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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Man brauchte nicht erst in der Schule der Physiognomen lesen gelernt zu haben, um aus dem Gesichte Freiligrath’s den Poeten und den Menschen heraus zu lesen und zwar – den Poeten und den Menschen. Nichts an diesem Kopfe erinnert an die Schablone, nach welcher die Natur Menschengesichter, so zu sagen, en gros zu formen pflegt, nur in kleinen Zügen und Nuancen das persönliche Einzelwesen, das Individuum andeutend oder markend.

Freiligrath hatte nicht blos im Sinne der sprüchwörtlichen Redensart „seinen eigenen Kopf“. Das Düsseldorfer Zuchtpolizeigericht, das im Jahre 1851 unseren Dichter „wegen Theilnahme an einem Complote zum Umsturze der Regierung“ steckbrieflich verfolgte, hätte sich das ganze übliche Signalement ersparen können. „Besondere Kennzeichen: Freiligrath Kopf“ und Punctum. Kein Gensd’arm, kein Polizist und wer und was sonst noch auf politische Verbrecher vigilirte und fahndete, „von Memel bis Saarlouis“, wie man damals statt des spätern „vom Fels zum Meere“ schrieb, hätte mehr zu wissen gebraucht, um den verfehmten Poeten, wo er nur immer auftauchte, sofort „dienstergebenst“ beim weltbekannten Kopfe zu nehmen. Schade nur, daß die weit reichenden Arme des vaterländischen Steckbriefes doch zu kurz waren, um den Dichter drüben im freien Albion, wo er für sich und Weib und Kind ein gastlich sicheres Asyl gefunden hatte, abzufassen.

Aber auch der mit dem Crayon bewaffnete Künstlerhumor hat auf den Poeten mit dem Freiligrath-Kopfe gefahndet, wie ja nur das eigenartig Charakteristische und Bedeutende die Parodie herausfordert. Der Künstler hatte mehr Glück als der Polizist. Er hat den Dichter richtig getroffen.

In dem Album der Gesellschaft „Bergwerk“ zu Stuttgart, die, nach dem Muster der ehemals viel genannten Wiener „Ludlamshöhle“, jetzt „die grüne Insel“, Dichter, Gelehrte, bildende Künstler, Schauspieler, Musiker und was sonst noch solcher Sphäre ausübend oder dilettirend angehört, an bestimmten Abenden zu heiterer Geselligkeit, dem horazischen „desipere in loco“, vereint, findet sich eine von dem verstorbenen Photographen Kaiser herrührende humoristische Illustration zu Freiligrath’s Gedichte „Der Löwenritt“. Der geniale, ebenfalls bereits und leider in der Maienblüthe seines künstlerischen Schaffens verstorbene Silhouettenzeichner Paul Konewka, der Shakespeare’s „Sommernachtstraum“ mit luftig durch die Dichtung huschenden Schattenbildern so anmuthig und übermüthig illustrirt hat, hat an der Ausführung sein Schelmenantheil gehabt. Das Blatt stellt den „Wüstenkönig“ in dem Momente dar, wie er eben aus seinem Verstecke im Schilfe der Lagune der nichts Böses ahnenden armen Giraffe auf den Nacken gesprungen ist:

„In die Muskeln des Genickes schlägt er gierig seine Zähne;
Um den Bug des Riesenpferdes weht des Reiters gelbe Mähne.“

Ein einziger flüchtiger Blick auf die Zeichnung läßt uns sofort in dem Kopfe des grimmen Giraffenreiters den portrait-ähnlichen, mähnenumwallten Kopf Ferdinand Freiligrath’s erkennen. Statt auf beflügeltem Hippogryphen, himmlisch verklärten Antlitzes, die goldbesaitete Lyra in den Armen, olympwärts sich aufschwingend, wie kunstbräuchlich der Poet dargestellt zu werden gewohnt ist, sehen wir hier den vor unseren leibhaftigen Augen in einen Löwen sich metamorphosirenden Dichter, fest eingekrallt in den Rücken einer Giraffe, durch den glühenden Wüstensand dahin galoppiren, im wilden Ritte sein Riesenpferd mit blutgierigem Behagen verspeisend.

Freiligrath hatte seine hell auflachende Freude an dem jovialen Blatte, das in photographischer Nachbildung seinem Photographiealbum einverleibt ist. Auch ich bin im Besitze einer solchen, die er mir für mein Album geschenkt hat. Der tolle Einfall paßte ihm zu der heiteren Selbstkritik, mit welcher er im Gespräche mit Freunden seinen „Löwenritt“ später in aller Unbefangenheit zu glossiren pflegte. – Bekannt sind die Verse, in denen er jene, seiner ersten jugendlichen Dichterperiode entstammten heißzonigen Phantasiemalereien für einen „überwundenen Standpunkt“ erklärt hat, um mich eines jener Zeit viel gebrauchten junghegelschen Ausdrucks zu bedienen:

„Zum Teufel die Kameele,
Zum Teufel auch die Leu’n!
Es rauscht durch meine Seele
Der alte deutsche Rhein!

Er rauscht mir um die Stirne
Mit Wein- und Eichenlaub;
Er wäscht mir aus dem Hirne
Verjährten Wüstenstaub –“

singt er in seinem Gedichte an Karl Simrock „Auch eine Rheinsage“. Es hat ihm aber nichts geholfen. „Trotz alledem und alledem“ werden jene originellen Dichtungen als hochgeachtete Cabinetsstücke dem Literaturschatze des deutschen Volkes verbleiben. Die deutsche Jugend vor Allen hat nicht aufgehört für sie zu schwärmen und gerade den „Löwenritt“ mit Vorliebe zu declamiren.

Mit Freiligrath’s Löwenkopf hatte es indessen seine volle Richtigkeit; der kecke Stift des Zeichners hat ihm denselben nicht anphantasirt. Auch wer unsern Dichter niemals im Leben von Angesicht zu Angesicht gesehen, wird bei einem Blicke auf das hier von der „Gartenlaube“ im Holzschnitte gegebene Bildniß Freiligrath’s nach der von dem Phonographen Buchner in Stuttgart 1873 aufgenommenen Photographie – meines Bedünkens unter den unzähligen Bildnissen, die von Freiligrath existiren, das charakteristischste, lebenvollste, von wahrhaft künstlerischer Wirkung – unwillkürlich an ein Löwenhaupt denken. Diese mächtige, trutzigliche Stirn, welcher die majestätisch grollenden Flammendichtungen aus des deutschen Volkes politischer Sturm- und Drangperiode von 1848 entsprungen sind, die in wilder Ueppigkeit das Haupt mähnenartig umwallende Haarfülle, die zorndrohenden Brauen – das Alles machte in der That am Freiligrath-Kopfe den Eindruck des löwengewaltigen Ingrimmes, erinnerte an das „In tyrannos!“ unter dem springenden Löwen auf dem Titelblatte der ersten Ausgabe von Schiller’s „Räuber“.

Und doch wiederum, wie viel versöhnliche Milde lag auf diesem Antlitze! Wie wohlwollend leuchteten unter den buschig grimmen Brauen die hellen, treuen Augen! Wie warm und beredt sprach aus jedem Zuge dieses Gesichtes jene an die ganze Menschheit hingegebene Liebe, von der unserem Dichter Herz und Lied überquollen! Liebe durch die ganze Scala tiefmenschlichen Empfindens, jene, man könnte fast sagen „evangelische Liebe“, wie sie in den feierlichen Choralstrophen seines Liedes austönt: „O lieb’, so lang du lieben kannst etc.“ – in der That hat es Aufnahme in kirchliche Gesangbücher gefunden und oft den Text zu weihevollen pastoralen Trau- und Grabreden geliefert – Liebe in dem Weherufe der „Todten an die Lebenden“, den unser Dichter schmerzbewegt und zornflammend – an des „Sängers Fluch“ in Uhland’s bekannter Ballade gemahnend – gegen die „stolzen Hallen“ eines Königsschlosses geschleudert hat, über Leichen,

„Die Kugel mitten in der Brust, die Stirne breit gespalten.“ –

Die Prädestination seines Dichtergenius war in bedeutenden „Motiven“, wie der Bildhauer sagt, dem originellen Charakterkopfe Ferdinand Freiligrath’s aufgeprägt; man konnte in dem offenen Gesichte des Dichters lesen, wie in dem aufgeschlagenen Buche seiner Dichtungen, den Poeten und den von diesem unzertrennlichen Menschen.

Auch die erregte Stimmung der flüchtigen, fröhlichen Stunde malte sich in ausdrucksvollen Reflexen auf diesem Löwenkopfe. Wie heiteres Wetterleuchten zuckte es von den Mundwinkeln über die gewaltige Stirne, blitzte die neckische Laune aus den sinnig tiefen Augen, wenn unser Dichter, der Arbeit los und ledig, der innern wie der äußern, geschäftlichen, in munterer Unterhaltung sich seines harmonisch gestalteten Familienlebens am häuslichen Herde erfreuen oder unter gemüthlich einverstandenen „trinkbaren Männern“ seinem Humor in freien Sprüngen die Zügel schießen lassen konnte. Er selbst allerdings war kein „trinkbarer Mann“ in der verwegenen Bedeutung des von Victor Scheffel in die Welt gesetzten Wortes. Aber er war nicht dazu angethan, sich durch „trübe Gedanken tief in die Melancholei“ scheuchen zu lassen, wie Klopstock in seiner Ode „An Ebert“ leichenbitterlich trübselig singt; davor behütete ihn sein fröhliches, dichterisches Verständniß für einen guten süffigen Tropfen. Der alte deutsche Rhein, wie er gesungen, rauschte „mit Wein- und Eichenlaub“ ihm um die Stirn und durch die Seele. Nicht zu vergessen des in grünen Römern blickenden Rheingoldes vom Johannisberge, von Rüdesheim, Geisenheim, Aßmannshausen, Marcobrunn und dem ganzen weiten „U. s. w.“, das die Weinkarte vom rebenglühenden Rheingau vor dem entzückten Blicke „froher, kluger

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_754.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)