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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Freuden dieser Spielplätze. Alljährlich findet hier – gewöhnlich am Geburtstage der Prinzessin Charlotte (geb. 24. Juli 1860) – ein fröhliches Kinderfest statt, welches das kronprinzliche Ehepaar als Gutsherrschaft des benachbarten Bornstedt der Schuljugend dieses Dorfes giebt.

Zur bestimmten Stunde erscheinen die Kinder auf dem grünen Vorplatze des Neuen Palais, sämmtlich in ihren Sonntagskleidern, und werden von den jungen kronprinzlichen Herrschaften willkommen geheißen. Auf dem grünen Rasen sind Bänke und Tische aufgeschlagen, die letzteren mit mächtigen Kaffeekannen und hochragenden Kuchenbergen besetzt. Nachdem auch der Kronprinz und seine Gemahlin erschienen sind, werden die Plätze eingenommen. Ein Hofceremoniell findet nicht statt, ist auch nicht nöthig, da den Kindern schon zu Hause von ihren Eltern die Verhaltungsmaßregeln eingeschärft worden sind, und das gehobene Gefühl, Gäste „bei Kronprinzens“ zu sein, sich schon in ihrem artigen Wesen und ihren anständigen Manieren ausspricht. Diejenigen, welche noch nicht „bei Hofe“ waren, suchen es darin den älteren, welchen dieser Vorzug schon zu Theil ward, nachzuthun:


Der Gutsherr von Bornstedt und Paretz mit Familie.


Die Prinzessinnen Charlotte und Victoria machen die Wirthinnen und werden von ihren Brüdern bestens unterstützt. Letztere heben wohl selbst die Kleinsten in die Höhe, damit auch ihre Aermchen die lockenden Kuchenschüsseln zu erreichen vermögen. Die Kronprinzessin übersieht mit Hausfrauenblick die ganze lange Tafel, ermuntert zum Zulangen und legt den Bescheidenen auch selbst den Kuchen vor oder den Zucker in die Kaffeetasse.

Nach dieser Erquickung beginnen die Spiele der Knaben mit Stangenklettern, Springen, Wettlaufen vor- und rückwärts, Sacklaufen etc., wobei die jungen Prinzen Heinrich und Waldemar immer unter den ersten sind und der Kronprinz die allgemeine Lust durch heitere Scherze und durch die von ihm ausgesetzten Glückspreise noch steigert. Immer fröhlicher geht es her. Hier fällt ein kleiner Ungeschickt auf die Nase und überkugelt sich im Grase; dort tappt ein Anderer beim Rückwärtslaufen unter dem allgemeinen Gelächter in ganz falscher Richtung an dem Ziele weit vorbei. Alles bewundert und prüft die in diesen olympischen Wettkämpfen errungenen Preise, – Hüte, Tücher, Trommeln und Pfeifen, auch schön bemalte Drachen, die im Herbste hoch in die Bornstedter Lüfte aufsteigen sollen. Ueberall vernimmt man den Ausdruck harmloser, frischer Jugendlust. Köstlich mundet das Obst aus den kronprinzlichen Gärten, und die liebenswürdigen jungen Prinzessinnen reichen wohl selbst manchem artigen Kinde eine süße Frucht, damit dieses sie der Mutter mitbringen könne.

Von den frohen Tummelplätzen der Jugend wenden wir uns zu einer ernsten Stätte in der Nähe. Seitwärts von den am meisten betretenen Wegen des Parkes liegt, unter hohen, schattenden Bäumen verborgen, ein kleiner Tempel. Es ist das Mausoleum mit dem Marmorbilde der Königin Louise, von gleicher Kunstschönheit, von gleich edlen Formen, wie dasjenige in Charlottenburg. Mit diesem Kunstwerke hat es bekanntlich folgende Bewandtniß.

Als das Marmorbild der Königin Louise von Rauch im Mausoleum zu Charlottenburg aufgestellt war, erregte dasselbe die allgemeine Bewunderung. Nur der Meister selbst war nicht zufrieden und begann in der Stille die Modellirung eines neuen Bildwerkes. Niemand ahnte etwas davon, selbst nicht seine eigenen Schüler, bis er nach zwölfjähriger Arbeit sein Modell vollendet hatte und dem Könige davon Anzeige machte, wohl in der Hoffnung, daß er den Auftrag erhalten würde, dasselbe in Marmor auszuführen, und daß das neue Bildwerk an Stelle des ersten in das Mausoleum zu Charlottenburg aufgenommen werden möchte. Aber dazu kam es nicht. Dem Könige war unterdessen das Marmorbild der Dahingeschiedenen in Charlottenburg lieb und gewohnt geworden; er wollte von einer Veränderung nichts hören. Rauch erhielt zwar den Auftrag zur Ausführung des Marmorbildes; zu seiner Aufstellung wählte jedoch der König den früheren Antiken-Tempel beim Neuen Palais, welcher nun in ein Mausoleum umgewandelt und an seinen Wänden mit demselben Zeuge und in demselben Faltenwurf bekleidet wurde, wie das Schlafgemach der Königin Louise im Potsdamer Stadtschloß.

Die Verschiedenheit zwischen diesem und dem älteren Werke ist für den Laien kaum wahrnehmbar und zeigt sich diesem zunächst nur in der Wahl des Maßstabes – hier Lebensgröße, dort sechs Zoll über Lebensgröße. Bei näherer Betrachtung erkennt man jedoch die veränderte Auffassung des Künstlers, durch welche dieses Kunstwerk noch eine höhere ästhetische Bedeutung erhält, als jenes andere in Charlottenburg.

Der Anblick des Marmorbildes an dieser Stätte ist von ergreifender Wirkung, ist es doch, als ob der Geist der Verklärten noch jetzt hier waltete und als ob der Segen ihres Familienlebens auch auf das hohe Paar übergegangen wäre, welches die Räume dieses Schlosses bewohnt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_727.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)