnittene Todtenbildniß des Dichters und den sinnigen, herzergreifenden Text dazu, aus der Feder Richard Wehn’s.

Nicht eine Spur in seinem Antlitze wies auf jenen schweren,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 755. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_755.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)