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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


sie seinen Gegnern zuschleuderte, aber ohne Erfolg – sie stand hier an der Grenze ihrer Macht. Die Antworten klangen wild und drohend zurück, und der Förster stampfte mit dem Fuße auf den Boden; er verweigerte augenscheinlich den Gehorsam. Die kurze und hastig geführte Unterredung dauerte kaum einige Minuten, aber Niemand wich einen Schritt zurück, Niemand senkte die Waffe. Die auf’s Aeußerste gereizte Wuth der Leute erkannte keine Autorität und keine Rücksicht mehr an.

„Zurück, Wanda!“ sagte Waldemar leise, indem er sie seitwärts zu drängen versuchte. „Es kommt zum Kampfe. Sie können ihn nicht mehr verhindern. Geben Sie mir Raum zur Vertheidigung!“

Wanda gehorchte der Mahnung nicht, im Gegentheil, sie behauptete nur fester ihren Platz. Sie wußte, daß er der Uebermacht erliegen mußte, daß die einzige Rettung für ihn in ihrer unmittelbaren Nähe lag. Noch scheute man sich, sie zu berühren noch wagte es Keiner, sie von seiner Seite wegzureißen, aber der Moment nahte, wo auch diese letzte Schonung ein Ende nahm.

„Gehen Sie zur Seite, Gräfin Morynska!“ tönte die Stimme des Försters rauh und unheilverkündend mitten durch den Tumult. „Zur Seite – oder ich treffe Sie mit!“

Er hob die Büchse. Wanda sah, wie er den Finger an den Drücker legte; sie sah das von Wuth und Haß entstellte Antlitz des Mannes, und bei diesem Anblick schwanden ihr Besinnung und Ueberlegung. Vor ihrer Seele stand nur noch ein einziger klarer Gedanke, die Todesgefahr Waldemar’s, und zum letzten Mittel greifend warf sie sich an seine Brust und deckte ihn mit ihrem eigenen Körper.

Es war zu spät – der Schuß krachte, und schon in der nächsten Secunde antwortete die Waffe Nordeck’s. Mit einem dumpfen Schrei stürzte der Förster zusammen und blieb regungslos auf dem Boden liegen. Die Kugel Waldemar’s hatte mit furchtbarer Sicherheit ihr Ziel getroffen, er selbst aber stand aufrecht und Wanda mit ihm. Die Bewegung, mit der sie ihn zu schützen versuchte, hatte ihn aus der Bahn des tödtlichen Geschosses gezogen, und ihn und sie gerettet.

Das alles geschah so blitzschnell, daß Keiner von den Uebrigen Zeit hatte, sich an dem Kampfe zu betheiligen. In ein und derselben Minute sahen sie die Gräfin Morynska sich dazwischen werfen, den Förster am Boden liegen und den Gutsherrn mit hochgehobener Waffe sich gegenüber stehen, zum zweiten Schusse bereit. Es folgte eine secundenlange todtenstille Pause – Niemand regte sich.

Waldemar hatte unmittelbar nach dem Schusse Wanda in seine eigene einigermaßen gedeckte Stellung gedrängt und sich vor sie gestellt. Mit einem einzigen Blicke überschaute er die ganze Situation. Er war umringt, der Ausgang ihm verwehrt; sechs geladene Büchsen standen gegen seine einzige Waffe. Wenn es überhaupt zum Kampfe kam, so war er auch verloren und Wanda mit ihm, sobald sie es versuchte, ihn noch einmal zu schützen. An eine wirksame Vertheidigung war nicht zu denken. Hier konnte nur die Kühnheit retten, die Tollkühnheit vielleicht, aber gleichviel, sie mußte versucht werden.

Er richtete sich zu seiner vollen Höhe empor, warf mit einer energischen Bewegung das Haar zurück, das ihm über die Stirn gefallen war, und die nächste beiden Flintenläufe mit der Hand zur Seite schlagend, trat er mitten unter die Angreifer. Seine riesige Gestalt überragte sie allesammt, und sein Blick flammte nieder auf die rebellischen Untergebenen, als könne er mit diesem Auge allein sie vernichten.

„Die Waffen nieder!“ donnerte er mit der ganzen Kraft seiner mächtigen Stimme. „Ich dulde keine Rebellion auf meinem Gebiete. Da liegt der Erste, der es versucht hat. Wer es ihm nachthut, theilt sein Schicksal. Nieder die Büchsen, sage ich.“

Die Leute standen wie gelähmt vor Ueberraschung und starrten sprachlos ihren Herrn an. Sie haßten ihn; sie waren im vollen Aufstande gegen ihn begriffen, und er hatte ihnen soeben den Führer erschossen; das Nächste und Natürlichste wäre nur gewesen, daß sie Rache dafür übten, hier, wo die Rache in ihre Hand gelegt war. Sie hatten auch zweifellos die Absicht, sich auf Waldemar zu stürzen, aber als er nun mitten unter sie trat und ihre Waffen mit der bloßen Hand zur Seite schlug, als sei er wirklich gefeit gegen die Kugeln, als er Unterwerfung forderte mit der Miene und dem Tone des unumschränkten Gebieters; da regte sich die alte Gewohnheit des blinden Gehorsams, der, ohne nach dem Warum zu fragen, sich dem beugt, der überhaupt befiehlt, da siegte die instinctmäßige Fügsamkeit untergeordneter Naturen gegen eine überlegene Kraft. Sie bebten scheu zurück vor diesen flammenden Augen, die sie längst fürchten gelernt hatten, vor dieser drohenden Stirn mit der hochaufgeschwollenen blauen Ader. Und Waldemar stand ihnen unversehrt gegenüber. Die nie fehlende Kugel Osiecki’s war machtlos an ihm abgeglitten, aber der Förster lag todt am Boden, mitten in’s Herz getroffen – es lag etwas von abergläubischem Grauen in der Bewegung, mit der die Nächststehenden zurückwichen. Langsam senkten sich die drohenden Läufe. Der Kreis um den Gutsherren wurde weiter und weiter; das Wagniß, mit dem er, der Einzelne, einer sechsfachen Uebermacht die Spitze bot, war geglückt.

Waldemar wandte sich um, und den Arm Wanda’s ergreifend, zog er sie an sich. „Und nun gebt den Weg frei!“ befahl er in dem gleichen gebieterischen Tone, „schafft Raum!“

Einige der Leute rührten sich nicht von der Stelle, die beiden Vordersten aber wichen zögernd zurück und gaben dadurch in der That die Thür frei. Keiner von den Uebrigen widersetzte sich. Kein Wort des Widerspruches wurde laut; schweigend ließen sie ihren Herrn und die Gräfin Morynska durch. Waldemar beschleunigte seinen Schritt nicht im Mindesten. Er wußte, daß er die Gefahr nur für den Augenblick bewältigt hatte, daß sie verdoppelt zurückkehrte, sobald die Leute zur Besinnung kamen und sich ihrer Ueberlegenheit bewußt wurden, aber er fühlte auch, daß das geringste Zeichen von Furcht verhängnißvoll werden mußte. Noch beherrschte die Macht seines Auges und seiner Stimme die ganze sonst so zügellose Bande – es galt, sie hinter sich zu lassen, noch ehe der Bann gebrochen war, und das konnte schon in der nächsten Minute geschehen.

Er trat mit Wanda in’s Freie. Draußen harrte der Schlitten, und der Kutscher mit schreckensbleichem Gesichte eilte ihnen entgegen. Die Schüsse hatten ihn an das Fenster gelockt; er mußte den Vorgang theilweise mit angesehen haben. Waldemar hob rasch seine Begleiterin in den Schlitten und stieg selbst nach.

„Fort!“ sagte er kurz und hastig. „Bis zu den Bäumen dort im Schritt, dann aber gieb den Pferden die Zügel, und so schnell als möglich in den Wald hinein!“

Der Kutscher gehorchte. Er mochte wohl um sein eigenes Leben besorgt sein. In wenigen Minuten hatten sie die schützenden Bäume erreicht, und nun ging es in rasender Eile vorwärts. Waldemar hielt noch immer die Waffe mit dem gespannten Hahn in der Rechten, seine Linke aber umschloß die Hand Wanda’s so fest, als wolle er sie nicht wieder loslassen. Erst als eine ganze Strecke zwischen ihnen und der Försterei lag und jede Furcht vor nachgesandten Kugeln beseitigt war, gab er seine Vertheidigungsstellung auf und wandte sich zu seiner Begleiterin. Er sah es erst jetzt, daß die Hand, welche er in der seinigen hielt, mit Blut bedeckt war – es rieselte noch in einzelnen schweren Tropfen unter dem Aermel des Kleides hervor, und der Mann, der eben noch mit so eiserner Ruhe der Gefahr die Stirn geboten hatte, wurde bleich bis an die Lippen.

„Es ist nichts,“ sagte Wanda, hastig seiner Frage zuvorkommend. „Die Kugel Osiecki’s muß mich gestreift haben. Ich fühle die Wunde erst in diesem Augenblick.“

Waldemar riß sein Taschentuch hervor und war ihr behülflich, es um den verwundeten Arm zu legen. Er wollte reden – da hob die junge Gräfin das todtenblasse Antlitz empor. Sie bat nicht, verbat nicht, aber es stand ein Ausdruck so angstvollen Flehens darin, daß Nordeck verstummte; er begriff, daß er sie für den Moment wenigstens schonen mußte. Nur ihren Namen sprach er aus, aber es lag mehr in dem einen Worte, als eine ganze stürmische Erklärung faßte: „Wanda!“

Sein Blick suchte den ihrigen, aber umsonst – sie hob das Auge nicht wieder empor, und ihre Hand lag schwer und kalt in der seinigen.

„Hoffen Sie Nichts!“ sagte sie tonlos und so leise, daß es nur wie ein ersterbender Hauch sein Ohr berührte. „Sie sind der Feind meines Volkes – und ich bin die Braut Leo Baratowski’s.“

(Fortsetzung folgt.)
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