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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


mikroskopischem Wege möglich, eingetrocknetes Menschenblut von Thierblut selbst nach langer Zeit zu unterscheiden. Der berühmte Gerichtsarzt Casper erzählt in seinem Werke über die gerichtlich-medicinische Leichendiagnostik einige merkwürdige hierher gehörige Fälle.

Ein Mann war aus seiner Wohnung zwangsweise exmittirt und dabei mißhandelt worden. Er gab an, in Folge dessen erkrankt zu sein; es entstand der Verdacht, daß das in der Krankheit ihm angeblich abgegangene Blut nicht Menschen-, sondern absichtlich verschlucktes unverdautes Taubenblut gewesen sei. Zwei Aerzte hatten dies bescheinigt. Auch in weiterer Instanz hatten zwei Aerzte erklärt, daß das zwischen dem 30. Januar und 3. Februar des betreffenden Jahres abgegangene Blut sich bei einer nach fast sechs Monaten von ihnen ausgeführten mikroskopischen Untersuchung als Vogelblut ergeben habe. Das requirirte k. Medicinal-Collegium hatte darüber wegen Unkenntlichkeit der fraglichen Substanz eine bestimmte Ansicht nicht mehr aussprechen können. Mitte Februar des darauffolgenden Jahres, also mehr als ein Jahr nach seinem Abgange im frischen Zustande, wurde das Blut nochmals von Sachverständigen untersucht und folgendes Gutachten erstattet: „Zur Erledigung unseres Auftrages wurde die übersandte Blutsubstanz (ganz trockenes, pulveriges Blut in einer Schachtel) unter dem Mikroskope verglichen: 1) mit frischem und mit getrocknetem Blute aus einer menschlichen Leiche; 2) mit frischem und mit getrocknetem Blute einer Taube. Die Blutkörperchen des fraglichen Blutes lassen sich, wenn hinreichend kleine Fragmente desselben mit einer Kochsalzlösung oder mit Zucker angesetzt unter das Mikroskop gebracht werden, deutlich erkennen. Sie sind nicht elliptisch und haben die Form, welche den Blutkörperchen des Menschen und der Säugethiere eigen und gemeinsam sind. Von der Größe der menschlichen abweichende Blutkörperchen haben sich darin durchaus nicht erkennen lassen. Von der runden Form einigermaßen verschiedene Blutkörperchen sind darin nur wenige enthalten und nicht mehr und nicht minder, als man dergleichen geringe Abweichungen im Blute des Menschen und mancher Säugethiere wahrnimmt.“

Aus der Differenz der betreffenden Untersuchungen folgt, wie leicht der Sachverständige subjectiven Täuschungen unterworfen ist, indem die vorgelegte Blutsubstanz nicht Taubenblut und überhaupt kein Vogelblut war, vielmehr nur Menschen- oder Säugethierblut sein konnte.

Ein weiterer interessanter Fall ist folgender:

Am 14. Januar 1857 waren zu N. im Wirthshause unter mehreren gemeinschaftlich Trinkender der Bauer S. und der Knecht W. anwesend. Letzterer sah, daß S. einen Geldbeutel mit fünfundzwanzig Thalern bei sich trug, fragte denselben, welchen Weg er nach Hause nehmen werde, und entfernte sich. Als S. in der Nacht nach Hause zurückkehrte, erhielt er plötzlich einen Schlag in’s Gesicht, der ihn besinnungslos zu Boden streckte. Als er wieder zu sich kam, fand er sich seines Geldbeutels beraubt. Der Raubes dringend verdächtig, wurde der Knecht W. eingezogen. Seine Stiefel paßten genau in die Fußspuren im Schnee. Er war schon früher wegen Diebstahls bestraft worden und trieb ungewöhnlichen Aufwand. Besonders verdächtig war ein fast handtellergroßer Blutfleck in seinem drillenen Rocke. Er erklärte, daß derselbe davon herrühre, daß er zu Weihnachten des vorangegangenen Jahres beim Schlachten einer Kuh behülflich gewesen, und diese Angabe hat sich bestätigt. Das dortige Kreisgericht fand sich bei dieser Sachlage veranlaßt, den genannten Rock an einen Sachverständigen einzusenden, welcher durch mikroskopische Untersuchung feststellen sollte, ob der Blutfleck von menschlichem oder von Thierblut herrühre. Frisches Menschen- und frisches Ochsenblut wurden vergleichsweise bei einer einhundertundachtzigmaligen Vergrößerung unter das Mikroskop gebracht und ein Unterschied auf das Entschiedenste wahrgenommen. Auch beim Mischen beider Blutarten konnte man auf’s Deutlichste die kleineren Rind- und die größeren Menschenblutkörperchen sofort von einander unterscheiden. Für den fraglichen Criminalfall jedoch wurde wegen möglicher subjectiver Täuschungen ein Urtheil nicht abgegeben.

Einen dritten Fall erzählte kürzlich Dr. Malinin in Tiflis. Gegen zwei Edelleute, Brüder aus Sura im Kaukasus, lag Verdacht einer Mordthat vor. Unter Anderem hatte man bei denselben im Stalle eine mit Blut befleckte Tafel gefunden. Die Beschuldigten betheuerten, daß es Ziegenblut und Hammelblut sei. Bei der Untersuchung dieser Flecken zeigte das Mikroskop wirklich, daß der eine Flecken aus Ziegenblut, der andere aus Hammelblut bestand – die beiden Edelleute waren gerettet.

Bringt man bei solchen Untersuchungen eine kleine Quantität von menschlichem Blute, etwa ein Tröpfchen von der Größe eines i-Punktes zwischen zwei Glasplättchen unter das Mikroskop, so löst sich diese kleine Masse bei einer etwa 250-fachen Vergrößerung für das beschauende Auge in hunderte kleiner röthlicher, an den Kanten abgerundeter, in der Mitte dellenartig eingedrückter Scheibchen von ungefähr anderthalb Millimeter scheinbarer Größe auf; diese Körperchen schwimmen in einer klaren Flüssigkeit, welche „Serum“ genannt wird; sie machen mehr als die Hälfte der ganzen Blutmasse aus und sind bei verschiedenen Thierclassen sehr verschieden, sodaß sie, je nach ihrer Form und Größe, einen Schluß auf das Thier gestatten, von welchem das untersuchte Blut herrührte. Das Blut der Säugethiere nämlich, mit Ausnahme des Kameeles und des Lamas, zeigt runde, das Blut der Vögel, Reptilien und Fische ovale Blutkörperchen. Die einzelnen Gattungen genannter Thierclassen lassen sich aus der verschiedenen Breite der Blutkörperchen erkennen, und bei einer von uns und anderen Sachverständigen angestellten vergleichenden Berechnung ergaben sich merkwürdige Verschiedenheiten, nicht nur in Bezug auf die Form, sondern auch in Betreff der Größe der einzelnen Blutbestandtheile.

Der Laie verbindet mit dem Begriffe „Blut“ nur den Eindruck einer gleichmäßigen, dunkel- oder hellrothen Flüssigkeit von klebriger Consistenz. Den Wenigsten ist es indessen bekannt, daß die eigentlichen Träger des Lebens nicht in der Blutflüssigkeit, sondern in den dieselbe zu Milliarden durchsetzenden beweglich-zusammenziehbaren Körperchen zu suchen sind.

In einem Cubikmillimeter Blut eines kräftigen Mannes finden sich ungefähr fünf Millionen rothe Blutkörperchen, in einem Cubikcentimeter 5000 Millionen und in der gesammten, ungefähr 4400 Cubikcentimeter betragenden Blutmasse eines gesunden erwachsenen Mannes ungefähr zweiundzwanzig Billionen Blutkörperchen. Die Masse eines solchen Körperchens beträgt nur 0,000000072 Cubikmillimeter. Die in einem Cubikmillimeter enthaltenen Blutkörperchen (fünf Millionen) besitzen eine Oberfläche von 640 Quadratmillimeter und die Zellen des Gesammtblutes (4400 Cubikcentimeter) eine Oberfläche von 2816 Quadratmetern. Bei Frauen finden sich ein Zehntel weniger derartige Gebilde im Blute vor, und bei erschöpfenden Krankheiten, bei der Bleichsucht, bei anhaltendem Hungern, nimmt die Zahl dieser mikroskopischen Träger des Lebens noch weit mehr ab.

Es ist nicht zu leugnen, daß bei den Untersuchungen selbst der exactesten Gelehrten die Gesichtsempfindungen, auf welchen ja einzig und allein die directe Beobachtung beruht, Täuschungen unterworfen sind. Es ist durch genannte Untersuchungen dargethan, daß auf physiologischen Anomalien (Regelwidrigkeiten) des betrachtenden Auges beruhende Fehler durchaus nicht immer dieselben sind, selbst nicht während einer einzigen Reihe von Beobachtungen. Wenn nun der menschliche Empfindungsmechanismus derartige Unvollkommenheiten zeigt, welche nicht nur mit dem Lebensalter, sondern sogar von einem Augenblicke zum andern sich ändern, von vorübergehender Störung der Verdauung, der Blutcirculation oder von nervöser Erregung abhängen, so wird besonders bei Beantwortung wissenschaftlicher Fragen, von welchen das Leben eines Menschen abhängt, die Anwendung des Lichtes und der Photographie als ein unschätzbares Förderungsmittel in der Wissenschaft betrachtet werden müssen. Ich habe in meinem größeren Werke „Das Licht im Dienste wissenschaftlicher Forschung“ durch eine große Anzahl erläuternder Abbildungen und eine populär allgemein verständliche Sprache gerade in dieser Richtung sowohl die Fachgelehrten, wie auch die Gebildeten im Volke auf die Wichtigkeit obiger Momente hinzuweisen versucht.

Um nun den mitgetheilten, besonders für die Gerichtspflege so sehr wichtigen Thatsachen einen reellen Boden zu verleihen, ist es wichtig, dem Richter und den Geschworenen neben der gutachtlichen Schilderung das objective Bild der Untersuchung des Blutes vorzulegen. Nach der Natur durch den Einblick in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_696.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)