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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


stattlichen Ziegelsteinbau in Eckhausform, in dessen Mitte ein kurzer Thurm mit hoher Fahnenstange und Windfahne sich erhebt. Dieses von prangendem Grün umgebene Gebäude ist das sogenannte „Seemannshaus“, in welchem beschäftigungslose Seeleute ein gutes und billiges Unterkommen, erkrankte die nöthige Pflege finden und das gleichzeitig alten in Sturm und Wetter ergrauten „Theerjacken“ für die letzten Lebenstage ein ruhiges, stilles Asyl gewährt. In diesem Gebäude befindet sich nun auch gleichzeitig das neue Reichsinstitut, die deutsche Seewarte.

Schon im Jahre 1865 ergingen von verschiedenen Seiten, besonders von Frankfurt am Main, in Folge des damals zuerst auftretenden Projects einer deutschen Nordpolexpedition auch Anregungen zur Gründung eines Instituts, welches nach Art der in England und Nordamerika schon länger bestehenden ähnlichen Anstalten, durch Bearbeitung der von deutschen Capitainen zur See geführten meteorologischen Journale zur Sicherung und Abkürzung der Seereisen beitragen sollte. In Folge der damaligen politischen Verhältnisse konnte erst im Jahre 1868 die Hamburger Handelskammer mit der Errichtung einer „Norddeutschen Seewarte“ vorgehen, wobei sie von den Bremer und vielen anderen bedeutenden deutschen Rhedern unterstützt wurde. Der private Charakter der Anstalt aber und die geringen Mittel, über welche sie verfügte, gefährdeten ihre Existenz und ihr Ansehen im In- und Ausland, obgleich das inzwischen neu erstandene Reich eine Subvention bewilligt hatte und 1872 in Folge dessen der Name des Instituts in „Deutsche Seewarte“ umgeändert wurde. Namentlich fehlte jede größere Ausdehnung des Sturmwarnungswesens und der Wettertelegraphie. Die Reichsregierung beschloß daher die Uebernahme des Instituts in das Reichsbudget. Der dahin gehende Gesetzentwurf wurde vom Reichstag am 14. December 1874 unverändert angenommen, obwohl sich Stimmen gegen den Sitz der Anstalt in Hamburg erhoben und dieselbe vielmehr als eine deutsche Centralanstalt für die Physik der Erde nach Berlin verlegt wissen wollten.

Für die Neuorganisation wurden als einmaliger Aufwand 65,000 Mark und für den Betriebsfond als jährliche Unterstützung 74,800 Mark bewilligt, wovon 50,000 Mark auf Besoldung und Remunerationen und 24,800 Mark auf sächliche Ausgaben kommen. An Stelle des bisherigen Leiters des Instituts, Wilhelm von Freeden, trat der wirkliche Admiralitätsrath Professor Neumayer, dessen Streben schon von Jugend an auf das Inslebentreten eines solchen Instituts in Deutschland gerichtet gewesen war und der, wenn auch oft fern vom Vaterlande, stetig dafür gewirkt hatte. Durch seine weiten Seereisen in das Südpolarmeer, ferner als langjähriger Leiter des Observatoriums zu Melbourne in Südaustralien und später als Hydrograph der kaiserlich-deutschen Marine war er wohl mit am befähigtsten, die schwierige Stelle eines Vorstehers der neu zu organisirenden Anstalt zu übernehmen.

Die Hamburger Centralstelle der Seewarte zerfällt in vier Abtheilungen mit je einem Vorstand, welcher direct unter dem Leiter derselben steht. Es sind dies die Herren Wagner, Koldewey, Köppen und Rümker. Letzterer ist zugleich Director der Hamburger Sternwarte. Außer sechs Hülfsarbeitern und mehreren Bureau- und Unterbeamten sind noch neunzehn Nebenstellen vorhanden, nämlich Agenturen ersten und zweiten Ranges und Vorstände der Normalbeobachtungsstationen. Das ganze Institut ist dem Chef der kaiserlichen Admiralität unterstellt.

Die erste Abtheilung ist für maritime Meteorologie bestimmt, und werden an derselben nur mit dem Seewesen ganz Vertraute, ehemalige Capitaine etc., angestellt, während an den anderen Abtheilungen auch durch Universitätsstudien hinreichend Vorgebildete, die mit dem Seewesen nicht bekannt zu sein brauchen, Anstellung finden. Alles, was sich auf die physikalischen Verhältnisse des Meeres und auf die meteorologischen Erscheinungen, soweit deren Kenntniß der Schifffahrt von Nutzen ist, bezieht, wird von dieser Abtheilung gesammelt und bearbeitet. Zu dem Zwecke wurden im Laufe dieses Geschäftsjahres an über zweihundert Schiffe meteorologische Beobachtungsjournale von dieser Section abgegeben, von denen innerhalb desselben Zeitraums fast hundertfünfzig, mit Beobachtungen gefüllt, wieder zurückgeliefert wurden. Da man aber beabsichtigt, in nächster Zeit den Grundsatz in aller Strenge durchzuführen, nur solche Journale anzunehmen, deren Beobachtungen mit Instrumenten der Seewarte selbst gewonnen worden sind, so wird sich wohl nach den Erfahrungen, die das meteorologische Büreau in London hierbei gemacht hat, die Zahl derselben vermindern. Dafür wird man aber die Sicherheit haben, daß nur genaue Beobachtungsreihen in Rechnung gezogen werden. Eine specielle Aufgabe dieser Abtheilung ist ferner die Bearbeitung aller nautisch wichtigen Beobachtungen, die sich auf den atlantischen Ocean zwischen zwanzig und fünfzig Grad nördlicher Breite beziehen. Auf Grund derselben wird auch beabsichtigt, ein Segelhandbuch für dieses Meer herauszugeben. Außerdem wurden auch besondere schriftliche Segelanweisungen für bestimmte Routen an fünfzig Capitaine auf deren Verlangen abgegeben; in Zukunft beabsichtigt man gedruckte Segelanweisungen zu publiciren. Die Arbeit, welche dieser Abtheilung durch die Verwaltung und Controle der zahlreichen Agenturen der Seewarte in verschiedenen Hafenstädten der Nord- und Ostseeküste erwächst, ist eine nicht unbedeutende. Der Abtheilungsvorstand hat auch den Verkehr mit dem nautischen Publicum zu besorgen, namentlich durch Erklärung der Segelanweisungen und Besprechung der zu wählenden Seewege das Verständniß der Capitaine für die Ziele und Absichten der Seewarte zu heben und so indirect auch auf die Rheder einzuwirken.

Die zweite Abtheilung befaßt sich mit der Prüfung von Instrumenten und hat die literarischen Publicationen des Instituts zu besorgen; auch ist derselben die Bibliothek der Seewarte untergeordnet. Letztere ist, wenn auch natürlich noch nicht umfangreich, so doch schon recht werthvoll. Sie besteht hauptsächlich aus dem elfhundert Bände ausmachenden Theile der Bibliothek des berühmten Meteorologen Professor Dove, welchen die Anstalt zu einem mäßigen Preise erworben hat. Außerdem enthält sie noch zahlreiche Land- und Seekarten.

Der wiederholt bei Gelegenheit von Unglücksfällen zu Tage tretende bedauerliche Umstand, daß von mechanischen Werkstätten zuweilen ganz unbrauchbare, fehlerhafte Instrumente an Schiffsführer verkauft werden, welche letztere meist nicht im Stande sind, dieselben auf ihre Güte hin genau zu prüfen und sich vor Schaden zu bewahren, hatte schon längst die Aufmerksamkeit der Sachverständigen auf sich gezogen, und es erschien sehr wünschenswerth, diesen großen Uebelständen abzuhelfen. Es übernahm deshalb diese Abtheilung die Prüfung der von den Capitainen eingelieferten Barometer und Thermometer, Sextanten und Compasse, von welchen Instrumenten besonders die beiden letzteren Gattungen eingehende Beachtung finden. Es hat sich diese Einrichtung als eine sehr nützliche erwiesen. Die Mechaniker verwenden seitdem mehr Sorgfalt auf die Anfertigung ihrer Apparate, lassen dieselben sogar schon theilweise selbst durch die Seewarte prüfen, was ihnen dann durch besondere Certificate bescheinigt wird. Dadurch ist es den Capitainen ermöglicht, wirklich brauchbare und zuverlässige Instrumente zu erlangen. Es wurden im ersten Jahre sechshundert derartige Apparate geprüft, und ist diese Einrichtung ein nicht zu unterschätzender Nutzen der Seewarte.

Die Magnetnadel ist bekanntlich für den Seemann eines der unentbehrlichsten Instrumente, die ihn mitten durch die großen Wasserwüsten der Oceane den sicheren Weg finden lehrt. Nun erleidet dieselbe jedoch durch die Nähe von Eisenmassen bedeutende Störungen und Ablenkungen (Deviationen). Mit der wachsenden Zahl eiserner Schiffe, die durch das Nieten und Hämmern bei ihrem Baue stets magnetisch werden, wächst mehr und mehr die aus diesen Störungen und Ablenkungen entstehende Gefahr. Die Nichtbeachtung derselben zählt jedenfalls mit zu den Ursachen der Katastrophen, die neuerdings verschiedene große Eisendampfer betroffen haben.

Eine genaue Untersuchung des Verhaltens der Compasse an Bord eiserner der Schiffe war daher eine Hauptaufgabe dieser Section. Eine angemessene Zahl solcher Fahrzeuge wurde bisher schon darauf hin untersucht, was durch gleichzeitige sich gegenseitig controlirende Beobachtungen am Lande und an Bord bei Richtung der Schiffslängsaxe nach den zweiunddreißig Compaßstrichen geschieht; ferner wurde Schiffsbaumeistern in Bezug auf die beste Construction der Compaßaufstellung Rath ertheilt, wie auch für eine Zahl älterer eiserner Segelschiffe und Dampfer Deviationstabellen berechnet wurden. Ein kleines Modell, das in einem Zimmer der Seewarte aufgestellt ist, veranschaulicht deutlich die Ablenkungsfehler, welche durch die eisernen Deckbalken, Maste etc. bei einer Cursänderung des Schiffes entstehen. Dieser Abtheilung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 721. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_721.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)