Seite:Die Gartenlaube (1876) 722.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


lag es in dem vergangenen Winter ferner ob, an die kaiserliche Admiralität Berichte über Untersuchungen und Verbesserungsvorschläge in Betreff des einer Reorganisation so sehr bedürfenden Nebel- und Nachtsignalwesens der Schiffe abzugeben.

Die angestrengteste Thätigkeit, deren Resultate dem Publicum wohl auch am meisten vor Augen kommen, liegt der dritten Abtheilung ob, die sich mit Küstenmeteorologie und Sturmwarnungswesen beschäftigt. Ihr war bei der Errichtung der Seewarte die sehr schwierige Aufgabe gestellt, eine vollständig neue Organisation der Beobachtungsweisen und der Stationen, gemäß den Beschlüssen des ersten Meteorologencongresses zu Wien, in’s Leben zu rufen. Dies ist ihr vollständig gelungen. Ein geordnetes meteorologisches Beobachtungssystem ist nun schon fünfzehn Monate in voller Thätigkeit, und seit dem 15. Februar werden täglich Witterungsberichte und Karten herausgegeben, die Großbritannien, Scandinavien, fast das ganze europäische Rußland, Oesterreich-Ungarn, Italien, Frankreich und Deutschland umfassen. Diese sogenannten synoptischen Karten, auf denen die zu gleicher Ortszeit an den verschiedenen Stationen angestellten Beobachtungen eingetragen sind, lassen den Witterungszustand dieser Länder sofort erkennen. Die auf Null Grad und auf das Meeresniveau reducirten Barometerstände sind neben den Stationen in Millimetern eingetragen. Nach diesen Zahlen werden Linien gezogen, die durch alle die Orte gehen, welche gleiche Barometerhöhen haben; um die Karten nicht unübersichtlich zu machen, geschieht dies jedoch nur für je fünf Millimeter Differenz. Diese Linien, die Isobaren heißen, geben die beste Uebersicht über die Vertheilung des Luftdruckes. Die Windrichtung wird durch mit der Luftströmung fliegende Pfeile angegeben; die Windstärke läßt sich an der Zahl der Federn an der Fahne der Pfeile erkennen, und zwar steigt dieselbe mit der Stärke des Windes von eins bis sechs; es bedeutet mithin ein Pfeil mit sechs Federn einen heftigen Orkan mit einer Geschwindigkeit von über dreißig Meter die Secunde, oder circa hundertzwanzig Kilometer die Stunde, was einem Luftdruck von über fünfundneunzig Kilogramm auf den Quadratmeter gleichkommt. Ein Pfeil mit einer Feder dagegen bedeutet ganz schwachen Wind von ein bis vier Meter Geschwindigkeit die Secunde, oder vier bis vierzehn Kilometer die Stunde, mithin nur einen Druck von circa 1,5 Kilogramm auf dieselbe Fläche.

Die Art der Bewölkung erkennt man an dem Aussehen der kleinen Kreise, welche die Stationen darstellen. Wenn das Innere derselben leer ist, so ist der Himmel an den betreffenden Orten ganz heiter; ist das obere rechte Viertel der Kreise schwarz ausgefüllt, so ist der Himmel leicht bewölkt; halb bedeckt ist er dagegen, wenn die rechte Hälfte schwarz ist; fast bedeckt, wenn nur noch das obere linke Viertel weiß gelassen ist; ein ganz schwarzer Kreis bedeutet endlich ganz überzogenen Himmel. Eine zweite derartige synoptische Witterungskarte stellt ferner die Temperaturverhältnisse, den Niederschlag (Regen wird durch einen schwarzen Punkt in der Station, Schnee durch einen Stern, Hagel durch ein schwarzes Dreieck, Gewitter durch eine Zickzacklinie bezeichnet) und den Seegang an den Küstenstationen dar.

Das zur Construction dieser Karten nöthige meteorologische Material wird der Seewarte außer von den sieben von dem Institute unmittelbar abhängigen Normalbeobachtungsstationen (Memel, Neufahrwasser, Swinemünde, Keitum, Borkum etc.) noch von sämmtlichen deutschen Stationen, unter denen wir nur Crefeld, Münster, Karlsruhe, Bamberg, Trier, Leipzig, Kassel, Berlin, Breslau und Thorn nennen wollen, täglich ein- oder von manchen sogar zweimal telegraphisch eingesandt und ist diesen Depeschen vor allen anderen Privattelegrammen der Vorrang eingeräumt. Hierzu kommen noch die täglichen telegraphischen Witterungsberichte von sechsundvierzig Stationen des Auslandes, deren Zahl man bald auf sechszig zu bringen hofft, wenn England, das bis jetzt nur von Valentia an der Westküste von Irland, Thurso an der Nordspitze Schottlands und Yarmouth Berichte einsendet, ferner Schweden und Italien mit ihren sämmtlichen Stationen diesem telegraphischen Wechselverkehre beigetreten sein werden. Es hat eine unendliche Arbeit und Geduld erfordert, bis dieser ausgedehnte Depeschenaustausch in’s Leben getreten ist, dessen Zustandekommen ein nicht geringes Verdienst des bewährten Leiters des Instituts ist.

Da die Seewarte seit Kurzem mit allen Stationen in directer telegraphischer Verbindung steht, so ist das sehr beschwerliche Abholen der Depeschen von dem fast eine halbe Stunde entfernten Telegraphenamte Hamburg weggefallen. Gegen halb zehn Uhr Morgens kommen die ersten Depeschen an, denen dann rasch die übrigen folgen, sodaß um zehn Uhr sämmtliche Berichte des Inlands zur Hand sind. Eine Auswahl derselben wird sofort auf telegraphischem Wege an ausländische Institute, so z. B. nach London, Paris, Brüssel, Stockholm, Petersburg, Wien etc. und außerdem noch an einige größere deutsche Zeitungen, die Abendnummern herausgeben, gesandt. Kaum ist dies geschehen, so laufen schon die Berichte obiger ausländischer Institute ein, und nun wird sofort mit der Bearbeitung des gewonnenen Materials begonnen. Die inländischen Telegramme werden nach Berechnung der Aenderungen geordnet und mit autographischer Tinte auf besonderes Papier geschrieben. Behufs Versendung dieser Berichte an alle größeren Zeitungen mit den Nachmittagsschnellzügen muß diese Arbeit um zwölf Uhr beendet sein, worauf sogleich die Absendung in die Druckerei und von da zur Post erfolgt.

Nun wird sofort zur Zeichnung der Wetterkarten mit bereits fertigem Netz und Länderumrissen geschritten, die nach Vollendung auf autographischem Wege vervielfältigt werden. Bis um vier Uhr sind dieselben soweit fertig, daß die erste Pause eintreten kann, die bis etwas nach fünf Uhr dauert, wo dann die Nachmittagsberichte einlaufen, deren Bearbeitung theilweise in der Druckerei selbst erfolgen muß, damit dieselben noch in die soweit zum Drucke fertigen Karten eingetragen werden können; außerdem kommt noch eine kurze Uebersicht über die Aenderungen seit den Morgenbeobachtungen hinzu. Um acht Uhr sind diese Karten fertig und werden durch die Nachtschnellzüge an den Ort ihrer Bestimmung gebracht. Der jedenfalls sehr billige Preis (inclusive täglicher portofreier Zusendung) von fünfzehn Mark vierteljährlich ermöglicht es Manchem, der Interesse für Meteorologie hat, diese höchst belehrenden und sauber ausgeführten Karten durch das nächste Postamt zu beziehen. Die allgemeine Verbreitung derselben würde für das Publicum wegen der daraus zu ziehenden Wetterprognosen von großem Nutzen sein. Könnten nicht auch die Besitzer großer Restaurants, die jährlich für Zeitungen so viel Geld verausgaben, auf diese Karten abonniren? Sie würden dadurch gewiß manchem ihrer Gäste einen erwünschten Dienst erweisen. Doch davon später!

Die dritte Abtheilung besorgt außerdem noch die Sturmwarnungen. Zu diesem Zwecke soll schon in diesem Herbste ein hoher Signalapparat vor dem weithin sichtbaren Seemannshause aufgestellt werden, an dem durch verschiedenartige Stellungen von Flaggen und aus Weidengeflecht hergestellten großen Kugeln und kegelförmigen Körpern der Seemann erkennen kann, ob Gefahr im Anzug ist. Ein solcher Apparat soll später in allen größeren Häfen aufgestellt werden, und es steht dann zu hoffen, daß durch ihn gar mancher Unglücksfall vermieden werden wird. Waren doch in England im Jahre 1872 auf hundert Sturmwarnungen einundsechszig wirkliche Stürme und zwanzig starke Winde gefolgt. – Die vierte Abtheilung beschäftigt sich ausschließlich mit der Prüfung von Chronometern, die dem Seemanne zu genauen Ortsbestimmung so unentbehrlich sind. Es ist zu hoffen, daß durch diese Einrichtung die deutsche Chronometerfabrikation, die der von England bislang noch etwas nachstand, dieser bald ebenbürtig werden wird.

So hat die deutsche Seewarte in der kurzen Zeit ihres Bestehens schon bedeutende Beweise ihrer Leistungsfähigkeit gegeben. Aber nicht allein dem Handel und Seeverkehr ist Gelegenheit geboten, bedeutende Vortheile aus der Anstalt zu ziehen, sondern auch im Binnenlande giebt es einen Erwerbszweig, dem die Segnungen des Instituts in reichem Maße zugewandt werden könnten, wenn wir Deutsche nur sozusagen hinreichend meteorologisch erzogen wären. Nicht genug, daß mancher Rheder, durch Assecuranz seiner Schiffe gesichert, geradezu ein Feind solcher Institute, wie die Seewarte, ist, weil die Warnungen derselben seine Capitaine bestimmen könnten, nicht zu der festgesetzten Zeit in See zu gehen, oder daß viele Seeleute und Fischer aus Trägheit sich nicht einmal die Mühe nehmen, die Warnungssignale verstehen zu lernen, nein, auch unsere gesammte politische Presse, deren Endzweck doch schließlich Belehrung des Publicums über alle wichtigen Erscheinungen und Neuerungen in der menschlichen Gesellschaft sein soll, hat in Betreff der Meteorologie ihre Pflicht noch

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_722.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)