Seite:Die Gartenlaube (1876) 707.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Zur Geschichte der geheimen Gesellschaften.

1. Der Ducatenorden.

Der Hang des Menschen zum Geheimnißvollen, zum Räthselhaften und Unerklärlichen ist so alt wie die Welt, liegt er doch tief in unserer Natur begründet. In den Cultusformen aller Völker und aller Zeiten sehen wir darum auch dem Mystischen eine Hauptrolle zugewiesen, ja die Macht der meisten Religionen beruht wesentlich auf dem Mystischen, mit dem man die Geschichte ihres Ursprungs und ihre Lehren und Gebräuche zu umhüllen pflegt. Merkwürdiger Weise aber ist diese uns angeborene Neigung zum Geheimnißvollen und Uebernatürlichen kaum jemals stärker hervorgetreten, als in einer Periode, deren specifisches Gepräge der große Kampf des Fortschrittes wider träges oder selbstsüchtiges Beharren, das Ringen nach Aufklärung, nach der Erlösung aus den Banden geistiger Unfreiheit, aus Aber- und Wahnglauben bildet, in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Neben dem Hoch und Niedrig erfüllenden Drange, überall Licht zu schaffen, wo bisher Dunkel und Finsterniß waren, ging als Charakterzug durch die damalige Welt die jener lichtfreundlichen diametral entgegengesetzte Tendenz nach Geheimbünden und mystisch ausgeschmückten Ordensgesellschaften, nach eidlich gebundenen Verbrüderungen mit seltsam verschnörkelten Gelöbnissen und Feierlichkeiten. Diese Tendenz aber entsprang theils aus der noch immer nicht überwundenen alchymistisch-theosophischen Richtung, theils stand sie im engsten Zusammenhange mit der die Zeit beherrschenden Gefühls- und Rührseligkeit, die selbst auf die klarsten Köpfe nicht ohne Einfluß blieb. Und dazu kam als vielleicht wichtigster Factor noch ein Drittes: es war die Epoche jener aufgeklärten Despoten, an deren Spitze wir Friedrich den Großen erblicken, jener von der Strömung der Zeit ergriffenen Monarchen, die wohl viel für, nichts aber durch das Volk in’s Werk zu richten geneigt waren. So ist das Spiel mit Geheimbünden und Ordensförmlichkeiten das gemeinsame Product ganz widerstrebender Tendenzen, ein Kind der aufklärenden Forschung und der mystischen Schwärmerei, der Humanität und des Absolutismus, alle diese verschiedenartigen Richtungen aber mischen und durchdringen sich in den geheimen Gesellschaften dergestalt, daß man in der Regel nicht zu entscheiden vermag, welche derselben die eigentlich kennzeichnende und maßgebende ist.

Die Anzahl der im achtzehnten Jahrhunderte bestehenden geheimen Gesellschaften ist zweifelsohne eine sehr beträchtliche, läßt sich jedoch schwerlich genau feststellen, da manche dem größeren Publicum nur ganz oberflächlich, mehrere wohl gar nicht bekannt geworden sind und somit ihren Namen bis zur heutigen Stunde mit vollem Rechte führen. Viele dieser Orden waren nichts als leere Modetändelei, willkommene Abwechselung bringende Zerstreuung für eine müßige und blasirte Welt; anderen lagen in der That bestimmte Absichten und Ziele zu Grunde, religiöser oder humanitärer, politischer oder socialer Natur; noch andere waren ein reiner Humbug, der die Zeitströmung, die Neugier und Leichtgläubigkeit der Menschen zum Vortheile einzelner Persönlichkeiten auszubeuten suchte, ohne irgend sonst welchen erlaubten oder unerlaubten Zwecken zu dienen. Die kurze Schilderung eines der allerwundersamsten Orden der letzterwähnten Kategorie, von dem der größere Theil unserer Leser wohl noch niemals vernommen, möge einen kleinen Cyclus von Aufsätzen einleiten, in denen nach und nach von einer Reihe der eigenthümlichsten geheimen Gesellschaften nicht blos des letzten Jahrhunderts, sondern auch früherer Zeiten berichtet werden soll.

Einem von Friedrich’s des Großen Obersten, der ein zu Wesel stehendes Infanterieregiment befehligte, einem erlauchten Herrn, dem Reichsgrafen Franz Karl Ludwig von Wied-Neuwied, mochte es zu Herzen gehen, daß er bisher nichts für die Unsterblichkeit gethan hatte; denn von seinen kriegerischen Lorbeeren meldet die Geschichte nichts, und so verfiel er auf den in jenen Tagen höchst zeitgemäßen und Erfolg verheißenden Gedanken, die Welt mit einem neuen geheimen Orden zu beglücken. Solches geschah im Octobermonat des Jahres 1746, noch mitten in den Stürmen des österreichischen Erbfolgekrieges, in welchem der junge preußische Aar das alte politische System Europas über den Haufen zu werfen begann.

Der Plan des neuen Ordens war der einfachste, der sich nur ersinnen läßt; bestand er doch in nichts Anderem, als in dem Bestreben, die größtmögliche Menge von Ducaten zusammenzubringen, weshalb die Vereinigung, der ihr Stifter den harmlosen Titel der „Löblichen 1746er Societät“ beigelegt, auch kurzweg die Ducatensocietät oder der Ducatenorden geheißen wurde. Als letzterer ist ihr Andenken auf die Nachwelt gekommen. Daß kein Schwindel und Unsinn in der Welt zu toll und zu plump ist, um Gläubige und Anhänger zu finden, sehen wir aus den Erfolgen, deren sich die abgeschmacktesten der sogenannten Wunder- und Geheimmittel noch fort und fort zu erfreuen haben, Unsinnigeres ist aber wohl kaum jemals auf das Tapet gebracht worden, als des hochmögenden Herrn von Wied-Neuwied Ducatensocietät. Sie bezeichnet unstreitig den Gipfelpunkt der zur Zeitkrankheit gewordenen Ordensbündelei und Geheimnißkrämerei. Fanden sich doch binnen Kurzem Hunderte sonst keineswegs unzurechnungsfähiger Menschen, die darauf „hineinfielen“, allmonatlich ihren Ducaten einzuschicken und ihrerseits neue Ducatenspender anzuwerben; denn, wie gesagt, das war der ganze Witz der Sache, und der Stifter des sonderbaren Bundes sprach dies auch, im directen Gegensatze zu anderen Gründern von dergleichen geheimen Gesellschaften, mit einer wahrhaft naiven Offenherzigkeit aus. Trotzdem aber nahm die Sucht, seine Ducaten los zu werden, bald dermaßen überhand, daß landesherrliche Erlasse dagegen einschreiten und der frechen Gaunerei – das war ja des Pudels Kern – ein Ziel stecken mußten.

Ueber sein Wesen, seine Organisation und seine Absichten hat der Orden selbst für seine Mitglieder eine eigene Schrift veröffentlicht, die uns ein Zufall in die Hände gespielt hat. Nach diesem jetzt äußerst selten gewordenen Documente, dessen vollständiger Titel lautet: „Kurtze und zuverlässige Nachrichten von dem Ursprung, itzigen Beschaffenheit und Endzweck der in Anno 1746 errichteten Societät. Herausgegeben durch G. Matth. von Gudenus, Hochgräfl. Wied-Runkelischen Hofrath, der Löbl. Societät Senior und Correspondenten. Neuwied, gedr. bei Joh. Balth. Haupt, Hochgräfl. Wiedischen Hof- wie auch der Löbl. Societät Buchdrucker. 1747,“ haben wir uns Gestalt und Wirksamkeit der reichsgräflichen „1746er Societät“ folgendermaßen zu denken.

Kaum hatte der vornehme Stifter seine sinnreiche Idee ausgebrütet, so gewann er auch schon Jünger derselben. Die ersten Mitglieder, Edelleute, höhere Officiere und Staatsdiener, empfing die Gesellschaft schon im Monate ihres Entstehens. Jedem der Neuaufgenommenen wurde eine in schwülstigem und mystischem Kauderwelsch abgefaßte Bescheinigung ertheilt: „daß sein Name in den Societäts-Gegenbüchern richtig eingetragen worden sei und daß er fortan der Societätsprivilegien zu genießen habe.“ Wogegen er eine schriftliche Erklärung abgeben mußte, nach welcher er sich zur Zahlung eines Ducatens pro Monat verpflichtete, auch anheischig machte, die Ducaten der von ihm für die Gesellschaft gewonnenen Personen beizutreiben und dem Cassirer des Vereins allmonatlich einzuhändigen. Das Ordenszeichen war ein in Silber gefaßter Kremnitzer Ducaten, den die „simplen“ Mitglieder an einem himmelblauen Bande im Knopfloche, die „Officiere“ der Societät am Halse, die „unbekannten Oberen“ in Gestalt eines von Strahlen umgebenen Sternes auf der linken Brustseite zu tragen hatten, wenn sie in den von Zeit zu Zeit auszuschreibenden Versammlungen der Gesellschaft erschienen.

Allerdings bemüht sich das Actenstück oder vielmehr der Stifter des „Hochlöblichen“ Ordens, dem Kinde ein anständiges Mäntelchen umzuhängen, das heißt in pomphaften Worten die Motive anzuführen, die männiglich, Vornehm und Gering, zum Eintritte in eine so ersprießliche Gesellschaft bestimmen müssen. Zunächst werden die allgemeinen Beweggründe gar weit herbeigeholt. „Der Mensch ist zur Geselligkeit geboren,“ so lautet der sicher nicht anzufechtende Ausspruch des ersten Paragraphen des Statuts. „In Folge dieses seines Berufes“ – fährt Paragraph 2 fort – „heißt das erste und Grundgesetz des Naturrechts: ‚Socialiter vive!‘“ (Lebe gesellig!), ein Satz, der nun höchst umständlich durch eine Menge von Beispielen aus der Urgeschichte der Menschheit bis auf die jüngsten Zeiten herab zu beweisen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 707. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_707.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)